Vier Atomwaffenstaaten sind kriegsbereit – dieser Vertrag könnte sie stoppen

Hyperschallwaffe Ch-47M2 Kinschal an einer MiG-31K. Bild: kremlin.ru, CC-BY 4.0

Ein Jahr nach dem Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrags ist Deutschland noch nicht Teil dieses historischen Abrüstungsvertrags. Warum eigentlich nicht?

Die Spannungen zwischen der Nato und Russland spitzen sich täglich zu. Ein Krieg in der Ukraine steht bevor, heißt es aus den USA – daran seien die Russen schuld. Die gleichen Alarmglocken schlagen für die Menschen in Russland ihre eigenen Medien an. Dort wächst die Angst vor der Nato; in den USA die vor Russland.

Vier Atomwaffenstaaten stehen in Bereitschaft. Alle dementieren die Absicht eines Krieges. Gleichzeitig bereiten sie diesen vor.

Besonders explosiv wird die Situation durch die Atomwaffen auf beiden Seiten – denn durch sie wächst die Gefahr eines Atomkriegs. Laut den Wissenschafter:innen des Bulletin of Atomic Scientists bleiben der Menschheit metaphorisch noch 100 Sekunden bis zum Weltuntergang durch einen Atomkrieg.

In ihrem Statement warnten sie am Donnerstag vor einem gefährlichen, neuen atomaren Wettrüsten. Es sei an der Zeit, die Weltuntergangsuhr – auf Englisch Doomsday Clock – zurückzudrehen, so die Wissenschaftler:innen.

Seit drei Jahren steht die Uhr auf 100 Sekunden vor zwölf, ohne jede Verbesserung.

Heute vor einem Jahr ist der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen (AVV) in Kraft getreten. Ein Vertrag, der die Macht hat, die Doomsday Clock zurückzudrehen. Er beschreibt den Weg zur Abschaffung aller Atomwaffen – den besten Schutz vor dem Atomkrieg.

An die nukleare Abschreckung glauben nur noch die wenigsten Staaten: in Summe ungefähr 40. Die restlichen rund 150 Staaten leben ohne Atomwaffen und ohne nukleare Teilhabe.

Sie fühlen sich durch die Atomwaffen anderer Staaten bedroht, wohlwissend um die Folgen eines Atomkriegs. Denn schon ein regional "begrenzter" Krieg hätte verheerende Auswirkungen.

In den letzten Jahren haben Klimatolog:innen die potenziellen Auswirkungen eines Atomkriegs unter Verwendung aller strategischen, großen Atomwaffen berechnet. Die Folge wäre ein nuklearer Winter. Weiteren Analysen der IPPNW zufolge, hätte schon ein "begrenzter" Atomkrieg fatale, globale Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung.

Ein Temperatursturz, gepaart mit dem Ausbleiben des Niederschlags, würde sich ähnlich gefährlich auswirken, wie die Erderwärmung durch die Klimakrise. Der Unterschied: Wir würden erfrieren und verhungern, anstatt auszutrocknen und zu ersticken.

Desinformation statt Rationalität

Klimakatastrophe, nukleares Wettrüsten und der Abbau der Rüstungskontrolle – wir stecken in einer multiplen Krise. Rationale Entscheidungsfindungen und Lösungsansätze werden durch Desinformationen unterminiert.

Gleichzeitig schüren Drohgebärden, wie die der nuklearen Abschreckung Angst. Der UN-Vertrag zum Verbot von Atomwaffen ist ein erster Schritt zur Lösung dieser Probleme.

Ein Jahr in Kraft, zeigt der Vertrag bereits erste Resultate: Mehr als 100 Finanzinstitute haben seit dem Inkrafttreten ihre Finanzmittel aus der Atomwaffen-Branche abgezogen.

Auch Städte reagierten: So beschloss der New Yorker Stadtrat den städtischen Rentenfonds nicht mehr bei Atomwaffenherstellern anzulegen und damit 250 Milliarden US-Dollar abzuziehen.

Innerhalb der Nato beginnt der Widerstand gegen den UN-Vertrag zu bröckeln: Die Nato-Mitglieder Norwegen und Deutschland sowie eine Reihe von Nato-Partnerstaaten, wie Schweden, Finnland und die Schweiz, nehmen an der Staatenkonferenz in Wien als Beobachter Teil. Dabei geht es um die konkrete Umsetzung des Atomwaffenverbotsvertrags.

Weltweit sind dem Vertrag bereits 59 Staaten beigetreten und 86 haben unterzeichnet. Die Nato-Staaten weigern sich bisher, sich dieser Mehrheit anzuschließen.

Die Behauptung: die Nato-Mitgliedschaft lasse einen Beitritt nicht zu. Doch das ist ein Irrglaube: Rechtlich gibt es keine Hürde – Atomwaffen werden im Nordatlantikvertrag nicht einmal erwähnt.

Die Blockade ist politisch. Mit dem Glauben an die nukleare Teilhabe wird eine Einheit zwischen den NATO-Staaten suggeriert, die in dieser Form gar nicht existiert.

In Deutschland ist dieser Druck zurzeit eindeutig zu spüren: Deutschland darf nicht "aus der Reihe tanzen" – die Angst: Russland könnte nicht genügend abgeschreckt werden.

Stattdessen soll Deutschland indirekt nuklear massiv aufrüsten. Neue lenkbare US-Atombomben sollen in Deutschland stationiert werden. Um die Bomben einsetzen zu können, werden wiederum moderne, milliardenschwere Flugzeuge benötigt. Diese sollen von deutschen Steuergeldern bezahlt werden.

Hyperschallwaffen befeuern das Wettrüsten

Und damit nicht genug: Am Donnerstag warnten die Wissenschaftler:innen des "Bulletin of Atomic Scientists" in ihrem Statement außerdem vor einem gefährlichen, atomaren Wettrüsten durch die Entwicklung von Hyperschallwaffen durch die USA, Russland und China. Derzeit ist eine Stationierung dieser neuen Mittelstreckenraketen mit Hyperschallgeschwindigkeit in Deutschland in der Diskussion.

Hyperschallwaffen fliegen verhältnismäßig niedrig, mit einer extrem hohen Geschwindigkeit, sodass sie von konventionellen Raketenabwehrsystemen nicht erkannt werden können. Die russische "Zirkon"-Rakete für die Marine soll bereits ab 2022 einsetzbar sein; die landgestützten Raketen der USA, "Dark Eagle" ab 2023.

Gleichzeitig kursieren die Berichte über die Reaktivierung des US-Artilleriekommandos Mainz-Kastel in Wiesbaden. Dort war im Kalten Krieg das Kommando für die US-amerikanischen Mittelstreckenraketen. Hier könnten die "Dark Eagle"-Raketen deponiert werden.

Die US-Armee und SPD-Wehrbeauftragte des Bundestags streiten ein solches Vorhaben ab – bisher gäbe es noch keinen Stationierungsplan. Die Reaktivierung des Artilleriekommandos sei lediglich ein Zeichen der Abschreckung in Richtung Russland.

Die Lage ist ernst; die Lage angespannt. Doch wenn Deutschland und die Nato weiter aufrüsten und Zeichen setzen, die als Wettrüsten verstanden werden, können wir uns von diplomatischen Gesprächen und einer friedlichen Deeskalation verabschieden.

Die Partner der "International Campaign to Abolish Nuclear Weapons" (ICAN) in Deutschland kritisierten die geplante Aufrüstung der Bundesregierung deshalb heute stark. Der sogenannte "nukleare Schutzschirm" der USA biete keinen Schutz.

Im Gegenteil: mit einer Aufrüstung befeuere Deutschland den ohnehin schon sehr gefährlichen Konflikt zwischen der Nato und Russland. Zum Jahrestag des Atomwaffenverbotsvertrags fordern die Aktivist:innen heute eine Beendigung der Stationierung von US-Atombomben in Deutschland und einen Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe der Nato.

In einer Zeit, in der wir von nuklearem Wettrüsten, einem Abbau der Rüstungskontrolle und der Klimakrise bedroht sind, heißt es handeln statt Absichtserklärungen geben. Das gilt auch für die Bundesregierung. Weniger Geld für die Finanzierung von Rüstungsprojekten der USA auszugeben, würde Milliarden Investitionen in den Klimaschutz ermöglichen. Mit einem Beitritt Deutschlands zum Atomwaffenverbotsvertrag könnte Deutschland den ersten Schritt machen und die Weltuntergangsuhr ein Stück zurückdrehen.

Xanthe Hall ist Atomwaffenexpertin der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e. V., der deutschen Sektion der International Physicians for the Prevention of Nuclear War (IPPNW)