25 Jahre nach Barlows "Unabhängigkeitsdeklaration des Cyberspace"

Datenstrom. Die Visualisierung ist der Spielfilm-Reihe "Matrix" nachempfunden. Bild: Tobias_ET/Pixabay

Von den Bergen der Visionen in die Täler der Realitäten

Am 8. Februar 1996 veröffentlichte John Perry Barlow in Davos seine "Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace". Inspiriert von der "Informationsrevolution" und dem "Dot-Com-Boom" der 1990er Jahre prophezeite er eine "andere Cyberwelt" und forderte eine neue "Heimstatt des Geistes" (New Home of Mind), wo sich die "Community" ohne Einmischung, Bevormundung oder gar Unterdrückung von Regierungen frei entfalten könne.

"Regierungen der industriellen Welt", schrieb er, "ihr müden Riesen aus Fleisch und Stahl, ich komme aus dem Cyberspace, dem neuen Zuhause des Geistes. Als Vertreter der Zukunft bitte ich euch aus der Vergangenheit, uns in Ruhe zu lassen. Ihr seid nicht willkommen unter uns. Ihr habt keine Souveränität, wo wir uns versammeln."

25 Jahre später wissen wir, dass Barlow Recht und Unrecht hatte. Er hatte Recht mit der Prophezeiung einer "neuen Welt". Aber er hatte Unrecht, dass dies eine Welt ohne Regierungen sein würde. Die Klärung der Frage, ob Barlow recht oder unrecht hatte, ist aber gar nicht so wichtig. Interessanter als seine Projektionen sind die Prozesse und der Kontext seiner Proklamation.

Die "Geschichte des Internets"

Um die "Geschichte des Internets" und damit auch die Quelle der digitalen Revolution zu verstehen, sollte man bis zum 4. Oktober 1957 zurückgehen. Der "Sputnik-Schock" veranlasste die Eisenhower-Regierung, nicht nur die Nasa, sondern auch Arpa, die "Advanced Research Project Agency", zu gründen. Arpa operierte unter dem US-Verteidigungsministerium und wurde beauftragt, die Vereinigten Staaten widerstandsfähiger gegen ausländische Angriffe zu machen. Beide Agenturen wurden zu Erfolgsgeschichten: Im August 1969 schickte die Nasa den ersten Mann zum Mond. Und im Oktober 1969 präsentierte Arpa ein dezentrales Kommunikationsnetzwerk.

In den 1960er Jahren erkannte man in den USA die Verwundbarkeit zentralisierter und hierarchisch aufgebauter Kommunikationsnetze. Nicht umsonst wurden bei Revolutionen und Staatsstreichen Rundfunkstationen und Telegraphenämter zuerst besetzt. Wer die Kommunikation kontrolliert, kontrolliert die Gesellschaft. Die Arpa-Idee war, ein dezentrales Netzwerk aufzubauen, bei dem ein zerstörter Server problemlos durch einen anderen Server ersetzt werden kann, ohne dass die Ende-zu-Ende-Kommunikation darunter leidet.

Wenn ein solches Netz mehr Server als die Sowjets Raketen hätte, wäre de facto dieses Netz in einem Nuklearkrieg unzerstörbar. Am 29. Oktober 1969 verband Arpanet vier Computer in Stanford, Los Angeles, Santa Barbara und Utah. Für manche ist dies der Geburtstag des Internets.

1969 war auch das Jahr, in dem Verhandlungen über die Begrenzung strategischer Atomwaffenarsenale (Strategic Arms Limitation Talks/Salt) zwischen den USA und der Sowjetunion begannen. Nach den riskanten Erfahrungen der Kuba-Krise, die die Welt 1962 an den Rand eines Atomkrieges gebracht hatte, wollten beide Seiten das nukleare Wettrüsten unter Kontrolle bringen. Dies hatte Konsequenzen für Arpanet. Das Projekt verschwand zwar nicht, hatte aber für das Pentagon nicht mehr vorrangige Priorität.

Die interessante Nebenwirkung dieses Prioritätenwechsels war, dass das Pentagon zwar weiterhin einen Großteil der Forschung finanzierte, die Anwendungen sich aber mehr und mehr vom militärischen in den akademischen Bereich verlagerten. Die Doktoranden, die an Arpanet beteiligt waren, hatten schnell das Potential der bahnbrechenden Erfindung dezentraler and interoperabler Netzwerke erkannt.

Die Idee, ein Netzwerk zu haben, das Macht nicht zentralisiert, sondern Wissen an den Rändern akkumuliert, ein Netzwerk, das die freie Kommunikation zwischen jedermann, jederzeit und an jedem Ort von Text, Bild und Ton unabhängig von Grenzen ermöglicht, das war ein ebenso attraktives wie geniales Konzept für eine Generation, die nach den schmerzhaften Jahren des Vietnam-Krieges ihre eigene Vorstellung von Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung hatte.

Vor allem für die "Youngsters" von der US-Westküste wurde in den 1970er und 1980er Jahren dieses Forschungsprojekt zu einem Werkzeug, mit dem sie eine völlig neue und zwar virtuelle Welt aufbauten. Diese basierte auf bis dato unbekannten Protokollen und Codes: RFCs, TCP/IP, IPv4, DNS, ccTLDs, gTLDs, GIFs, das "@", die "Dot's" und vieles mehr, einschließlich der Netzwerk-Institutionen wie IETF und IANA, wurden zu Eckpfeilern einer Welt, die damals außerhalb dieser "Community" kaum einer verstand.

Diese "virtuelle Welt" gründete sich auf Selbstregulierung und dem Konzept einer grenzenlosen, individuellen Freiheit. Sie war eine elitäre Welt, die von den "Guten" ("Good Guys") bevölkert wurde. Wer sich falsch verhielt und die "Netiquette" verletzte, wurde "geflamed". Ausschluss aus der Community war die Höchststrafe. Kaum einer, der Zugang zum Netz hatte, riskierte das damals.

Diese sehr elitäre virtuelle Welt schuf eine Illusion eines Abgehobenseins von den Niederungen der Alltagsprobleme. Dabei gab es eigentlich keine Trennung von der "realen Welt", aber zu jener Zeit interessierte sich im "Rest der Welt" kaum jemand für das Gehabe der "Geeks" and "Freaks" im Cyberspace.

Und die Politik verstand gleich gar nicht, worum es dabei ging. Minister oder Parlamentarier hatten keine Ahnung, welche potenzielle Macht mit diesem "Netzwerk von Netzwerken" da heranwuchs.

Als etwa Jon Postel im Jahr 1986 einen vertrauenswürdigen Manager für eine deutsche Top Level Domain (ccTLD) unter dem Kürzel ".de" suchte, reichte ein Telefonanruf und ein Handschlag für die Delegation. Keine Partei im Bundestag hat sich damals mit der Vergabe einer Ressource beschäftigt, die heute von 17 Millionen Internet-Nutzern als virtuelles Zuhause genutzt wird.

Die leicht begehbare Brücke in die "reale Welt" baute 1991 Tim Berners Lee mit seinem "HTTP-Protokoll". Das World Wide Web erweiterte nicht nur die Freiheitsräume für akademische Diskussionen, es schuf auch neue Geschäftsmöglichkeiten.

Die 1990er Jahre sahen den "Dot-Com-Boom" und die Vision einer "New Economy". Plötzlich war das Internet in aller Munde, zumindest in den USA.

Die EU war beschäftigt mit der Privatisierung der Telekommunikation und der Aufnahme neuer Mitglieder aus Osteuropa. In dem vom damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors 1993 veröffentlichen 298-seitigen Zukunftspapier, dem "Weißbuch zu Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung", taucht das Wort "Internet" kein einziges Mal auf.

Die Clinton-Regierung (1993-2000) hingegen erkannte sehr wohl, dass "das Internet" viel mehr ist als ein "technisches Spielzeug". Die "National Information Infrastructure Initiative" (NII) von US-Vizepräsident Al Gore (1993) räumte alle politischen und regulatorischen Hindernisse für eine dynamische Entwicklung des Internet beiseite und startete den "Digitalen Tornado".

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.