1/6, der Putschversuch und ein verwundetes Imperium
Seite 2: USA: Putschversuch hätte (Teil-)Erfolg haben können
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Wenn es nur in einem dieser Fälle zu einem für das Trump-Lager günstigen Ergebnis gekommen wäre, wäre dies als ein Fanal verstanden worden. Der Putschversuch hätte dann durchaus zumindest in einen Teilerfolg - zum Beispiel in eine Wiederholung der Wahl unter dann bürgerkriegsähnlichen Umständen - münden können.
Dass die Lage selbst in den letzten Tagen vor 1/6 ernst war, zeigt die in der Geschichte der USA einmaligen Erklärung der zehn noch lebenden ehemaligen US-Verteidigungsminister, veröffentlicht in der Washington Post zwei Tage vor dem Putschversuch. Darin warnen dieselben Herren, die selbst Verantwortung für mehr als ein Dutzend gewaltsame Staatsstreiche – natürlich in anderen Ländern – tragen, in deutlichen Worten vor einem Rückgriff auf das Militär im Konflikt um das Wahlergebnis: "Versuche, die US-Streitkräfte in die Lösung von Wahlstreitigkeiten hineinzuziehen, würden uns in gefährliches, unrechtmäßiges und verfassungswidriges Terrain führen".
Die Wahl von Donald Trump vor vier Jahren hatte bis zum Wahltag selbst als einigermaßen aussichtslos gegolten. Dass der Mann sich dann vier Jahre nicht nur im Amt halten, sondern seine Macht im Weißen Haus und im Land ausbauen konnte, war kaum von jemandem erwartet worden. Tatsächlich war Donald Trump in seiner gesamten Amtszeit als US-Präsident in den herrschenden Kreisen der USA sehr wohl gelitten; er hatte lange Zeit den größten Teil derjenigen Leute hinter sich, die sich als Elite des Landes verstehen: die Bosse von Banken, Konzernen und Finanzindustrie unterstützten ihn in ihrer deutlichen Mehrheit.
Interessanterweise gab es am ehesten Widerstände im Militär und in den Geheimdiensten - was allerdings höchst spezifische Gründe hatte.5 Trump war auch erfolgreich darin, die Republikanische Partei so umzuformen, dass sie eine willfährige Machtmaschine in seinen Händen wurde – und dies weitgehend noch bis zum Tag vor dem Sturm auf das Kapitol. Vor allem aber gelang es Trump, die US-amerikanische Gesellschaft in großen Teilen weit nach rechts zu verschieben und eine für faschistoide Positionen und faschistische Gruppen offene Stimmung bei großen Teilen der Mittelschichten zu schaffen.
Auch die Zahl der organisierten und militärisch bewaffneten faschistischen Milizen hat sich in Trumps Amtszeit vervielfacht – Hajo Funke hat darauf in einem sorgfältig recherchierten Beitrag vor den US-Wahlen hingewiesen.6 Dass diese organisierten Faschisten – so die proud boys – sich am Sturm auf das Kapitol wohl nicht oder nicht in größerem Maß beteiligt haben, dürfte Kalkül sein; ganz sicher war dies nicht Ausdruck von Schwäche.
Wall Street Journal verabschiedet Trump äußerst höflich
Die Tatsache, dass die herrschenden Kreise Trumps Aktion, die ja als Aufruhr und Putschversuch gegen die Verfassungsorgane gebrandmarkt werden müsste, keineswegs grundsätzlich ablehnen, zeigt die Tatsache, dass nach dem Sturm auf das Kapitol das Thema "Amtsenthebung" nur kurz angesprochen wurde. Offensichtlich soll Trump auch die letzten Tage seiner Zeit als US-Präsident in Amt und Würden verbringen.
Das führende rechte Wirtschaftsblatt The Wall Street Journal, das Trump vier Jahre lang die Treue hielt, verabschiedete sich in einem Leitartikel von dem Putschisten-Milliardär in ausgesprochen höflicher Weise mit: "In the name of God – go!" Trump möge in Gottes Namen die Politbühne verlassen. Schon möglich, dass Trumps Abgang dann am Ende weniger galant stattfindet, zumal nun ein Impeachment-Verfahren doch, wenn auch schleppend, in Gang zu kommen scheint.
Doch all diese bedrohlichen und abstoßenden Entwicklungen auf der politischen Bühne der USA sind nicht primär einer durchgeknallten Person oder einem beutegierigen Familienclan zuzuschreiben. Benito Mussolini und Adolf Hitler mögen aus heutiger Sicht lächerliche Figuren sein; und aufgeklärte Menschen hielten sie auch damals, am Beginn ihres Aufstiegs zur Macht, für unernst, lächerlich, peinlich.
In Wirklichkeit war ihr Aufstieg jedoch erklärbar vor dem Hintergrund der Krise des damaligen kapitalistischen Systems in Italien beziehungsweise in Deutschland, der Zersetzung der bürgerlichen Gesellschaft und des realen oder drohenden Abstiegs der Mittelschichten als Ergebnis der wirtschaftlichen und sozialen Krise.
Die Tatsache, dass eine Figur wie Donald Trump an die Spitze der westlichen Führungsmacht gespült wurde, ist das Produkt des Niedergangs der US-amerikanischen Hegemonie, der Zersetzung der Mittelklasse in diesem Land und der umfassenden Krise der kapitalistischen Gesellschaft in Nordamerika. Dabei spielen das nicht aufgearbeitete Erbe der Sklaverei und der anhaltende, flächendeckende Rassismus eine wichtige Rolle.7 Zu Recht wiesen viele Kommentatoren darauf hin, dass die US-amerikanischen Sicherheitskräfte gegen die Black-lives-matter-Bewegung mit Panzerwagen und exzessiver Gewalt vorgeht, während sie die rechtsextremen Kapitol-Stürmer weitgehend gewähren ließen.
Die Gefahr ist sehr groß, dass Trump einen Wiedergänger findet, der dann die Früchte erntet, die er säte. Der seine Lehren aus 1/6 ziehen wird – so wie Adolf Hitler seine Lehren aus dem Putschversuch vom 9. November 1923 zog, der im Übrigen auch als "operettenhaft" kleingeredet wurde.
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