Bedingungsloses Grundeinkommen: Richtiger Ansatz im Falschen

Die Einführung des BGE wäre noch lange nicht das Ende der bürgerlichen Krisenökonomie, aber es gibt einen guten Boden dafür. Ein Einwurf.

Seit drei Jahren wird an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) wissenschaftlich erforscht. Durch ein BGE würde jeder Bürger, jede Bürgerin lebenslang ein partizipatives Einkommen erhalten, das als individueller Rechtsanspruch weder von einer Bedürftigkeitsprüfung oder einer Erwerbsarbeit abhängig, noch an ein bestimmtes Alter, Bildung oder sonstigen Voraussetzungen gebunden ist.

Unter der Leitung von Bernhard Neumärker, Direktor der Götz Werner Professur für Wirtschaftspolitik und Ordnungstheorie und Leiter des Freiburg Institute for Basic Income Studies (Fribis), wird seit dem Wintersemester 2019/20 wissenschaftlich erforscht, wie das BGE hierzulande umgesetzt werden kann.

Neumärker steht in der Tradition des Ordoliberalismus der Freiburger Schule und seines Gründers Walter Eucken (1891 bis 1950), bezeichnet sich selbst als "ordo-sozialliberal" und glaubt zudem, in Deutschland der einzige Ordoliberale zu sein, der so denkt.

Vor allem in Krisenzeiten, allen voran den jetzigen multiplen neoliberalen Dauerkrisen mit Klima-, Corona- und Kriegskrisen, kann das BGE, nicht nur nach Auffassung der Wissenschaft, sondern aller Befürworter, ein wirkungsvolles Instrument zum Schutz vor Massenarmut und Massenarbeitslosigkeit sein.

Zehn Freiburger-Thesen

Mit zehn Freiburger Thesen zum Grundeinkommen, die laut Pressemitteilung "die Potentiale des BGE zur Krisenbewältigung und –prävention aufzeigen und als Impuls in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft wirken sollen", meldete sich Fribis in Zusammenarbeit mit Claus Leggewie Ende August zu Wort und präsentierte der Öffentlichkeit ein Kriseneindämmungsprogramm.

Aus dieser Sicht unterstützt das BGE den Wunsch nach einer Selbstbestimmung, die aus Freiheit und Verantwortung erwachse (These 1), ist es in Teilen bereits Realität, zum Beispiel beim Kindergeld (These 2), verschafft es den Menschen mehr Handlungsspielraum (These 3), verstärkt es vorhandene Tendenzen zur Verkürzung der Arbeitszeit und schützt somit vor Verarmung und Massenarbeitslosigkeit (These 7).

Zudem bietet es in dieser Einschätzung "im Hinblick auf die notwendige (weltweite) ökologische Transformation (...) Möglichkeiten, lokale und globale Initiativen der Transforma- tion zu mehr Nachhaltigkeit zu stärken und zu för- dern". (These 9).

So weit, so bekannt, lässt sich an dieser Stelle zusammenfassen, doch auf These 5 lohnt immerhin ein etwas ausführlicherer Blick:

Der Freiheitsspielraum, den ein garantiertes Grundeinkommen eröffnen soll, wird nicht erst durch einen revolutionären Bruch geschaffen. Er beruht auf Experimenten und Maßnahmen, die bereits jetzt erfolgen und die in allen politischen Lagern und Milieus anschlussfähig sind.

Zehn Freiburger Thesen zum Grundeinkommen

Damit ist nun nicht etwa gemeint, wie die Wortwahl zunächst zu suggerieren scheint, dass tatsächlich doch noch ein kleiner Rest von Bedenken vorhanden wäre, dass die Überflüssigen, die für die Kapitalakkumulation nicht mehr benötigt werden und mit ihrem "Bürgerharz" langen, dunklen, kalten und hungernden Wintermonaten entgegensehen, in letzter Verzweiflung ihre begründete Kritik doch noch zur Praxis werden lassen könnten.

Gemeint sind, wie Tobias Dumschat, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit bei Fribis, bestätigt, Pilotprojekte, wie zum Beispiel das Experiment in Finnland bei dem vor einigen Jahren Langzeitarbeitslosen ein Betrag von 560 Euro, von denen dort niemand leben kann, ausgehändigt wurde, oder das kommende Projekt in Katalonien. Dort beginnt die katalonische Regierung im Januar ein auf zwei Jahre angelegtes Projekt bei dem 5.000 Probanden ein BGE erhalten.

Ein Quantensprung

Grundsätzlich haben sie natürlich nicht Unrecht, im Vergleich zu der bestehenden neoliberalen Variante der kapitalistischen Krisenökonomie wäre ein partizipatives BGE ein Quantensprung in Richtung Emanzipation.

Die dominierende Kultur der Lohnarbeit wäre depotenziert, niemand müsste mehr seine Arbeitskraft als Ware zu Markte tragen, um überleben zu können, es führt zu neuen, ganz anderen Lebensperspektiven, zu einem anderen Umgang mit Bildung, der Menschen untereinander, zu einer humanitäreren Gesellschaft und so weiter.

Aber allem voran wäre es endlich das Ende einer ganz besonders zynisch und perfiden kapitalistischen Variante: des Neoliberalismus.

Exkurs: Über eine Wahlverwandtschaft zwischen Führerstaat und Neoliberalismus

Es ist das Verdienst Gerhard Stapelfeldts, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Hamburg und freier Autor, in gewohnter Akribie herausgearbeitet zu haben, das Neoliberalismus mit – wie es der Terminus eigentlich suggerieren soll – liberal wenig, dafür mit einem völkischen Führerstaat umso mehr zu tun hat.

Der Neoliberalismus, so weist Stapelfeldt nach, ist die jüngste Form, der Gegenaufklärung, der Anti-Revolution oder Restauration: Friedrich August von Hayek (1899 bis 1992), einer der wichtigsten neoliberalen Ideologen, war ein vehementer Kritiker des Liberalismus der Französischen Revolution und schließt stattdessen explizit an den schottisch-englischen Liberalismus um 1800 an und verweist auf die deutsche und englische Gegenaufklärung: auf Edmund Burke und vor allem Friedrich Carl von Savigny und dessen Historische Schule des Rechts.

Karl Marx hat diese Schule die deutsche Theorie des französischen ancien régime genannt; sie entspreche einem Land, eben Deutschland, das sich "immer nur einmal in der Gesellschaft der Freiheit" befand: "am Tag ihrer Beerdigung".

Stapelfeldt legt überzeugend dar, dass von hier aus eine direkte Linie in den Imperialismus und in den Nationalsozialismus – den die heutigen neoliberalen Ideologen gern kritisieren, führt. Neoliberalismus und Nationalsozialismus stehen explizit in einem Verhältnis der Wahlverwandtschaft.

Im September 1973 war Chile, nach dem Putsch Pinochets, das erste Land, in dem der Neoliberalismus implementiert wurde. Ökonomisch beraten ließen sich die Generäle von einem der einflussreichsten Wirtschaftswissenschaftler des 20. Jahrhunderts: von Milton Friedmann (1912 bis 2006).

Friedmann galt als ein Vertreter des sogenannten Monetarismus, eine wirtschaftswissenschaftliche Konzeption die sich in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts als Gegenentwurf zum nachfrageorientierten Staatsinterventionismus gründete und eng an den Neoliberalismus anlehnt.

Die vom Internationalen Währungsfonds ausgeführte Strategie war, die Verschuldung auf einen relativen Überkonsum zurückzuführen und den verelendeten Bevölkerungen eine Reduktion des Konsums aufzuzwingen. Aber wegen ihres politisch-ökonomischen Autoritarismus wurden Monetarismus und Neoliberalismus auch von Anfang an kritisiert.

Der deutschstämmige Ökonom André Gunder Frank (1929 bis 2005) charakterisierte die Politik Chiles als einen "berechneten und organisierten ökonomischen Völkermord". Und als Friedmann 1976 den Nobelpreis erhielt, konstatierte Jürgen Habermas:

"Inzwischen ist das bürgerliche Bewusstsein zynisch geworden."

Basiert der Neoliberalismus auf der strikten Negation jedweder Art von Systemsteuerung - oberste Priorität hat der der Schutz des "freien Marktes" vor "staatlichen Störungen" - versuchte man es vorher gewissermaßen mit dem Gegenteil: mit einem systemrationalen Staatsinterventionismus.