Verzicht: Wer, worauf, wofür?

Verzicht bedeutet nicht für alle das Gleiche. Symbolbild: Manuel Alvarez auf Pixabay (Public Domain)

Weniger Konsum für Umwelt, Klima und mehr "Zeitwohlstand" kann eine gute Sache sein – für Einkommensgruppen, die dafür Spielraum haben. Was aber aktuell gefordert wird, ist Frieren für geopolitische Machtspiele.

Bei Amazon gibt es fast alles: Sogar T-Shirts mit dem Aufdruck "Stressed, depressed, but well dressed" können bei dem Online-Versandhandelsgiganten bestellt werden. Für ein Augenzwinkern ist sich der Kapitalismus nicht zu schade, wenn er schon so offensichtlich seine Glücksversprechen nicht einlösen kann. So lässt sich auch den Desillusionierten noch etwas verkaufen.

"Gestresst, depressiv, aber gut angezogen" sind einige westliche Menschen, die trotz ihrer psychischen Probleme noch "funktionieren" und ihren Job behalten. Sie outen sich nur nicht alle, wenn sie ihn behalten wollen.

Das Bundesgesundheitsministerium bezeichnet Depressionen als "Volkskrankheit" – und psychische Probleme sind in Deutschland einer der häufigsten Gründe für Krankschreibungen. Dass sie keinen Seltenheitswert haben, heißt aber noch lange nicht, dass es in den meisten Unternehmen kein Problem wäre, offen darüber zu sprechen. Unternehmen wollen schließlich wettbewerbsfähig sein. Viele versuchen dies durch Arbeitsverdichtung und erwarten von Mitarbeitenden vor allem Belastbarkeit.

Konsum als Ersatzbefriedigung

Vielleicht werden solche T-Shirts auch eher in Schule, Uni oder Psychiatrie getragen – oder von Berufstätigen in der knapp bemessenen Freizeit. Kostenpunkt: 19,95 Euro. Wer sich die Misere auch selbst nicht eingestehen will, kann stattdessen High-Tech-Spielzeug, Seidenkrawatten oder Nagellack in allen Regenbogenfarben bestellen, solange das Geld reicht, um sich für den Stress und die verkaufte Lebenszeit zu belohnen – im ungünstigsten Fall als Ersatzbefriedigung für nicht gepflegte Sozialkontakte und vergeblich erträumte Beziehungen.

Das kann funktionieren, solange die Energiepreise nicht so hoch sind, dass das Gehalt restlos für die reinen Lebenshaltungskosten draufgeht. So wurde jedenfalls bisher ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung in reichen Industrieländern bei der Stange gehalten. Viele machte und macht das nicht glücklich – und die Ersatzbefriedigung beruht auf knallharter Ausbeutung von Mensch und Natur, vor allem im Globalen Süden.

So gesehen ist Konsumkritik berechtigt, wenn sie nicht zu undifferenziert daherkommt – und bei allem Elend in anderen Teilen der Welt noch zwischen deutscher High Society, deutscher Mittelschicht und deutschen "Working Poor" unterscheidet.

Reiche üben nämlich schon "Verzicht", wenn sie ihre Villa mit beheizbarem Swimming Pool aufgeben und sich ein hübsches Tiny House mit Solarzellen auf dem Dach anfertigen lassen, das dann auf ein lauschiges Grundstück mit Brombeerhecken und Gemüsegarten gestellt wird.

Ein solches Leben kann aber bei Menschen mit Nettolöhnen um 1300 Euro, die 700 Euro Kaltmiete für ein 25-Quadratmeter-Appartment in einem hässlichen Betonklotz oder 600 für ein Großstadt-WG-Zimmer zahlen, immer noch heftigen "Sozialneid" auslösen.

Diese Einkommensgruppe muss bei den aktuellen Energiepreisen jedenfalls nicht mit konsumkritischen Argumenten davon überzeugt werden, keine überflüssigen Dinge zu kaufen. Sie kann es einfach nicht und wäre schon froh, für die reinen Lebenshaltungskosten nicht den Dispo ausschöpfen zu müssen.

Wenn selbst diese Menschen in Deutschland einen zu großen "ökologischen Fußabdruck" haben, ist das zum allergrößten Teil nicht ihre freie Entscheidung, denn sie wohnen in der Regel zur Miete, können sich den Heizungstyp nicht aussuchen, müssen im Supermarkt nach billigen Angeboten suchen und können nichts dafür, dass regionale Lebensmittel oft teurer sind als Produkte, die in aus fernen Niedriglohnländern nach Deutschland transportiert werden.

Besserverdienende leben aber in aller Regel umweltschädlicher, obwohl sie sich regionale Lebensmittel in Bio-Qualität leisten können. Das ist nur nicht mehr entscheidend, wenn sie nicht bewusst auf andere Extras verzichten, über die im Mindestlohnbereich gar nicht erst nachgedacht werden muss.

Die Perspektive wachstumskritischer Bildungsbürger

Daran krankte auch der Vorschlag des "wirtschaftswissenschaftlichen Dissidenten" Niko Paech, sowohl die Industrieproduktion als auch die übliche Wochenarbeitszeit ohne vollen Lohnausgleich zu halbieren, um das Klima zu schützen.

Eine 20-Stunden-Woche gäbe den Menschen Zeit, um ergänzend zum reduzierten Geldeinkommen Dinge zu reparieren, selbst Nahrungsmittel anzubauen oder größere Gebrauchsgegenstände wie Autos und Rasenmäher in lokalen Netzwerken gemeinschaftlich zu nutzen, argumentierte er.

Mit einem Professorengehalt oder vergleichbarem Einkommen macht das Sinn. Wer heute 3000 bis 4000 Euro netto verdient, nicht kaufsüchtig ist und einen älteren Mietvertrag oder schon abbezahltes Wohneigentum hat, käme damit vielleicht ganz gut klar, könnte die bessere Work-Life-Balance genießen und in Repair Cafés, auf Kleidertausch-Parties oder beim Urban Gardening entspannt neue Leute kennenlernen.

Es wäre nicht das schlechteste Leben. Auf jeden Fall besser, als nach einem langen Arbeitstag matt und müde neuen Plunder bei Amazon zu bestellen – und immer wieder Schocknachrichten über den Klimawandel und den unveränderten Kamikaze-Kurs unserer Spezies verdrängen zu müssen.

Wer sich aber schon jetzt trotz Vollzeitarbeit am Ende des Monats fad und ungesund ernähren muss, weil die Miete für das kleinste Kabuff den größten Teil seines Einkommens frisst, wäre sehr bald obdachlos, wenn die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich halbiert würde. Der neue Zeitwohlstand könnte den Verlust der Wohnung nicht aufwiegen.

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