Keine Verhandlungen, mehr Waffen, mehr Widerstand

Deutschland: Dreht sich die Stimmung zu Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg?

Keine Verhandlungen – mehr Waffen – mehr Eskalation: Es wird immer offensichtlicher, dass sich die westliche Ukraine-Politik auf diese knappe Formel zusammenfassen lässt. Im Zentrum steht dabei die Lieferung schwerer Waffen, die für eine ukrainische Offensive zur Rückeroberung verlorener Gebiete gedacht sind.

Auch Deutschland wird insbesondere mit der nun beschlossenen Lieferung von Panzerhaubitzen immer mehr zur Kriegspartei. Doch je deutlicher sich die Konturen dieser überaus riskanten Stellvertreter-Strategie herauskristallisieren, desto stärker wandelt sich trotz medialer Dauermobilmachung die Stimmung in der Bevölkerung, die wenn sie vielleicht auch nicht komplett kippt, sich dennoch in jüngster Zeit deutlich verschiebt.

Keine Verhandlungen

Es lohnt noch einmal ein Blick zurück: Ende März 2022 waren die Medien voll mit Berichten, die Ukraine und Russland stünden kurz vor einer Verhandlungslösung zur Beendigung des Krieges. Beim Redaktionsnetzwerk Deutschland hieß es:

Russlands Krieg gegen die Ukraine könnte durch die Verhandlungen schneller beendet werden, als Beobachter bisher angenommen haben. […] Demnach gebe es einen ersten Entwurf des Waffenstillstandsdokuments, in dem einige der Forderungen Russlands aber fehlen. […] Russland [soll] in dem Dokument nicht mehr an seinen Forderungen festhalten, die Ukraine zu "entnazifizieren" und zu "entmilitarisieren". […]

Die Ukraine [soll] in den Gesprächen angeboten haben […], über die Zukunft der Krim Verhandlungen über einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren zu akzeptieren. […] Zudem sei die Ukraine angeblich bereit, einen neutralen Status zu akzeptieren, wenn es Sicherheitsgarantien verschiedener Staaten für den Fall eines erneuten russischen Angriffs geben sollte - darunter auch China.

Redaktionsnetzwerk Deutschland

Selbst ein EU-Beitritt scheint wohl Gegenstand der Gespräche gewesen und von Russland akzeptiert worden zu sein. Kurz nach Abschluss der Istanbul-Verhandlungen wurde Moskaus Unterhändler Wladimir Medinski mit den Worten zitiert: "Die Russische Föderation hat keine Einwände gegen Bestrebungen der Ukraine, der Europäischen Union beizutreten."

Was dann genau geschehen ist, wird, wenn überhaupt, wohl erst in vielen Jahren herauskommen. Unmittelbar nach der Annäherung bei den Verhandlungen mehrten sich jedenfalls schon skeptische Stimmen westlicher Regierungschefs, namentlich von Boris Johnson und Joseph Biden. Bereits am 5. April 2022 berichtete die Washington Post darüber, innerhalb der NA werde die Fortsetzung des Krieges gegenüber einer Verhandlungslösung derzeit präferiert (siehe: Schwere Waffen für die Ukraine: "Raus aus der Eskalationslogik").

Am 7. April 2022 meldete sich dann Russlands Außenminister Sergej Lawrow mit der Aussage, es seien von ukrainischer Seite Änderungen an den Verhandlungsdokumenten vorgenommen worden, die eine Einigung erschweren würden. Anfang Mai 2022 wiederholte Lawrow diese Aussage erneut:

Wir haben den Gesprächen auf Ersuchen von Wolodymyr Selenskyj zugestimmt, und sie begannen, an Dynamik zu gewinnen. Im März wurden auf einem Verhandlungstreffen in Istanbul Vereinbarungen getroffen, die auf den öffentlichen Äußerungen von Wolodymyr Selenskyj beruhten. Er sagte, die Ukraine sei bereit, ein neutrales, blockfreies Land ohne Atomwaffen zu werden, wenn sie Sicherheitsgarantien erhalte.

Wir waren bereit, auf dieser Grundlage zu arbeiten, vorausgesetzt, das Abkommen würde vorsehen, dass die Sicherheitsgarantien nicht für die Krim und den Donbass gelten, wie die Ukrainer selbst vorgeschlagen hatten. Unmittelbar nach diesem Vorschlag, den sie unterzeichnet und uns übergeben haben, haben sie ihre Position geändert.

Sergej Lawrow

Vor diesem Hintergrund deuten die Indizien deutlich darauf hin, dass der Westen (oder zumindest die USA und eine Reihe weiterer Verbündeter) derzeit von einer Verhandlungslösung nichts wissen will – und dies der Ukraine auch signalisiert haben. Stattdessen soll die sich nun bietende Gelegenheit wohl genutzt werden, um Russland so weit als möglich zu schwächen.

Dies wurde im Übrigen von US-Verteidigungsminister Lloyd Austin nach seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski Ende April 2022 auch ganz offen als zentrales Ziel der USA so benannt.

Erreicht wird dies, indem erst verhandelt werden soll, wenn die russischen Truppen militärisch vollständig aus der Ukraine vertrieben sind – also erst dann, sollten sie faktisch besiegt worden sein. Ende April äußerte sich beispielsweise die britische Außenministerin Liz Truss derart in einer Grundsatzrede namens "Die Geopolitik ist zurück", der die britische Regierung auch extra eine deutsche Übersetzung spendierte:

Wir müssen unsere Unterstützung für die Ukraine deutlich ausbauen. […] Der Krieg in der Ukraine ist unser Krieg – er ist unser aller Krieg, denn der Sieg der Ukraine ist für uns alle eine strategische Notwendigkeit. Schwere Waffen, Panzer, Flugzeuge – wir greifen tief in unsere Waffenarsenale, fahren die Produktion hoch. Das alles ist notwendig. […] Wir werden noch schneller noch mehr tun, um Russland aus der gesamten Ukraine zu vertreiben.

Liz Truss

Die "Logik" schwerer Waffen

Die nun von immer mehr westlichen Staaten, unter anderem von Deutschland, beschlossene Lieferung schwerer Waffen passt zur westlichen Stellvertreter-Strategie. Denn die bisherige ukrainische Bewaffnung war zwar "geeignet", um den russischen Vormarsch zu erschweren, aber für eine Rückeroberung verlorener Gebiete war sie weitgehend untauglich. Dafür braucht es schweres Gerät, das nun massenweise an die Ukraine geliefert wird – zusammen mit der wohl unmissverständlichen Forderung im Gepäck, in die Offensive zu gehen.

Das ist jedoch nichts anderes, als das Rezept für einen lang andauernden katastrophalen Stellvertreter-Krieg, wie etwa der Historiker Jörg Baberowski, der seit Jahren eher durch recht putinkritische Töne auffiel, recht unmissverständlich ausführte:

Ich habe Zweifel, ob es gelingen wird, durch die Lieferung schweren Kriegsgeräts an die Ukraine den Konflikt zu beenden. Putin wird sich nicht geschlagen geben, weil er sich eine Niederlage nicht leisten kann. Die Folgen eines langwierigen Zerstörungs- und Vernichtungskrieges werden für Russland und die Ukraine verheerend sein. […] Jetzt kommt es darauf an, einen neutralen Vermittler zu finden, der einen Frieden aushandelt, von dem beide Seiten einen Gewinn haben. Eine andere Lösung kann es gar nicht geben, wenn wir einen langen Zermürbungskrieg verhindern wollen.

Jörg Baberowski

Dennoch – oder wohl: gerade deswegen – nimmt die Lieferung schwerer Waffen immer weiter Fahrt auf. Allein die USA sollen seit Kriegsbeginn Waffen im Wert von 3,7 Mrd. US-Dollar an die Ukraine geliefert haben – doch das ist nichts gegenüber dem, was US-Präsident Joseph Biden erst kürzlich zusätzlich dazu beim Kongress beantragt hat:

Die US-Regierung rüstet die Ukraine im großen Stil auf, um das Land im Krieg gegen Russland zu unterstützen. Biden hatte […] angekündigt, den Kongress hierzu um die Bewilligung von weiteren 33 Milliarden US-Dollar (31,4 Milliarden Euro) zu bitten. 20 Milliarden davon sollen für Militärhilfe genutzt werden.

Berliner Zeitung