2012 wird Russland Nummer 1 in Sachen Software-Entwicklung sein
Wetten, dass? Die Long Bets Foundation will langfristiges Denken fördern
Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird Russland sowohl vom Wall Street Journal als auch von der New York Times zur Nummer eins in Sachen Software-Entwicklung erklärt. Spätestens im Jahr 2050 werden wir Signale von einer Intelligenz außerhalb unseres Sonnensystems empfangen. Ebenfalls bis spätestens 2050 werden maschinelle Wesen ein Bewusstsein entwickeln. Und was den Turing Test angeht, so wird ein Computer diesen spätestens im Jahr 2029 bestehen. Totaler Unsinn? Dann wetten Sie doch dagegen! Seit wenigen Tagen betreibt die Long Bets Foundation ein virtuelles Wettbüro für Visionäre und solche, die es werden wollen.
Wie das Wired-Magazin in seiner Mai-Nummer berichtet, haben bereits 17 Fachleute ihr Geld und Ansehen in die Waagschale geworfen. Die Themen sind breit gestreut und reichen von Transport, Verlagswesen und Künstlicher Intelligenz über Astronomie, Software, Nachrichten und Sport bis hin zu Biowaffen, Medizin und Physik (diese drei alle unter)
Ziel der Langzeitwetten ist es, die Menschheit im Allgemeinen oder zumindest die Wissenschaft im Speziellen voranzubringen und insbesondere das langfristige Denken zu fördern. Deshalb werden Wetten auf das Wetter von übermorgen oder auf die Ergebnisse der aktuellen Champions-League nicht akzeptiert. Dafür gibt es schließlich die traditionellen Buchmacher.
Dagegen sind Wetten wie die von Johannes Kepler schon eher im Sinne der Long-Bets-Erfinder Stewart Brand, Gründer des Online-Salons The Well, und Wired-Herausgeber Kevin Kelly. Kepler wettete, er werde die Umlaufbahn des Planeten Mars in nur acht Tagen berechnen. Tatsächlich nahmen seine Kalkulationen fünf Jahre in Anspruch. Die Wette hatte Kepler also verloren. Aber sein Ergebnis, dass nämlich die Umlaufbahn des Mars keinem Kreis, sondern vielmehr einer Ellipse entspricht, war ein enormer Gewinn - für Keplers Ansehen und die Wissenschaft insgesamt.
Unter Wissenschaftshistorikern gilt Keplers Wette aus dem Jahre 1600 als die erste ihrer Art. Über die Jahrhunderte hinweg finden sich immer wieder prominente Beispiele - so entstand auch Isaac Newtons Hauptwerk Philosophiae naturalis principia mathematica (1687) aufgrund einer Wette-, doch erst im 20. Jahrhundert erfasste das Wettfieber weite Forscherkreise. Zwei der berühmtesten Wettbüros der Vereinigten Staaten waren bzw. sind das Bell Forschungslabor in New Jersey und das Stanford Linear Accelerator Center (SLAC) in Stanford Mehrere Jahrzehnte lang dokumentierte bei Bell ein Buch Wetten aller Art. Forschungsergebnisse, politische Wahlen, Wirtschaftsfragen - alles war erlaubt. Bis zu seinem Verschwinden im Jahr 1990 war dieses Wettregister die Bibel der Office Geeks von Bell und inspirierte das Wettregister der Kollegen am SLAC in Kalifornien. ‚The Official SLAC Theory Group Record of Wagers' reicht bis ins Jahr 1984 zurück und verzeichnet immerhin 60 Wetten.
Bei den Long Bets geht es nicht in erster Linie darum, dass einer der beiden Wettpaten höchstpersöhnlich die Aufgabe löst. Um bei den Langzeitwetten zu gewinnen, genügt es, nach Ablauf der festgesetzten Frist Recht zu haben. Prinzipiell können Langzeitwetten bis in alle Ewigkeit dauern. Deshalb werden die Initiatoren so mancher Wette deren Einlösung nicht mehr leibhaftig erleben können. Macht nichts, reich wird man durch die Langzeitwetten sowieso nicht, denn das Preisgeld muss einer gemeinnützigen Organisation gestiftet werden. Außerdem zeigt die Geschichte der wissenschaftlichen Wetten, dass es sowieso nie um das große Geld ging: auf dem Spiel standen meist Wein, Champagner, Kaviar, ein Abendessen zu viert, Playboy-Abos oder - in Zeiten der Ölkrise - einhundert Gallonen Benzin.
Margaret Geller, Astronomin am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics, findet Wetten unter Wissenschaftlern "irgendwie abstoßend." Für sie sind diese Wetten "einer dieser eher unwissenschaftlichen Macho-Aspekte in der Forschung." So jedenfalls äußerte sie sich bereits 1998, als die New York Times über das Phänomen der Wissenschaftler-Wette berichtete. Sie dürfte kaum überrascht sein, dass sich unter den Wettenden bislang keine Frauen befinden.
Dass die Wettsieger ihr Geld nicht behalten dürfen, hat nicht zuletzt rechtliche Gründe: Wetten, bei denen Geld auf dem Spiel steht, gelten als Glücksspiel, und das ist in den USA verboten. Auf informeller Ebene wird dieses Gesetz zwar laufend unterwandert, doch eine Stiftung wie die Long Bets Foundation muss sich an die offiziellen Regeln halten. Sämtliche Wetteinsätze fließen in den "Farsight Fund" Portfolio bei Capital Research, werden also möglichst langfristig angelegt.
Zu jeder Wette gehören freilich zwei Parteien. Hält niemand dagegen, kommt die Wette nicht zustande. Auch bei Long Bets finden sich so genannte offene Wetten, die noch auf ein Contra warten. Neue Wetten werden gerne angenommen, sofern sie die Bedingungen erfüllen. Wer keine tausend Dollar, sondern nur eine kesse Lippe riskieren will, kann sich auch mit Postings im Forum begnügen, das in diesen Tagen eröffnet wird.
Hier eine kleine Übersicht der bereits akzeptierten Langzeitwetten:
Transport Bis 2030 wird es Standard sein, dass Passagierflugzeuge nicht mehr von menschlichen Piloten gesteuert werden.
Verlagswesen Bis 2010 werden über 50 Prozent aller weltweit verkauften Bücher ‚on demand'gedruckt, und zwar in Taschenbuch-Qualität, direkt an der Ladentheke.
Künstliche Intelligenz Bis zum Jahre 2029 wird ein Computer den Turing Test bestehen.
Astronomie Irgendwann wird das Universum aufhören zu expandieren.
Software Bis zum Jahr 2012 wird Russland sowohl vom Wall Street Journal als auch von der New York Times zur Nummer eins in Sachen Software-Entwicklung erklärt.
Nachrichten Bis zum Jahr 2007 werden Weblogs der New York Times Website den Rang ablaufen (basierend auf einer Google-Suchanfrage mit fünf Stichwörtern oder Formulierungen, die den Top-Five News Stories entsprechen).
Sport Das US- Fußballteam der Herren wird die Fußball-Weltmeisterschaft gewinnen, bevor die Red Sox (Baseballteam) die World Series gewinnen.