Warum der Höhenflug der Grünen im Desaster enden könnte

Die Grünen sind dabei, ihre Basis durch falsche politische Entscheidungen zu verlieren, ohne die in der Zukunft Wahlerfolge nicht möglich sind. Bild: Paul Lovis Wagner / CC BY-NC 2.0

Habeck läuft den Fossilen nach, Baerbock will Russland schwächen und die Grünen verprellen die Basis, die sie in die Regierung brachten. Höhenflug kommt vor dem Fall? Ein Kommentar.

Die Grünen befinden sich im Aufwind und sind in Hochstimmung. Die Beliebtheitswerte von Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaft- und Klimaschutzminister Robert Habeck stellen die von Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) in den Schatten. In Nordrhein-Westfalen konnten die Bündnisgrünen ihren Stimmenanteil bei den Landtagswahlen vor kurzem mehr als verdoppeln. Bei Umfragen steht die Partei prächtig da.

Doch es könnte wie in der letzten Erzählung von Literaturnobelpreisträger Thomas Mann "Die Betrogene" kommen. Dort wähnt sich eine Frau nach den Wechseljahren in einer wundersamen Verjüngungsphase. Bis sich herausstellt, dass die Monatsblutungen Symptom eines tödlichen Karzinoms und nicht einer neu erwachten Fruchtbarkeit sind.

Ja, die Grünen scheinen sich in den letzten Jahren verjüngt zu haben. Eine nachwachsende Generation hat ihr Wind unter die Flügel geblasen. Der Aufwind der Partei ist im Wesentlichen den globalen Klimastreiks und Protesten geschuldet, bei der die Grünen einfach nur "Hier" rufen mussten, um gewählt zu werden, so klar hebt sich ihr Profil bei Umwelt- und Klimaschutz von dem anderer Mitbewerber ab.

Der erste Wahlerfolg kam wie von selbst. Während in den Straßen Europas und weltweit Millionen im Wochentakt "Klimagerechtigkeit Jetzt" skandierten, erklomm die Klimakrise im Zuge der Proteste nicht nur die mediale, sondern zum ersten Mal auch die Wahlkampf-Arena. Die Wahlen zum Europaparlament 2019 wurden zu einer Art Klimawahl. Das verschaffte nicht nur der deutschen, sondern vielen grünen Parteien in der EU einen ungeahnten Aufschwung.

Doch hinter den Wahl- und Umfrageerfolgen der Umweltschutz-Partei blieb fast alles beim Alten: wohl-temperierter Klimaschutz, keine soziale Kehrtwende, insgesamt viel zu wenig "Green New Deal".

Die Klima-Dynamik erfasste die deutschen Grünen nicht im politischen Zentrum. Vor allem fehlt ihnen bis heute der Mut zur Wahrheit und zum Risiko. Das ist der Unterschied zu den Green-New-Dealern rund um Jeremy Corbyn in der britischen Labour Party oder den progressiven Demokraten rund um Bernie Sanders in den USA, die den Gegenwind nicht scheuen.

Die Mutlosigkeit hat zu falschen Weichenstellungen geführt. Der erste Fehler war, dass die Grünen die Welle der Proteste und der medialen Aufmerksamkeit in ihre parteipolitischen Kanäle leiteten, statt sich zu verjüngen und in die Offensive zu gehen.

Nicht einmal ihr schwammiges Klimaziel, irgendwie bis 2040 klimaneutral zu werden, ist vereinbar mit dem wissenschaftlich Notwendigen. Man will nicht als "radikal" erscheinen, während man sich gleichzeitig einordnet in einen Mainstream, der seit Jahrzehnten die Forderungen der Wissenschaft dem politisch Möglichen, Opportunen, von mächtigen Interessengruppen Definierten unterordnet.

Zudem haben die Grünen keinen Plan vorgelegt, der die notwendige Klimawende (in Wahrheit eine Energierevolution) mit einer sozialen Wende verbindet. Man müsste sich dafür neu erfinden. Doch dazu waren und sind die Grünen nicht bereit.

Man hätte sich einerseits vom neoliberalen Irrweg verabschieden müssen. Andererseits ist eine Abwendung von der Politik flexibler, ständig verhandelbarer Einzelmaßnahmen unabdingbar. Denn Klimaschutz ist keine Tarifverhandlung, wo man sich in der goldenen Mitte treffen kann. Die goldene Mitte ist die Katastrophe.

Doch die Grünen setzen bis heute auf eine Wende Light, die das Establishment nicht vergraulen und keinem weh tun soll. Das ist kein Resultat von Kompromissen, die Regierungsbeteiligungen nach sich ziehen. Schon vor der Bundestagswahl war klar, wohin die Reise geht.

Für die, die das grüne Wahlkampfprogramm gelesen haben, gab es wenig Grund für echte Hoffnung. Beim Dekarbonisierungsziel, beim Kohle- und ausgeblendeten Gasausstieg, bei den Eckpunkten für eine Verkehrs- und Agrarwende im Zeitlupen-Tempo: Nirgendwo wird der Ernst der Lage anerkannt, während die Lücken notdürftig mit Slogans überdeckt werden.