11 mal 11

Gratwanderungen im Terrorland: Alain Brigands Projekt 11'09''01 SEPTEMBER 11

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Das Konzept ist denkbar schlicht: 11 Kurzfilme, jeder von ihnen genau 11,9 Minuten lang. Thema: Der 11. September 2001. Völlig frei in der Gestaltung erhalten die Filmemacher Gelegenheit, ihre persönlichen Gedanken zu den New Yorker Terrorakten in Bilder zu fassen. Teilnehmer: 11 verschiedene, mehr oder weniger namhafte Regisseure, schön säuberlich nach den Kriterien der kulturellen Relativität und der Political Correctness über die Weltkarte verteilt:

Zwei Frauen sind darunter, ein Israeli und ein Araber natürlich, eine Iranerin und ein Amerikaner, ein Lateinamerikaner, zwei West- und ein Osteuropäer, selbstverständlich dürfen auch Mittel- und Ostasien und Afrika nicht fehlen. Organisiert hat das Projekt der französische Produzent Alain Brigand; jetzt hatte sein Film 11'09''01 SEPTEMBER 11 auf dem Festival von Venedig Premiere. Alles in allem klingt es fürchterlich, papieren, nach überflüssigem "Euro-Pudding" ein Projekt, das alle Filmkunst schon im Ansatz unter einem politisch-kulturellen Konzept erstickt. Denn Kunst und Kompromiss, das hat noch nie gut zusammengepasst. Und der Grat ist sehr schmal, auf dem sich das Kino einem Ereignis wie dem 11.September nähern kann.

Sieht man dann den Film, ist man dann zuerst einmal sehr angenehm überrascht: Ein rauchender Schornstein. Die Armut eines Flüchtlingslagers, der selbst eine Uhr fremd ist. Kinder, die in einer ärmlichen Ziegelbrennerei schuften müssen. Eine junge Lehrerin, die den Flüchtlingskindern Unterricht gibt, und ihnen zu erklären versucht, was in New York passiert ist. Aber die Stadt liegt weit weg, und letztlich fehlen die Massstäbe, in Worten begreiflich zu machen, was geschehen ist. Was bleibt sind wieder nur die Bilder: Der Schlot der Brennerei, der düster-bedrohlich wirkt, und den rauchenden Türmen von Manhattan erschreckend ähnelt. Wahrnehmungspsychologie ist das wohl auch. Aber ganz knapp nur schrammt Samira Makhmalbaf dabei an der Grenze zum Kitsch vorbei: Denn so perfekt inszeniert ihr Film ist, so sehr gleiten kleine Kinder, die im Kino über Politik reden, auch in eine allzu verbindliche Niedlichkeit ab, und kanz kurz muss man an eine Sendung wie "Dingsda" denken. Aber letztlich gelingt es doch. Und zwar so gut, dass ihr Film, ohne sich eines einzigen der bekannten Bilder zu bedienen, ein Gefühl für die Dimension der Ereignisse weckt, der manch anderem Beitrag fehlt.

Schon bevor der Film in den USA angelaufen ist, hat auch der Streit darüber bereits begonnen. Die New York Post klagt über die "französischen Obszönitäten" und spricht von Antiamerikanismus. Man kann dies kaum nachempfinden. Denn dies ist keine Reportage, kein Film, der Täter benennen und mit Opfern mitleiden möchte oder auch nur könnte. "Unser Film setzt nicht auf Erinnerung, sondern auf Analyse." sagt Alain Brigand. Der Reiz des Films 11'09''01 SEPTEMBER 11 liegt gerade in der Vielfalt der Perspektiven. Perfekt ist zwar keiner der Beiträge, aber in ihrer Verschiedenheit ergeben sie ein Gesamtbild, das dem Geschehen letztlich angemessener scheint, als manche noch so gut gemeinte Dokumentation der letzten Tage.

Ähnlich wie Makhmalbaf zeigt dies auch Ken Loach Beitrag. Sein Kurzfilm ist, wie alle Loach-Filme, ein politisches Pamphlet. Aber schon sehr lange hat man kein ähnlich starkes mehr gesehen: Loachs Film besteht aus einem Brief an die Hinterbliebenen der Opfer. Sein Verfasser ist der Musiker Vladimir Vega, ein in London lebender chilenischer Emigrant, der sein Verständnis und Mitgefühl gerade damit begründet, dass er selbst ähnliches erlebt habe, auf den Tag genau 28 Jahre zuvor, am 11.September 1973, beim blutigen Militärputsch gegen Salvador Allende. Wieder sieht man hier George W. Bush, der in seiner ersten Stellungnahme sagt "Freedom itsself was attacked", aber kommentiert werden diese Worte mit den Bildern des rauchenden Moneda-Palastes von Santiago - der Putsch wurde wie jeder weiß und Loach unmißverständlich macht, von den USA inszeniert, die folgenden Verbrechen, Terror, Vertreibung und Schreckensherrschsaft Pinochets von Nixon und seinen Nachfolgern zumindest gebilligt.

Die Amerikaner als Täter. Das relativiert die New Yorker Ereignisse, und stellt sich dabei doch nie in die Nähe zu jener nachdem 11.September grassierenden wohlfeilen Salonrhetorik der Amerikakritik a la "ein wenig trifft es auch die Richtigen". Denn was Loach perfekte Gratwanderung zeigt, was jede noch so kleine Geste Vladimir Vegas ausdrückt: Das Terror wie er an jenen beiden 11.Septembern geschah, trifft nie die Richtigen, ist in sich per se verbrecherisch.

Bisher hielt sich das internationale Autorenkino mit Reaktionen auf die Anschläge erstaunlich zurück. Das ist nur zu verständlich, denn wie soll man mit Bildern gegen die Bilder ankämpfen, die sich seit einem Jahr in unser aller Hirne eingebrannt haben: wie das Flugzeugs den Südturm des World Trade Center wie ein Stück Butter durchschlägt; zwei rauchende Hochhaustürme über der Skyline von Manhattan. der Zusammenbruch der Gebäude; Bush als er die Nachricht erhält; die mit hellgrauem Staub bedeckten Überlebenden; die Ruinenästhetik von Ground Zero? Auch die 11 Filmemacher, die hier einen ersten Versuch wagen, das zeigt sich bald, entgehen diesen Bildern nicht. Im besten Fall arbeiten sie mit ihnen, zitieren sie metaphorisch an, wie Loach und Makhmalbaf.

Am häufigsten werden sie indirekt gezeigt, gefiltert durch einen Fernsehschirm am Bildrand, etwa bei Claude Lelouch, in dessen Film letztlich aber das globale Ereignis vom privaten Liebesdrama umklammert wird. Und von Effekthascherei: Denn Lelouch zeigt die Liebe zwischen einem New Yorker Fremdenführer und einer Taubstummen, die zwar den Fernseher anhat, aber den Ton nicht hören kann - und deswegen das Ereignis verpasst, weil sie ihrem Geliebten gerade einen Abschiedsbrief schreibt. Besser gelingt das Idrissa Ouedraogo aus Burkina Faso. Sein Film ist der mit Abstand humorvollste: Er zeigt ein paar Strassenjungen, die glauben in Uagadugu plötzlich den weltweit gesuchten Osama bin Laden zu erkennen. Zu Hause holen sie ihre Speere, denn es winken 25 Millionen Dollar Lösegeld. Ein witziges Spiel mit den Bilderklischees des zur Ikone des Bösen gewordenen bin Laden.

Die bekannten Bilder hingegen ganz zu ignorieren, wie dies auch Shohein Imamuras pathetischer, in das donnernde Gebot "Es gibt keinen heiligen Krieg" mündende Beitrag versucht, funktioniert gar nicht, wirkt angestrengt oder zufällig - der 11.September 2001 bleibt ein visuelles Ereignis. Schwach wirkt auch der hektische Film des Israelis Amos Gitaï, der aus einer einzigen Einstellung die ersten 11 Minuten nach einem Bombenanschlag in Jerusalem filmt, der sich am gleichen Tag ereignet. Gezeigt wird eine Journalistin beim erfolglosen Versuch, vom ihrem Sender live zugeschaltet zu werden - es soll wohl Medienkritik bedeuten, wenn ihr Bericht von den Ereignissen in New York verdrängt wird.

Das einzige wirklich neue Bild gelingt ausgerechnet dem Amerikaner Sean Penn: In einer märchenhaften Einstellung zeigt er ein Wohnungsfenster, durch das mit dem Zusammenbruch der Türme plötzlich Sonnenlicht einfällt, das Wachsen des Lichts ist dabei auch ein gelinge Metapher für das Licht der aufklärenden Erkenntnis, für ein Begreifen, das - im besten Fall - auch mit dem 11.September verbunden werden kann.

Ein anderer Versuch, stammt vom Mexikaner Alejandro González Iñárritu: Er zeigt einfach nur eine schwarze Leinwandfläche. Man hört Tonfetzen aus der TV-Berichterstattung, letzte Worte auf Anrufbeatwortern. Und manchmal sieht man in kurzen Bildresten die Wände der Hochäuser. Ganz abstrakt wirken sie ruhig und schön. Bis man die Menschen erkennt, die an ihnen entlagstürzen. Auch sie scheinen zu fliegen, zu schweben... Das ist, in seiner von Filmen Guy Debords entlehnten Form zwar auch eine Absage an die Spektakelgemeinschaft des Publikums der Nachrichtensendungen. Es sind aber, noch mehr, Bilder, die einem das Grauen des 11.September nahe bringen, ohne es seiner Anonymität zu berauben. Denn manchmal ist das Grauen ganz leicht, nicht schwer.