Der Ukraine-Krieg als Menetekel

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Wir werden in einer Welt leben oder in keiner Welt: Russlands Angriff auf das Nachbarland markiert nach Ansicht von Experten eine Serie von Krisen (Teil 1)

Klima, Krieg, Migration – die Krisen unserer Zeit verschmelzen miteinander. Ihre Ursachen und ihre Folgen umfassen buchstäblich den Erdball. Nationale Autarkie und Souveränität sind angesichts globaler Krisen illusionär. Nur wenn wir einsehen, dass eine Rückkehr zur sogenannten Normalität versperrt ist, haben wir noch eine Chance.

Wir müssen alles tun, was in unserer Macht steht, um den Ansturm des Hungers zu verhüten und den Zusammenbruch des weltweiten Nahrungssystems zu verhindern.

António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, warnt mit drastischen Worten vor den globalen Auswirkungen des Ukraine-Krieges. Er übertreibt nicht. Die Welt steuert auf eine Hungerkrise im kommenden Herbst zu, die laut Aussage von Expertinnen und Experten 100 Millionen Menschen oder mehr treffen könnte. Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie an der Leibniz-Universität Hannover, spricht sogar von bis zu einer Milliarde Hungernden.

Die Anbaugebiete in Russland und der Ukraine gelten als die Kornkammer der Welt. Etwa ein Drittel der weltweiten Weizenexporte kommt aus dieser Region. Die Ukraine spielt für weitere Agrarrohstoffe eine zentrale Rolle, wie ein Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland ausführt:

Die Ukraine ist der weltweit wichtigste Exporteur von Sonnenblumenöl, der zweitgrößte Roggen-Produzent für den Weltmarkt nach Australien. Beim Weizen steht die Ukraine an Platz 5 der Exporteure, bei Mais und Raps auf Platz 3.

Jetzt wäre die Jahreszeit für die Frühlingsaussaat, aber Landarbeiterinnen und Landarbeiter sind geflohen oder wurden zum Militär eingezogen. Außerdem ist Treibstoff knapp und Feldarbeit in den umkämpften Gebieten zu gefährlich. Russland wiederum begrenzte Mitte März als Reaktion auf die Sanktionen die Getreideexporte, um den Preisanstieg für Nahrungsmittel im Land einzudämmen.

Weltweite Demonstrationen gegen den russischen Einmarsch in die Ukraine (21 Bilder)

Washington, D.C. am 6. März. Bild: Frypie / CC-BY-SA-4.0

Die ab dem Spätsommer zu erwartende Verknappung nehmen die Märkte schon jetzt vorweg. Seit Kriegsbeginn am 24. Februar stiegen die Preise für die wichtigen Agrargüter um das Doppelte. Die Tonne Weizen riss mehrmals die Marke von 400 Euro, im Herbst 2021 kostete sie noch zwischen 170 und 190 Euro.

Gleichzeitig verteuern Krieg, Sanktionen, die allgemeine Unsicherheit und Spekulation die Energie. Auch darunter leidet die Landwirtschaft, denn Diesel, Dünger und Pestizide machen einen großen Teil der Ausgaben der Erzeuger aus.

Die Kosten für Düngemittel und Schädlingsbekämpfung hängen eng mit den Preisen für Erdöl und Erdgas zusammen. Besonders die Herstellung von mineralischem Dünger ist energieintensiv und wird typischerweise mit Erdgas durchgeführt. Fuel, Fertiliser, Food - in einer industrialisierten Landwirtschaft sind sie untrennbar verwoben.

Wegen der gestiegenen Erdgaspreise haben die europäischen Firmen Yara und Borealis angekündigt, ihre Produktion zu drosseln. Russland war bislang ein bedeutender Exporteur von Düngemitteln, dessen Lieferungen fürs Erste ausfallen werden. Seit Kriegsbeginn sind die Kosten für 100 Kilogramm Dünger von 23 Euro auf 80 Euro gestiegen, berichten deutsche Bauern.

Der Ernteausfall betrifft nicht nur die Länder, die von den Kriegsparteien direkt beliefert werden. Agrarrohstoffe werden global gehandelt, auf dem Weltmarkt setzt sich ein Preis durch. Die Welternährung hängt von den russischen und ukrainischen Ausfuhren ab, große Regionen können die Bevölkerungen nicht (mehr) selbst versorgen. Wenn russische Panzer in Richtung Kiew rollen und die Felder brach liegen, dann müssen die Armen auf der anderen Seite des Erdballs den Gürtel enger schnallen.

Die Teuerung beeinflusst auch die Lebensmittelpreise insgesamt, weil Mais, Weizen, Soja und andere Ölsaaten die Basis für die meisten Nahrungsmittel bilden. Martin Banse, Direktor des Instituts für Marktanalyse am Johann Heinrich von Thünen-Institut und ein Experte für den internationalen Agrarhandel, erklärt:

Diese Produkte dienen nicht nur als Grundlage für Nahrungsmittel wie Brot, Pflanzenöle, sondern auch Tierfutter. Deutlich steigende Preise für Getreide und Ölsaaten treiben somit auch die Kosten für die tierische Erzeugung in die Höhe.

Deshalb werden aller Voraussicht nach die Preise für Milch, Milchprodukte, Schokolade, Bier und Fleisch weiter steigen, weltweit und auch in Deutschland.