Im Osten nichts Neues

Die Opfer des Ukraine-Krieges gehen in die Hunderttausenden. Zeit für ehrliche Analysen und Exit-Strategien. Der Zeitpunkt dafür scheint günstig.

Die Entwicklung des Russland-Ukraine-Krieges erinnert in übler Weise an den Stellungskrieg des deutsch-französischen Waffenganges im Ersten Weltkrieg. Dieser führte fast über die gesamte Konfliktdauer zu keinerlei Erfolgen für eine der beteiligten Seiten, kostete aber Hunderttausende an Menschenleben, führte zur "Erfindung" neuer Kriegstechniken (C-Waffen) und zerstörte eine gesamte europäische Grenzregion in unvorstellbarem Maß.

Analysiert man den Kriegsverlauf der ersten zehn Monate und die beharrliche Verweigerung immer mindestens jeweils einer Kriegsseite, irgendwelchen Verhandlungslösungen zuzustimmen, drängt sich der Schluss auf: Geschichte wiederholt sich. Auch wenn die Opferzahlen sicherlich nicht mit dem Ersten Weltkrieg vergleichbar sind, deutet sich ein ähnliches Szenario an.

Zehn Monate – 200.000 Tote und Verwundete?

Russlands Militär hat seit seinem ersten Angriff auf die Ukraine Ende Februar etwa 70.000 bis 80.000 Opfer (Tote und Verletzte) zu beklagen, so die Einschätzung des Pentagon-Spitzenbeamten Colin Kahl im August gegenüber Reportern.

Die militärische Entwicklung im Ukraine-Krieg (19 Bilder)

Frontverlauf am 26. Februar 2022

Im November ergänzte General Mark Milley, dass etwa 40.000 Zivilisten im Krieg in der Ukraine getötet wurden, die bisher höchste Schätzung eines US-Beamten. Auf einer Konferenz in New York ergänzte Milley im November, laut Nachrichtenberichten seien bisher mehr als 100.000 russische Soldaten im Krieg getötet oder verwundet worden.

Er fügte hinzu, dass die Zahl der Truppenopfer für die ukrainische Armee wahrscheinlich "gleich" sei. Die Ukraine meldet dagegen lediglich zwischen 10.000 und 13.000 gefallene Soldaten.

Drei mögliche Szenarien:

Ohne massives Eingreifen von außen zeichnen sich drei mögliche Szenarien für die weitere Kriegsentwicklung ab, allesamt erschreckend und nicht Gutes verheißend:

Szenario 1:

Russland gewinnt den Krieg, z.B. durch die im Moment offenkundig sehr effektiv angewandte (völkerrechtswidrige) Zerstörung der Wasser-, Strom- und Wärme-Infrastruktur des Landes. Millionen fliehen nach den ersten Wochen des kalten Winters mit geringsten Überlebenschancen für die Zivilbevölkerung ins Ausland. Das ukrainische Militär – selbst von den Problemen (wie Treibstoffmangel) betroffen – verteidigt ein leeres Land ... und gibt irgendwann auf.

Szenario 2:

Die Ukraine gewinnt den Krieg mit Hilfe massiver westlicher Unterstützung. Es werden – wie gefordert – immer mehr und immer stärkere Waffen geliefert, die auch für Angriffe auf russischem Gebiet, im Donbass und auf der Krim eingesetzt werden, um dort Start- und Flugplätze, Lager, Truppenansammlungen und Nachschubwege zu zerstören.

Variante 2a: Die politische und militärische Führung in Russland kollabiert oder wird gestürzt, die gesamte Infrastruktur in Russland bricht zusammen, ein Bürgerkrieg und das Auseinanderbrechen des Bundesstaates (möglicherweise mit Atomwaffen auf verschiedenen "Staatsgebieten") oder die Machtübernahme militärischer Hardliner wäre möglicherweise die Folge.

Variante 2b: Putin/die militärische Führung eskaliert den Krieg z.B. durch die Herbeiführung von atomaren Störfällen oder durch den Einsatz von Atomwaffen (s. Doktrin: Angriff auf russisches Gebiet).

Dabei braucht das russische Militär nicht zu Atomwaffen zu greifen, um eine atomare Katastrophe im Osten Europas auszulösen:

Auch das Risiko einer Havarie in einem der AKW war bereits mit der Eröffnung des Krieges 2014 absehbar. Die Nato reagierte schon damals darauf: Im Mai dieses Jahres (2014) beriet eine Nato-Kommission die Ukraine im Umgang mit Atomkraftwerken im Kriegsfall.1

Es geht hier nicht ausschließlich um eine mögliche Zerstörung eines Reaktorschutzbehälters mit einer oder mehreren Kernschmelzen in AKW durch Explosionen oder Beschuss. Genauso gefährlich ist eine Unterbrechung der Kühlung durch Strom- und/oder Wasserausfall, der massiven Beschuss von Atommülllagern (Tschernobyl!), Abklingbecken etc.

Die entstehenden radioaktive Wolken können auch den dicht besiedelten und stark industrialisierten westlichen Teil Russlands verstrahlen. Der Krieg kann insofern in einem nuklearen Inferno münden, das – wenn mehrere Stellen betroffen wäre – die Auswirkungen von Tschernobyl massiv übertreffen könnte.

Szenario 3:

Es gelingt den Kriegsparteien, die Szenarien 1 und 2 im Gleichgewicht zu halten. Der Krieg geht im Frühjahr in sein zweites Jahr, ohne dass eine Seite entscheidende Vorteile erzielt hätte. Dann wird die entscheidende Frage sein, welche der beiden Unterstützerseiten die längere Ausdauer besitzt.

In Anbetracht steigender Belastungen durch Flüchtlinge im Millionenbereich und die Kosten durch die Sanktionen bei der westeuropäischen Bevölkerung droht hier die Stimmung eher zu kippen als in Russland, wo jedes Aufbegehren der Bevölkerung mit härtesten Sanktionen bestraft wird.

Der Generaldirektor des Russischen Rates für Auswärtige Beziehungen, Andrej Kortunow, äußert in der Zeitung Wetschernjaja Moskwa die Vermutung, dass es Washington schwerfällt, die Aufmerksamkeit der US-Gesellschaft dauerhaft auf diesen Konflikt zu lenken, wenn man nicht bald ein Ergebnis präsentieren könne, das man als Sieg bezeichnen kann. Es besteht die Gefahr, dass die milliardenschwere Dauerunterstützung2 für die Ukraine im Vorwahlkampf der US-Präsidentschaftswahl thematisiert werden wird – und bei den knappen Verhältnissen sogar wahlentscheidend werden kann.

In Deutschland droht das Thema durch die AfD besetzt zu werden und mit längerer Dauer die Wahlkämpfe zu überlagern. Sollten weitere starke, neue Flüchtlingswellen (Iran, Syrien, Kaukasus …) dazu kommen, könnte das Klima in Deutschland rasch ins Negative kippen und die bisherige Unterstützung für Ukraine-Flüchtlinge zusammenbrechen.

Militärisch scheint keine andere als die drei dargestellten Varianten denkbar zu sein. Schwerste Fehler einer der beiden Seiten werden die Varianten 1 oder 2 fördern.

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