Was bleibt von Pandemie und Lockdowns?

Seit dem 2. Februar ist Maskentragen in Bus und Bahn freiwillig. Was bleibt, wird sich zeigen. Symbolbild: RayMediaGroup auf Pixabay (Public Domain)

Warum wird trotz neuer Corona-Varianten offiziell das Ende der Pandemie verkündet? Waren die letzten zwei bis drei Jahre eine Zeitenwende? Die Historikerin Andrea Komlosy behauptet das.

Dass die "Corona-Zeit" vorbei ist, werden die meisten Menschen vor allen dadurch mitbekommen haben, dass ab dem 2. Februar die Maskenpflicht auch im Fernverkehr beendet ist. Wer jetzt noch Masken trägt, tut das nicht mehr, weil es Pflicht ist, sondern weil er oder sie sich dafür individuell entschieden hat, wie es schon lange in Ostasien der Fall ist. Die Gründe können vielfältig sein – Schutz vor Erkältungen oder vor unterschiedlichen Umwelteinflüssen gehören sicher dazu.

Wesentlich weniger Menschen werden mitbekommen haben, dass das Robert-Koch-Institut am 2. Februar die Risikobewertung im Fall des Coronavirus auf moderat herabgestuft hat. Das macht einmal mehr und besonders deutlich, dass das Corona-Zeitalter auch offiziell beendet ist.

Doch schon längst ist die Zeit vorbei, in der sehr viele Menschen täglich die Meldungen der RKI checkten. Auch sonst hat man den Eindruck, als wären viele Menschen wieder ganz in der Vor-Corona-Zeit angelangt und wollten die Pandemie-Jahre einfach nur hinter sich lassen.

Die Pandemie schleicht sich aus

Als Infektionswellen und Lockdown-Maßnahmen ihren Höhepunkt erreicht hatten, träumten manche Menschen von der großen Feier, mit der die Pandemie dann auch offiziell beendet wird. Doch im trüben Februar ist niemand nach öffentlichen Freudenfeiern zumute – und so schleichen sich Pandemie und Maßnahmen einfach aus, still und leise, wie Marten Brehmer in einem Kommentar in der Tageszeitung Neues Deutschland ernüchtert feststellt. Das ist eine schlechte Zeit für alle Menschen, die jetzt aus unterschiedlichen Gründen eine Aufarbeitung fordern.

"Es ist noch nicht vorbei"

Da gibt es die entschiedenen Gegnerinnen und Gegner aller Corona-Maßnahmen, die seit 2020 in langen Sitzungen des sogenannten Corona-Ausschusses Material sammeln, das aus ihrer Sicht für die große Anklage taugt. "Es ist noch nicht vorbei" war das Motto ihrer Sitzung am 3. Februar 2023. Doch will das große Lamento noch jemand hören, in einer Zeit, in der alle scheinbar froh sind, wenigstens die Pandemie hinter sich gelassen haben?

Denjenigen, die von Anfang an in Fundamentalopposition zu allen Vorsichts- und Eindämmungsmaßnahmen standen, geht damit ihr großer gemeinsamer Nenner verloren oder verliert zumindest an Bedeutung – für "Normalos" ist das eher kein Verlust.

Dabei wäre ein differenziert-kritischer Rückblick auf die Pandemiejahre wichtig. Denn es waren eben nicht einfach die Zahlen der Inzidenzen, sondern auch deren politische Interpretation, die die Politik des Lockdown prägten.

Wie der Ukraine-Konflikt die Corona-Lockdowns ablöste

Vom medizinischen Standpunkt aus ist das propagierte Ende der Pandemie so selbstverständlich nicht. Schließlich breitete sich in den letzten Wochen die Corona-Variante XBB-1.5 weltweit aus. Im Herbst 2021 hätte diese Tatsache für eine Verschärfung des Lockdowns herhalten können. Das im Februar 2023 diese neue Virusvariante nicht zu weiteren Verschärfungen führt, war allerdings seit Monaten abzusehen.

Fast alle verantwortlichen Politiker hatten nicht mehr die Gefahr durch das Virus betont, sondern im Gegenteil, dass das es nun keine allzu große Gefahr mehr sei. Dieser Umschwung setzte mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine ein. Seit dieser Zeit waren Corona und Lockdowns nicht mehr das dominante Thema. Stattdessen waren plötzlich Härte, Robustheit und Risikobereitschaft gefragt. Es muss natürlich offen bleiben, ob wir ohne den Ukraine-Krieg noch einen dritten Lockdown-Winter hätten erleben müssen.

Teilweise wurde auch die These vertreten, dass die Proteste der Maßnahmengegner, die in verschiedenen Ländern eine beachtliche Stärke erreicht hatten, den Politikern gezeigt hätten, dass ein weiterer Lockdown zu noch größerer Unruhe führen würde. Allerdings gibt es keine klaren Belege für diesen Zusammenhang.

War Corona eine Zeitenwende?

Die Wiener Historikerin Andrea Komlosy hat in ihren kürzlich im Promedia-Verlag erschienenen Buch "Zeitenwende – Corona, Big Data und die kybernetische Vernunft" am Beispiel Österreich beschrieben, wie die Staatsmacht durch die Proteste an mehreren Stellen unter Druck gesetzt wurde und schon beschlossene Gesetze letztlich wieder zurückgenommen hat.

Dazu gehört die Impfpflicht in Österreich. Aber auch die Ausgangssperren in der Hochphase der Pandemie wurden zumindest dort nicht besonders intensiv durchgesetzt, wie man dem Buch entnehmen kann. Es habe "eine geringe Bereitschaft zur Befolgung wie zur Umsetzung der Kontrolle" gegeben, widerspricht die Autorin damit allen, die meinten gegen eine "Corona-Diktatur" kämpfen zu müssen.

Komlosys Buch zeichnet sich dadurch aus, dass sie auch Medien und Autorinnen heranzieht, die vorschnell in die Ecke der "Querdenkerei" abgelegt wurden. Gegen solche Etikettierungen wehrt sie sich zurecht. Für sie geht es um Argumente statt um Ausgrenzung von Positionen, was in Zeiten in denen nicht selten zwischen Fake-News und vom herrschenden Narrativ abweichenden Positionen nicht mehr unterschieden wird, auf jeden Fall der verbreiteten Diskussionsunfähigkeit nicht nur Linken zuwiderläuft.

Das bedeutet aber auch, dass man die von Komlosy gesammelten Argumente prüfen sollte. Da kann man sagen, dass die Pandemie und die Folgen seit 2020 nur in einer Welt passieren konnten, in der eben Kybernetik und digitale Technologien eine entscheidende Rolle spielen. Dafür liefert das Buch viele Beispiele.

Das ist aber nicht so besonders überraschend, denn natürlich sind die zentralen Technologien einer Epoche die Schlüsselmomente bei der Pandemiebekämpfung. Es ist auch evident, dass durch Corona die Digitalisierung einen massiven Schub bekommen hat, wie man am digitalen Unterricht in den Schulen sehen konnte. Das Virus traf auf eine Welt an der Schwelle zur Digitalisierung – und davon wurden auch die Gegenmaßnahmen geprägt.

Die in diesen Bereich führenden Konzerne haben natürlich die Gelegenheit genutzt, um die Durchsetzung der Technologien voranzutreiben. Dass aber diese Konzerne die Pandemie gesteuert oder sogar fabriziert haben, wie manche behaupten, dafür finden sich bei Komlosy keine Belege. Sie vertritt diese Thesen auch nicht, auch zum Nutzen der Impfungen äußert sie sich als Nichtmedizinerin erfreulich zurückhaltend.

Etwas zu große Bedeutung bekommen bei ihr der Gründer und Chef des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, und sein Konzept vom Great Reset. Da hätte man sich ein analytischeres Vorgehen gewünscht, in dem die Relevanz dieser Schrift eingeordnet wird.

Es scheint fast, dass vom Great Reset vor allen diejenigen reden, die Schwab und seinem Forum eine Macht zusprechen, die diese vielleicht gern hätten. Im ersten Teil des Buches befasst sich Komlosy mit verschiedenen Konjunkturzyklen recht sachkundig. Allerdings bleibt am Ende unklar, was bei diesen ganzen Theorien eine materialistische Untersuchung und was Science Fiction ist.

Besonders bei dem von Komlosys viel zitierten russischen Philosophen Leonid Grinin stellt sich diese Frage. Manche ihrer Thesen von der Disruption, der schöpferischen Zerstörung im Kapitalismus, ähneln den Texten des sozialrevolutionären Theoretikers Detlef Hartmann, der allerdings nicht im Literaturverzeichnis auftaucht.

Komlosy hat mit ihrem Buch einen Beitrag zur Debatte geliefert, ob die Corona-Zeit eine schnell vergessene Episode war, ob sie Spuren hinterlässt oder ob sie sogar – wie von ihr behauptet – eine Zeitenwende darstellt. Es wäre wünschenswert, wenn dies diskutiert, widerlegt, ergänzt, erweitert und nicht einfach ignoriert wird.

Der Autor hat mit Anne Seeck und Gerhard Hanloser das Buch "Corona und die linke Kritik(un)fähigkeit" herausgegeben.