Politisierte Statistik

Das Bundesamt für Statistik hat neue Zahlen zur Übersterblichkeit während der Corona-Krise vorgelegt. Wirklich Licht ins Dunkel bringt es nicht

Ein Gegenstand, dem außerhalb von fachlichen Diskursen bisher nur wenig öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde, ist während der Corona-Pandemie zu großer politischer Bedeutung gekommen: Das Messen von Übersterblichkeitsraten. Doch allein das Erfassen, ob nun mehr oder weniger Menschen als in vorangegangenen Zeiträumen sterben, bringt an sich noch keine Erkenntnis, warum dies so ist.

Folgenreiche Entscheidungen bei unklarer Datenlage

Bereits zu Beginn der Einführung von zahlreichen restriktiven und autoritären Corona-Maßnahmen durch die meisten Staaten warnten einige Stimmen davor, dass die Lockdowns des Wirtschafts- und Gesellschaftslebens, und die verbundene Verknappung von Ressourcen — nicht zuletzt auch im Gesundheitswesen — sowie die sozialen und psychischen Belastungen sehr viel tödlicher sein könnten als das Virus selbst. Genauso wurde davor gewarnt, dass diese folgenreichen Entscheidungen ohne belastbare Datenlage getroffen werden würden.

Zugleich zeichneten sich sehr bald humanitäre Katastrophen ab, die durch diese Politik verursacht wurden. Wie etwa die BBC im Mai 2020 berichtete, wurde aus der ganzen Welt von Patienten berichtet, denen lebensrettende Behandlungen wie Krebstherapien, Nierendialysen oder dringende Organtransplantationen verweigert wurden.

In fast alle Lebenssituationen schlugen sich die Maßnahmen nieder: Auf dem Balkan wurden Frauen dazu getrieben, lebensgefährliche Abtreibungen selbst vorzunehmen, während Experten aus dem Vereinigten Königreich von einem Anstieg gefährlicher Do-it-yourself-Behandlungen berichteten, da Menschen sich gezwungen sahen, in schwierigen Situationen sich außerhalb des öffentlichen Gesundheitssystems zu versorgen.

Auch Medikamente verknappten sich. Die panische Hortung des Medikaments Hydroxychloroquin etwa, das normalerweise zur Behandlung von Malaria und Autoimmunerkrankungen eingesetzt wird und von dem seinerzeit festgestellt wurde, dass dessen Überdosierung die Zahl der Todesfälle durch Covid-19 erhöhte, hat zu Engpässen geführt, wo es dringend benötigt wurde.

Hinzu kamen globale Hungerkatastrophen und Engpässe in der elementaren Gesundheitsversorgung. Im Sommer 2020 warnten sowohl die UNO als auch Hilfsorganisationen wie Oxfam bereits vor einer extremen Übersterblichkeit weltweit — nicht durch das Virus selbst, sondern durch die politischen Entscheidungen. Die ärmsten Länder würden dabei — so die Warnungen — am stärksten durch die rigiden Lockdowns, die Unterbrechung der Lieferketten und durch verheerende Ernteausfälle getroffen werden.

Diese Warnungen bestätigten sich genauso wie andere. Etwa diejenigen von Wissenschaftlern und Ärzten, die darauf hinwiesen, dass mancherorts die Unterbrechung medizinischer Prophylaxen von Krankheiten wie HIV, Tuberkulose und Malaria zu Verlusten von ebenso dramatischen Ausmaßen führen könnten. Todesfälle durch Krankheiten wie Cholera überstiegen gerade auf dem afrikanischen Kontinent die durch Covid-19 verursachten um ein Vielfaches.

In der polarisierten politischen Landschaft gerade hierzulande werden diese Zusammenhänge weiterhin kaum differenziert betrachtet. Obwohl mittlerweile auch für die Entwicklung in Deutschland einige Studien vorliegen, mit denen versucht wurde, die Schäden der Lockdown-Politik gegenüber dem tatsächlichen oder vermeintlichen Nutzen derselben abzuwägen, herrscht größtenteils Schweigen. Dies zeigte auch die ausbleibende gesellschaftliche Debatte um die Lockdown-Studie an der Ludwigs-Maximilians-Universität.

Schlachtfeld sich widersprechender Interpretationen

Die Politisierung macht vor einstmals allgemein für neutral befundenen Statistiken nicht halt. Insbesondere die festgehaltenen Übersterblichkeiten sind seit Anbeginn Schlachtfeld sich widersprechender Interpretationen — in Wissenschaft wie Politik. Die Auslegung, in welcher Höhe und warum es zu mehr oder weniger Todesfällen kommt, als durchschnittlich für einen ausgewählten Zeitraum zu erwarten wären, gerinnt dabei fast zum ideologischen Glaubensbekenntnis.

So wurde gerade zu Beginn der ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 von Gegnern dieser Politik ins Feld geführt, dass sich statistisch in den meisten Ländern keine besonders auffälligen Muster bezüglich der Sterberaten beobachten ließen. Im Gegensatz dazu kam es zu deutlichen Übersterblichkeiten nach der politischen Entscheidung für Lockdowns.

Diese Beobachtungen wurde von Befürwortern drastischer Lockdown-Politiken mit dem Totschlagargument "Präventionsparadox" abgetan, obwohl die eingangs erwähnten verheerenden Folgen des globalen ökonomischen und sozialen Shutdowns auf Leib und Leben der Weltbevölkerung natürlich niemand vom Tisch wischen kann.

Wissenschaftler stellten bereits im Herbst 2020 fest, dass eine sehr große Zahl der über dem erwarteten Durchschnitt liegenden Todesfälle eben nicht klar auf Covid-19 zurückgeführt werden konnten, aber bei einer "normalen" Weiterentwicklung des Weltgeschehens genauso wenig zu erwarten gewesen wären.

Eine tatsächliche Einschätzung - und damit eine politische und juristische Bewertung, in welcher Verhältnismäßigkeit die historisch einzigartigen Einschnitte in bislang demokratisch verbrieft geglaubten Grund- und Menschenrechte standen und weiterhin stehen - bewegt sich politisch immer noch auf vermintem Feld. Zusätzlich wird dies noch erschwert, indem wichtige Daten erst gar nicht erhoben oder medial verzerrt werden. Auch dies ist für sich genommen ein politisches Problem.

Schon relativ zu Beginn der Corona-Krise kam der Skandal an die Öffentlichkeit, dass zuständige staatliche Institutionen überhaupt nicht eruierten, wie viele der zu Corona-Toten erklärten Verstorbenen tatsächlich durch eine Infektion mit dem Coronavirus ums Leben gekommen waren. Als Corona-Tote galten zunächst auch diejenigen, die mit einem positiven PCR-Test verstarben — unabhängig von der tatsächlichen Todesursache.

Der vermeintliche Goldstandard objektiver Beweisaufnahme selbst, die Erfassung der Übersterblichkeit unterliegt politisierten Interpretationen. Eine breitangelegte Studie an der Universität Duisburg-Essen grenzte sich bereits Mitte dieses Jahres von einer Erhebung des Statistischen Bundesamt ab, dem die Wissenschaftler vorwarfen, wichtige demographische Faktoren nicht zu berücksichtigen.

Alterung der Gesellschaft zunächst nicht berücksichtigt

Das Statistische Bundesamt definierte dabei die für 2020 erfasste Übersterblichkeit in Deutschland als absolute Anzahl der Todesfälle über dem Durchschnitt der vier Vorjahre. Im Jahr 2020 starben demzufolge 982.489 Personen. Im Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019 waren dagegen 934.389 Personen. Das ergab für das Bundesamt eine Übersterblichkeit von 48.100 Personen oder knapp fünf Prozent.

Was die deutsche Behörde dabei nicht berücksichtigte, ist, dass der Anteil der über 80 Jahre alten Menschen in Deutschland stetig wächst. Von 2016 bis 2020 etwa um eine Million, was natürlich eine erhebliche Verschiebung der Altersstruktur ist — und damit auch direkten Einfluss auf die deutsche Sterbestatistik hat. Genau dies aber beschrieb die Studie der Universität Duisburg-Essen als fundamentale Lücke. Den demographischen Faktor eingerechnet habe es in Deutschland im Jahr 2020 keine Übersterblichkeit gegeben, sondern einen Rückgang der Sterblichkeit.

Nun legte das Bundesamt nochmals am 9. Dezember mit einer Pressemitteilung nach, versäumte aber erneut, wesentliche Informationen zu dieser Berechnung mitzuliefern. Die Überschrift "Corona-Pandemie führt zu Übersterblichkeit" wurde von den großen Medienhäusern direkt aufgegriffen. Die gesamte vom Bundesamt errechnete Übersterblichkeit von 71.000 Menschen im Zeitraum von März 2020 bis Februar 2021 gegenüber dem Vergleichszeitraum der Vorjahre sagt indessen über die Gründe nichts aus.

Darüber gingen zahlreiche Medienberichte genauso hinweg wie darüber, dass die Statistiker ihre ursächliche Zuschreibung, die Corona-Pandemie wäre dafür verantwortlich zu machen, selbst relativieren: "Neu vorliegende Ergebnisse der Todesursachenstatistik geben erstmals Aufschluss über die Zahl der Verstorbenen, bei denen Covid-19 im Jahr 2020 als sogenannte Begleiterkrankung auf der Todesbescheinigung verzeichnet war."

Grundleiden vs. Begleiterkrankung

So seien laut offizieller Statistik im Jahr 2020 insgesamt 39.758 Menschen an Covid-19 als Grundleiden gestorben und 8.102 Menschen mit Covid-19 als Begleiterkrankung. 70 Prozent der an Covid-19 als Grundleiden verstorbenen Personen seien 80 Jahre oder älter gewesen.

Was die Behörde überhaupt nicht in diesem Zusammenhang angibt ist, wie diese Unterscheidung nun genau ermittelt wurde. Sie selbst beruft sich auf einen hausinternen Bericht, der unter einer ganz anderen Formulierung steht als die Pressemitteilung dazu. Er bezieht sich explizit auf die Übersterblichkeit während, nicht durch die Corona-Pandemie.

Grundlage sind die Zahlen des Robert-Koch-Instituts, das während des gesamten Verlaufs der Corona-Pandemie die tatsächliche Todesursache der Verstorbenen nicht konkret erhebt.

Die pauschale Feststellung des Bundesamtes, dass auch die jüngst erhobene Übersterblichkeit der Monate September und Oktober des laufenden Jahres durch "die gemeldeten Covid-19-Todesfallzahlen" nur zum Teil erklärbar sei, bleibt also wichtige Antworten weiterhin schuldig, da sie die Behörde gar nicht selber liefern kann.

Angesichts der eklatanten politischen Beschneidung von Grundrechten und fortschreitenden Eingriffen in das Leben der Menschen mit fatalen Folgen hier und anderswo, erscheint dies aber mehr als überfällig.

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