Geht Deutschland der Nachschub aus?

Ukraine-Krieg und Konsequenzen: Mittelständische Unternehmen haben Existenzängste, weil Zulieferer ausfallen

Dass die Lieferketten für elektronische Produkte seit Corona ins Stocken geraten, wundert heute niemand mehr. Die Konsequenzen des russischen Angriffs auf die Ukraine treffen inzwischen praktisch alle Branchen und sorgen bei vielen auch mittelständischen Unternehmen für Existenzängste, weil sie nicht sicher sein können, dass sich unter ihren Zulieferern und deren Lieferanten kein von westlicher Seite sanktionierter Betrieb befindet.

Wobei schon ein Aktionär mit russischem Pass das Unheil auslösen kann, wie man an dem Beispiel des in Frankfurt-Hahn an die Kette gelegten Frachtfliegers der Cargologicair UK sehen kann, die zu 100 Prozent im Besitz der Cargo Logic Holding Ltd. ist, welchen den beiden Russen Aleksey Isaykin und Sergey Shklyani gehört.

Ihnen gehört auch die Volga-Dnepr Airlines, mit Hauptsitz in Uljanowsk und weiteren Basen in Krasnojarsk und Leipzig/Halle. Sie ist auf Transporte mit der Antonow An-124, dem größten serienmäßig hergestellten Transportflugzeug der Welt, spezialisiert. Bis April 2018 transportierte die Fluggesellschaft von Leipzig aus auch militärisches Gerät für EU- und Nato-Staaten.

Sanktionen und die Marktmacht Russlands

Was von der Politik bei den Sanktionen offensichtlich nicht bedacht wurde, ist die Tatsache, dass die Fertigung der meisten Produkte heute sehr arbeitsteilig stattfindet und sich inzwischen hoch spezialisierte Zulieferer entwickelt haben, welche eine große Anzahl an Weiterverarbeiter beliefern, die selbst nicht im Detail wissen, an welchen Standorten in welchen Ländern ihre Vorlieferanten eingekauft haben.

Für die Produktion von LED-Lampen werden beispielsweise künstliche Saphire benötigt, die heute im Wesentlichen von einem russischen Hersteller stammen, der in den vergangenen Jahren seine Produktionskapazitäten alle zwei Jahre verdoppelt hat.

Bei Gas, Mineralöl und Steinkohle ist inzwischen deutlich, welche Marktmacht sich Russland in Deutschland mit gegenüber dem Weltmarkt unschlagbar günstigen Preisen erworben hat. Bei Pellets hat man eine Abhängigkeit von osteuropäischen Lieferanten bislang noch nicht im Blick.

Der als nachhaltig bezeichnete Rohstoff wird jedoch auch von Holzwerkstoff- sowie Papierfabriken nachgefragt und international eingekauft. Aus russischen und belarussischen Quellen soll zuletzt nur etwa zehn Prozent der in Deutschland verfeuerten Mengen gekommen sein.

Zehn Prozent scheint wenig zu sein. Welche Auswirkungen sich ergeben, wenn nur zehn Prozent der Produktionskapazitäten ausfallen, konnte man in den letzten Tagen im Falle der Kabelbäume für die automobilen Bordnetze sehen, die vom Nürnberger Zulieferunternehmen Leoni in der Ukraine produziert werden. Die dort jetzt ausgefallene Produktion wird wohl im Laufe diesen Jahres nicht aufgefangen werden können.

Anders als bei fehlenden Chips, müssen die Kabelbäume in der laufenden Fahrzeugproduktion eingebaut werden. Ein nachträglicher Einbau ist nicht möglich und somit stand ohne Kabelbäume die Produktion der Fahrzeuge jetzt still.

Mittelständischen Palettenherstellern fehlen Nägel

Paletten sind unabdingbar für eine flüssige und schnelle Logistik. In Deutschland werden zumeist Paletten aus Holz eingesetzt, das in den vergangenen Monaten deutlich teurer wurde, weil chinesische Händler große Mengen Holz eingekauft und in Containern nach China verschifft haben, was den deutschen Waldbesitzern die Möglichkeit gab, ihre aufgrund des starken Borkenkäferbefalls vorgenommen außerordentlichen Einschläge loszuwerden.

Der Preis einer Europalette soll sich seit 2019 von knapp 10 Euro auf derzeit etwa 25 Euro erhöht haben. Die deutsche Palettenbranche ist stark mittelständisch geprägt Hier gibt es rund 180 Hersteller mit durchschnittlich 35 Beschäftigten. Jetzt kommt mit der Sanktion auf russischen Stahl ein weiteres Problem zu.

In Deutschland werden Paletten fast ausschließlich in automatisierten Fertigungslinien produziert. 78 Nägel braucht man für eine Europalette und diese Nägel wurden in der Mehrheit von osteuropäischen Herstellern in der EU eingekauft, die ihren Stahl jedoch zu 90 Prozent aus Russland bezogen. Die verwendeten Nägel benötigen Stahlqualitäten, die bislang fast ausschließlich aus Russland zu beziehen waren und die daher nicht so schnell von woanders geordert werden können.

Da sich die deutschen Fertigungsmaschinen auch nicht auf andere Nägel umrüsten lassen, könnten hier demnächst Millionen von Paletten fehlen.

Wollte man diese Nägel jetzt aus Fernost beziehen, stünde man vor dem nächsten Problem, dass keine Frachtkapazitäten auf dieser Strecke verfügbar sind. Neben der Fehlmenge an Paletten aus deutscher Produktion werden jetzt auch Palettenimporte aus Russland, Belarus und der Ukraine ausbleiben. 2021 wurden gut 10 Millionen Paletten von dort importiert. Das waren 14,5 Prozent der Gesamtmenge deutscher Palettenimporte.

Hinzu kamen im Vorjahr 9,55 Millionen Paletten aus Polen und dem Baltikum, deren Hersteller eine große Abhängigkeit von russischen Holzimporten aufweisen. Somit addieren sich die Fehlmengen auf rund 20 Millionen Paletten. Andere Bezugsquellen für Paletten gibt es in der EU nicht, da wohl alle europäischen Länder das gleiche Versorgungsproblem mit Nägeln haben wie Deutschland.

Dass Nadelschnittholzimporte aus Russland und Belarus inzwischen Sanktionen unterliegen hat Auswirkungen nicht nur auf die Palettenproduktion, sondern auch auf die Verfügbarkeit von Transportkisten und Kabeltrommeln. Im vergangenen Jahr kamen je nach Holzsortiment bis zu 25 Prozent der deutschen Importe aus der Ukraine, Russland und Belarus, darunter auch das für Verpackungen wichtige Sperrholz.

Beim Schnittholz für Paletten und Packmittel macht sich die Abhängigkeit wichtiger baltischer Zulieferer hiesiger Unternehmen von russischen und belarussischen jetzt ebenfalls negativ bemerkbar. Mehr als 70 Prozent der im Jahr 2021 im Baltikum eingeführten Nadelschnittholzmenge stammten aus Russland und Belarus.

Der Mangel bei Kabeltrommeln könnten den Glasfaserausbau, der landauf, landab derzeit vorangetrieben wird auch schon bald ausbremsen, weil die Glasfasern in Leerrohren verlegt werden, die auf großen Trommeln angeliefert werden.

Wie sehr Deutschland beim Infrastrukturausbau von Lieferungen aus Osteuropa abhängig ist, sieht man aktuell auch an der Tatsache, dass Weichen, die speziell für ihren Einsatzzweck angefertigt werden müssen, aus dem Werk in der Ukraine nicht mehr geliefert werden können und eine europäische Neuausschreibung viel Zeit kostet und die Preise nach oben treibt.

Ein Problem das die Deutsche Bahn aktuell auch mit ihren Bestellungen von Rädern hat, die für den planmäßigen Austausch benötigt werden und die vom ausgewählten ukrainischen Hersteller jetzt nicht mehr geliefert werden.

Auch bei Gütern des täglichen Bedarfs könnte es Nachschubprobleme geben

Verpackungsmaterialien beispielsweise für Lebensmittel werden meist im Flexodruck bedruckt. Beim für die Druckplatten benötigten Polymer kommt offensichtlich inzwischen mehr als in der Öffentlichkeit bekannt, aus Russland.

Das gleiche scheint auch für Farbbestandteile und Lösungsmittel zu gelten. Bei diesen Produkten wird der fehlende Nachschub sich erst in deutlichen Preissteigerungen und dann in Lieferausfällen zeigen. Die gewohnte Markenführung wird ohne die üblichen Verpackungen nicht gelingen und die bislang übliche Produktvielfalt wird sich wohl auf generische Produkte reduzieren.

Mit dem Nachschub hat die Lebensmittelindustrie derzeit schon mehr als genug Probleme. Wenn zum Beispiel Rapsöl anstelle des knappen Sonnenblumenöls eingesetzt wird und somit die Rezeptur geändert wird, muss dies nach geltenden Gesetzen auch so in der Zutatenliste auf der Verpackung angegeben werden.

Die Industrie fordert jetzt eine vorübergehende Ausnahme bei der Deklarationspflicht, da es sonst aufgrund von fehlendem Verpackungsmaterial zu Lieferverzögerung kommen könnte und die Regale im Lebensmittelhandel zeitweilig leer blieben.