"Ein schneller Beitritt der Ukraine (...) nicht im Interesse der EU"

Charles Michel, EU-Ratspräsident, Wolodymyr Selenskyj (Präsident der Ukraine), Ursula von der Leyen (EU-Kommissionspräsidentin), 03. Februar 2023. Foto: Copyright: European Union

Mediensplitter (17): Selters statt Sekt – Der liberale Ökonom Henning Vöpel dämpft die Ukraine-Trunkenheit von Von der Leyen & Co.

Kriegspräsident Selenskyj mag sich einen baldigen EU-Beitritt seines Landes wünschen und entsprechende Forderungen im Stundentakt in die sozialen Netzwerke blasen. Aber Politik ist kein Wunschkonzert.

Ein baldiger Beginn ukrainischer Beitrittsverhandlungen ist alles andere als wahrscheinlich; er wäre kontraproduktiv für alle Brüsseler Anstrengungen nach einer Vertiefung der Union und am Ende nur ein Erfolg für jene, die sich ein schwaches, politisch unsouveränes Europa wünschen.

Diese Position wird zunehmend auch aus politischen Lagern artikuliert, die zu den Vorreitern einer unabhängigen, "europäischen" Ukraine gehören.

"Ein bisschen die Euphorie herausnehmen"

"Ein Beginn der Beitrittsverhandlungen müsste natürlich vor dem Hintergrund stabiler Erwartungen stattfinden. Da muss man doch ein bisschen die Euphorie herausnehmen", sagte der Ökonom Henning Vöpel am Freitag im Deutschlandfunk.

Vöpel ist der Vorstand des in Berlin und Freiburg ansässigen, eindeutig neoliberal orientierten Denkfabrik Centrum für Europäische Politik (CEP), die eng mit den Führungsstrukturen der deutschen Wirtschaft vernetzt ist.

Dort scheint der Wunsch nach einem EU-Mitglied Ukraine nur schwach ausgeprägt. "Einen sehr schnellen Beitritt der Ukraine wird es nicht geben", so Vöpel, "er stünde wahrscheinlich auch nicht im Interesse der Europäischen Union". Er würde Selbstverständnis und politische Verfassung der Union in Mitleidenschaft ziehen.

Geldwäsche, Oligarchen und andere Hindernisse

Objektiv betrachtet stehen einem EU-Beitritt der Ukraine schon mal die Kopenhagener Kriterien entgegen: stabile Demokratie, rechtsstaatliche Ordnung funktionierende Marktwirtschaft und vor allem die Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften – gerade Letzteres ist ein Prozess der sehr lange dauert, und nicht beschleunigt oder gar von politisch interessierter Seite umgangen werden kann.

Klare Regeln gegen Geldwäsche, ein Gesetz gegen den Einfluss von Oligarchen und großen Konzernen, und die Unabhängigkeit der Judikative, vor allem des Verfassungsgericht - davon ist die Ukraine, wie gerade jüngste Entwicklungen belegen, himmelweit entfernt.

"Von der Leyen müsste viel klarer sagen: 'So schnell kommt die Ukraine nicht in die EU.'"

Vöpel urteilte nüchtern über den Staat der angeblich "für europäische Werte kämpft":

Die müssen Grundrechte und Freizügigkeitsrechte umsetzen, internationales Recht verankern und darauf ist die Ukraine natürlich nicht vorbereitet. Personenfreizügigkeit, Kapitalmarktanbindung, Bankenregulierung, es gibt einen Strauß an Voraussetzungen, die sie schaffen müssen, damit der Beitritt nicht nur zur politischen Union, sondern auch zum Binnenmarkt gelingen kann. Das nimmt Jahre in Anspruch, bevor man so weit sein kann.

Henning Vöpel, Deutschlandfunk

Hier könne die EU keine Abstriche machen. Länder wie Ungarn und Polen zeigen, dass man Staaten in dieser Hinsicht nicht im Nachhinein disziplinieren kann.

Hinzu kommt die schiere Größe der Ukraine, die einerseits mit 40 Millionen Einwohnern ein Schwergewicht wäre, andererseits wirtschaftlich am Boden liegt, und die EU über Jahre Milliardenbeträge für den Wiederaufbau kosten wird.

"Ein solcher Beitritt würde die Europäische Union selbst sehr stark verändern. Er würde auch die politische Balance verändern. An diesem Punkt, an dem wir geopolitisch wahrscheinlich für Jahrzehnte eine neue Ordnung formen."

Die Signale und Symbole der EU in Richtung Ukraine seien daher ohne Glaubwürdigkeit.

"Wir haben die geopolitische Souveränität nicht"

Vöpel kritisierte die doppelzüngige Rhetorik der Brüsseler EU-Kommission: "Von der Leyen müsste viel klarer sagen: So schnell kommt die Ukraine nicht in die EU. Das würde zur Wahrheit gehören."

Viel mehr zeigt das ukrainische Beitrittsgedrängel die Schwächen und blinden Flecken der EU auf:

Wir haben die geopolitische Souveränität nicht. Das erfordert ein eigenes Politikverständnis und davon ist die Europäische Union und auch die Kommission noch ein riesiges Stück weit entfernt.

Henning Vöpel, Deutschlandfunk