Datenschutz: Steht Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in EU vor Verbot?

Im Visier des Verbotswunsches: Whatsapp und andere Messaging-Dienste. Symbolbild: Pixabay

Geleaktes Dokument: Spanien ist für Verbot der Verschlüsselung. Sozialdemokratisch geführte Regierung kann auf Gleichgesinnte in EU setzen. Spionageprogramme werden überflüssig?

"Alles sehr demokratisch … Das ist so, als würde man verbieten, dass wir Briefe in geschlossenen Briefumschlägen versenden", hat der renommierte Anwalt Gonzalo Boye als Reaktion darauf getwittert, dass Spanien sich in der EU stark macht, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu verbieten. Der deutsch-chilenische Anwalt, der in spanischen Hauptstadt Madrid lebt, reagiert damit auf die Veröffentlichung von Wired, die aus einem geleakten Dokument zitiert hat.

Spanien setze sich für ein Verbot der Verschlüsselung ein, die Hunderte von Millionen Menschen in der Europäischen Union betreffe, schreibt das Computermagazin. Das gehe aus dem durchgestochenen Dokument hervor. Deutlich werde, so Wired, dass 15 von 20 aufgeführten EU-Mitgliedstaaten "Vorschläge zur Überprüfung privater Nachrichten auf illegale Inhalte unterstützen".

Wired hat alle 20 Mitgliedstaaten, deren Ansichten in dem Dokument ausgeführt sind, um eine Stellungnahme gebeten. Niemand bestritt den Wahrheitsgehalt des Dokuments. Estland habe bestätigt, dass die Position des Landes von Experten, die in verwandten Bereichen und in verschiedenen Ministerien arbeiten, zusammengestellt worden sei.

Spanien vertritt laut Leak die "extremste" Position.

"Im Idealfall wäre es unserer Ansicht nach wünschenswert, die in der EU ansässigen Diensteanbieter gesetzlich daran zu hindern, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung einzuführen", werden spanische Vertreter in dem Dokument zitiert. In Spanien regieren Sozialdemokraten (PSOE) in der Koalition mit dem Linksbündnis "Unidas Podemos".

Ministerpräsident Pedro Sánchez spricht gerne von der "progressivsten Regierung" der Geschichte. Davon ist aber wenig in der tödlichen Flüchtlingspolitik zu spüren. Und auch nicht bei sozialen Rechten oder bei der Meinungsfreiheit.

Das Maulkorbgesetz wurde nicht wie versprochen gestrichen, sondern sogar ausgeweitet. In diese Richtung zielt auch das angestrebte Verschlüsselungsverbot.

EU: Kurs auf Ende der Verschlüsselung in Messaging-Diensten

Seit Jahren debattieren die EU-Staaten über Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikationsplattformen wie WhatsApp, Telegram oder Signal, ob die Verschlüsselung geschwächt oder abgeschafft werden sollten, damit Kriminelle nicht außerhalb der Reichweite der Strafverfolgungsbehörden kommunizieren können.

Bekannt ist, dass Großbritannien nach dem Brexit nun über das neue Online-Gesetz Einblick bekommen will, wogegen die Betreiber von Messaging-Diensten protestieren. So wie das Gesetz gestaltet sei, könne es das Ende verschlüsselter Kommunikation und damit die routinemäßige Überwachung von privaten Nachrichten bedeuten, schrieben Vertreter der Firmen in einem offenen Brief.

Wir sind der Meinung, dass es keinem Unternehmen, keiner Regierung und keiner Person gestattet sein sollte, unsere persönlichen Nachrichten zu lesen, und wir werden uns weiterhin für die Verschlüsselungstechnologie aussprechen und einsetzen.

Offener Brief

Schon die Briten hatten mit der Bekämpfung von Kindesmissbrauch argumentiert. Es ist sicher kein Zufall, dass die Argumentation auch von der zuständigen EU-Innenkommissarin Ylva Johansson zentral in ihrem Gesetzesvorhaben auftaucht, die sich für das Scannen privater Nachrichten starkmacht.

Netzpolitik.org hatte schon zu ihrem Vorhaben der Chatkontrolle getitelt, dass Johansson die "Öffentlichkeit in die Irre" führe. Ihre Aussagen seien zum Teil "irreführend oder schlicht falsch".

Experten, so führt Wired aus, argumentierten, dass eine Abschwächung der Verschlüsselung nur Schwachstellen einführen würde, die die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von Natur aus untergraben und die Privatsphäre der Nutzer gefährden würde.

Ebenso seien sie wiederholt zu dem Schluss gekommen, dass dies gefährdeten Gruppen, einschließlich Kindern, eher schaden als nützen würde.

"Die Aufhebung der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für alle wäre nicht nur unverhältnismäßig, sondern würde auch das Ziel, Kinder zu schützen, nicht erreichen", zitiert Wired Iverna McGowan, Generalsekretärin des europäischen Zweigs des Centre for Democracy and Technology.

"Ich finde es schockierend, dass Spanien offen erklärt, dass es eine Gesetzgebung geben sollte, die es den in der EU ansässigen Dienstleistern verbietet, eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu implementieren", zitiert Wired auch Riana Pfefferkorn. Auch die Wissenschaftlerin am Internet Observatory der Stanford University in Kalifornien hat das geleakte Dokument für Wired geprüft.

Spanien: Große Erfahrung in digitalem Ausspionieren

Es ist sicher auch kein Zufall, dass gerade Spanien eine extreme Position vertritt. Mit Spionage und Ausspähung unliebsamer Politiker, Aktivisten, Journalisten oder auch Anwälten – wie der oben genannte Boye – hat das Land große Erfahrung, wie die gigantische Spionage über die israelische Spionagesoftware Pegasus zeigt.

Fällt die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, braucht es Spionagetools wie Pegasus nicht mehr, um grundlegende Menschenrechte zu verletzen. Spanien hat zudem nicht alles getan, um den als "Catalangate" benannten Skandal aufzuklären.

Sogar im letzten Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums wird benannt, dass zwischen "2017 und 2020 bis zu 65 Handys" ausspioniert wurden. Der Geheimdienst CNI hat dies in 18 Fällen zugegeben, will aber angeblich über die "erforderlichen richterlichen Genehmigungen" verfügt haben.

Doch daran zweifelt auch der Pegasus-Untersuchungsausschuss im Europaparlament. Das Ausschussmitglied Hannah Neumann erklärte im Interview, dass man von einer "ideologischen Verfolgung" ausgehe. Die deutsche Grüne fügte an, Sicherheitsinteressen hätten "keinen Vorrang vor den Grundrechten".

Der Ausschuss fordert von Spanien eine "vollständige, faire und wirksame" Untersuchung aller Fälle. Einbezogen werden müssten auch die 47 Fälle, "bei denen unklar ist", ob es eine richterliche Anordnung gab.

Spanien müsse "sicherstellen, dass ausspionierte Personen Zugang zu wirksamen Rechtsmitteln haben und dass die gerichtlichen Untersuchungen so schnell wie möglich und auf unparteiische und gründliche Weise abgeschlossen werden".