"Heißer Herbst": Ist Die Linke bereit und fähig, soziale Bewegungen mitvoranzutreiben?

Die Linkspartei-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. Foto: Die Linke / Martin Heinlein

Das wären einige wichtige Fragen, die sich die Funktionäre stellen sollten – dabei müssten sie wieder Gesellschaftsanalyse betreiben, statt Konflikte zu personifizieren

In einem "heißen Herbst" der Sozialproteste will sich die Partei Die Linke maßgeblich einbringen, wie kürzlich deren Ko-Vorsitzende Janine Wissler verlauten ließ. Dabei war es in letzter Zeit schon fast ein erfreuliches Zeichen, wenn von der Linkspartei nichts zu hören war. Denn das bedeutet in der Regel, dass sie sich gerade nicht noch weiter zerstreitet und der Spaltung entgegengeht. Das ist zumindest die Erwartung auch von Medien, die der Partei nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen, wie die Wochenzeitung Freitag: "Linkspartei nach dem Parteitag in Erfurt – der Spaltung entgegen lautete unlängst eine Überschrift.

Der Autor machte auch gleich klar, wer seiner Meinung nach diese Spaltung vorantreibt: "Das Lager um Sahra Wagenknecht" erwäge "sich neu zu organisieren, vielleicht in einer neuen Partei?" Das Fragezeichen zeigt, dass der Autor vor allem auf Spekulationen angewiesen ist. Nun ist die Diskussion um eine Abspaltung des Flügels um Wagenknecht nicht neu. Bereits 2018 titelte die Süddeutsche Zeitung: "Aufstehen: Von der Bewegung zur Partei".

Offen blieb dabei immer, ob damit auf die real existierende Linkspartei eingewirkt werden oder eine neue Partei aufgebaut werden sollte. Die Gerüchte, dass es sich bei "Aufstehen" um ein neues Parteiprojekt handelte, verstummten nie, solange die Sammlungsbewegung überhaupt noch relevant war. Tatsächlich hatten diese Gerüchte eine gewisse Grundlage.

Bei "Aufstehen" gab es Protagonisten, die sich genau eine solche Entwicklung gewünscht hatten. Dabei waren auch Mitglieder der Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (WASG), die den Weg in die Linkspartei entweder erst gar nicht gegangen oder schnell wieder ausgetreten waren.

Die Mutmaßungen über "Aufstehen" als Partei

Doch die "Aufstehen"-Partei ist trotz aller Mutmaßungen nicht gekommen. Ob es daran lag, dass dieser Sammlungsversuch schon nach wenigen Monaten als gescheitert galt? Dabei haben sich die Protagonisten ihre Niederlage zum großen Teil selber zuzuschreiben. Schließlich wurde mit Sahra Wagenknecht eine Politikerin an die Spitze gestellt, die zu dieser Zeit noch Fraktionsvorsitzende der Linkspartei war.

Ist es schon politisch absolut unprofessionell, an die Spitze eines parteiübergreifenden Bündnisses die Spitzenpolitikerin einer Partei zu stellen, dann wird dieses Personaltableau noch fragwürdiger, wenn klar wird, dass es in der Partei für diese außerparlamentarische Bewegung keine Mehrheit gibt.

Im Gegenteil, relevante Teile der Linkspartei und auch ihres Vorstandes haben "Aufstehen" regelrecht bekämpft oder zumindest boykottiert. Sofort wurde "Aufstehen" als "Wagenknecht-Projekt" entweder hoch- oder abgeschrieben. Es wurde oft gar nicht registriert, dass bei "Aufstehen" auch bekannte Mitglieder der Grünen wie Antje Vollmer und der SPD wie Simone Lange aktiv waren.

Nicht hip und urban genug für Die Linke?

Besonders fatal ist diese Konzentration auf Führungsfiguren allerdings für die Menschen, die in "Aufstehen" vor allem eine soziale Bewegung gesehen haben und nicht eine Selbstverwirklichungsplattform für Parteipolitiker. Dass es diese Menschen gab, wird oft vergessen, weil eben mit "Aufstehen" immer sofort Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine verbunden werden.

Letzterer war auch mit einem Foto, das Aufstehen-Aktivisten am 3. Oktober 2018 in Saarbrücken zeigt. Dort aber sieht man Menschen unterschiedlicher Generationen, die vielleicht eines eint: Sie sind nicht so urban, hip und divers, wie sich das auch manche in der Linkspartei wünschen. So schrieb die taz bereits wenige Tage nach der Bundestagswahl 2017, also bevor "Aufstehen" überhaupt bekannt wurde, über ein Problem, das sich in den letzten fünf Jahren so verschärft hat, dass es für die Partei zur Existenzfrage werden könnte:

Der Partei gelingt es kaum noch, die Unzufriedenen, die Protestwähler zu erreichen. Es ist die Kehrseite ihrer Etablierung, ihrer Regierungsbeteiligungen und ihrer – trotz Wagenknecht’scher Querschüs­se – konsequenten Haltung in der Flüchtlingsfrage.


taz, 30. September 2017

Nun könnte man denken, da wurde ein Problem benannt, dass alle in der Linken umtreibt. Nur gab und gibt es vielleicht unterschiedliche Ansätze, damit umzugehen. Doch auch das musste 2017 bezweifelt werden, wenn man dann las:

Es gibt Linke, die hinter vorgehaltener Hand von einem Reinigungsprozess sprechen. Die problematischen Wähler wenden sich ab und werden ersetzt von einem jungen, weltoffenen, urbanen Milieu. Die meisten der bundesweit 5.000 neuen Mitglieder in diesem Jahr – 700 davon in Berlin – sind unter 35.


taz, 30. September 2017

Knapp fünf Jahre später haben sich nicht nur die "problematischen", sondern auch die umworbenen Wählerinnen und Wähler rar gemacht. Weder "Aufstehen" noch die Fraktion "Hip und urban" war letztlich erfolgreich. Über die Gründe müsste doch eigentlich in der Linkspartei diskutiert werden.

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