AKW-Laufzeitverlängerung, um Atom-Frankreich vor dem Blackout zu retten?

In Deutschland wird nicht über das Desaster beim Nachbar gesprochen, für den hierzulande Kohle und Gas verbrannt und Gas geliefert wird. Indessen werden viel zu warme Flüsse in Frankreich zum Problem.

Es ist erstaunlich, wie die Debatte über die Laufzeitverlängerung, bzw. den "Streckbetrieb", für die drei noch am Netz befindlichen uralten Atomreaktoren läuft. Auch die Grünen geben immer deutlichere Zeichen eines Umschwenkens. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wittert Morgenluft.

Er ist aber genau der Verantwortliche des Bundeslandes, wo die erneuerbaren Energien besonders ausgebremst wurden, wie auch der Netzausbau. Dies hat der Atomenergie-Experte von Greenpeace, Heinz Smital, am heutigen Samstag noch einmal sehr deutlich im Deutschlandfunk-Interview hervorgehoben.

Gefälligkeitsgutachten

Söder hat die Laufzeitverlängerungs-Debatte mit einem mehr als dubiosen "Gutachten" angeheizt, um das Abschaltdatum der Uraltmeiler zu verschieben. Sogar die Süddeutsche Zeitung (SZ) spricht bereits im Titel ihres Beitrags davon, dass es sich bei dem "Gutachten" des Tüv-Süd um eine "schlampig argumentierende Auftragsarbeit" handele. Das sagt eigentlich schon alles.

Ein anderes Gutachten kommt laut SZ zum Ergebnis, dass das Söder-Gutachten "für den Einsatz als Waffe in der aktuellen Diskussion um eine Laufzeitverlängerung in der politischen Arena bestimmt" gewesen sei und der Verdacht bestehe, "dass hier ein Gefälligkeitsgutachten erstellt worden ist".

Der Tüv-Süd ist kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um Atomkraft und politische Interessen geht. So hatte Marvin Oppong vor sechs Jahren zum Thema eine interessante Recherche vorgelegt, der den "unorthodoxen Seitenwechsel in einer gefährlichen Branche" aufzeigte. Berichtet werden vier Fälle , in denen Tüv-Sachverständige nahtlos in den Dienst eines Atomkraftwerksbetreibers traten. Darunter zum Beispiel Stephan Kranz.

Kranz prüfte für den Tüv erst Atomkraftwerke in Baden-Württemberg und wechselte dann den Arbeitsplatz zur EnBW Kernkraft GmbH Philippsburg.

Zuvor war Kranz beim Tüv im Rahmen atomrechtlicher Verfahren tätig und führte Sachverständigentätigkeiten aus, die alle EnBW-Atomkraftwerke in Baden-Württemberg betrafen, also Neckarwestheim 1 und 2, Obrigheim und die beiden Kernkraftwerke in Philippsburg, wo Kranz jetzt für die EnBW tätig ist.

Kontextwochenzeitung

Der Tüv-Süd ist aber nicht nur in diesem hochgefährlichen Bereich auffällig, worauf zum Beispiel auch Detlef zum Winkel hinweist. Der Tüv-Süd ist auch das Unternehmen, das dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale die Unbedenklichkeit seiner Anlage in Brumadinho bescheinigt hatte, wo am 25. Januar 2019 eine giftige Schlammlawine 270 Menschen unter sich begrub (Bergbaukatastrophe: "Nie wieder Brumhadino!").

Der Tüv Süd wurde auf Schadensersatz verklagt, gegen den zuständigen Manager ermittelt die Staatsanwaltschaft München unter anderem wegen Bestechung, fahrlässigen Herbeiführens einer Überschwemmung und fahrlässiger Tötung, alles in Nebentäterschaft durch Unterlassen.

Jungle.world

Der bayrische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) will die Dynamik nutzen, um noch weiter zu gehen. Er will auch die Ende 2021 stillgelegten Meiler in Grohnde, Brokdorf und vor allem das in Bayern gelegene Kernkraftwerk Gundremmingen wieder anwerfen. Es zeigt sich, dass diejenigen, die nie einen Ausstieg aus der Atomkraft wollten, nun mit Hinweis auf den Ukraine-Krieg wieder in die Atomtechnik einsteigen wollen.

Da wundert man sich auch nicht, wenn CSU-Generalsekretär Martin Huber nun in die Debatte wirft, die drei verbliebenen Atommeiler sogar fünf Jahre länger als geplant am Netz zu lassen. Er kommt dafür sogar mit populistischen sozialen Argumenten, dabei hat seine Partei bisher verhindert, für ein hohes Energieangebot zu sorgen, das er nun angeblich über Atomkraftwerke sichern will.

Der Nutzen der AKW?

Dabei ist allen klar, dass Atomkraftwerke, anders als Gas- oder Kohlekraftwerke, keine Fernwärme liefern, die hier im Winter besonders dringend benötigt wird. Diverse Gutachten demonstrieren, dass die Weiternutzung von Atommeilern kaum Nutzen bringen würde, dass die Reaktoren genauso inflexible Kohlekraftwerke ersetzen würden, während flexible Gaskraftwerke weiterlaufen müssten.

Ließe man die drei aktiven Meiler auch 2023 weiterlaufen, würden maximal 8,7 Terawattstunden (TWh) des Erdgasverbrauchs eingespart. Das entspricht rund ein Prozent des deutschen Jahresverbrauchs.

Auch wäre eine Änderung des Atomgesetzes nötig. "Wenn man ernsthaft eine Änderung des Atomgesetzes wollte, wird das ohne Parteitag nicht gehen", sagte der ehemalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Er spricht sich strikt gegen jede Laufzeitverlängerung aus, egal wie sie getarnt wird. "Das werden wir nicht anfassen", sagt Trittin. Ob das der Fall ist, darf angesichts der grünen Umfaller aber inzwischen bezweifelt werden.

Eine Laufzeitverlängerung, die kurzfristig die Stromversorgung aufrechterhalten könnte, steht praktisch und rechtlich auf dünnem Boden. Eigentlich muss es für Atomkraftwerke alle zehn Jahre Sicherheitsüberprüfungen geben. Bei den verbliebenen drei Atommeiler liegen die aber schon 13 Jahre zurück. Nur mit Blick auf die Abschaltung zum Jahresende wurde darauf verzichtet. Für einen Weiterbetrieb müssten die Überprüfungen durchgeführt werden.

Auch aufwendige und teure Nachrüstungen müssten folgen, um auf den "Stand der Technik" zu kommen. Zudem ist Neckarwestheim ein bekannter Korrosionsfall und weist viele gefährliche Risse auf.

Die Grünen und die Laufzeitverlängerung

Der Steilpass der FDP in der Ampel-Koalition, Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, wird nicht nur in der oppositionellen Union begierig aufgenommen, auch grüne Umfaller stimmen immer deutlicher in den Chor ein. Bereits Ende Februar hatte der grüne Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck offen über eine Laufzeitverlängerung für die drei verbliebenen Atomkraftwerke nachgedacht.

Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt fordert nun sogar einen sogenannten "Streckbetrieb" bei den Meilern über das Jahresende hinaus.

Die verwies auf ein "Sonderproblem" in Bayern, weshalb verbliebenen Brennstäbe ausgebrannt werden müssen, um über die Runden zu kommen. Und am Samstag ist schließlich nun auch die Bundesumweltministerin Steffi Lemke eingeschwenkt. Sollte der nun laufende und nachgeschobene Stresstest zur Energiesicherheit ergeben, "dass Bayern tatsächlich ein ernsthaftes Strom- bzw. Netzproblem haben könnte, dann werden wir diese Situation und die dann bestehenden Optionen bewerten", erklärte sie.

Etwas ehrlicher ist da schon die die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. Denn die grüne Franzika Brantner verwies wenigstens auch auf die schwierige Lage in Frankreich, wo derzeit die Hälfte der Atomreaktoren wegen Korrosion, Wartung und Reparaturen nicht am Netz sind.

Dazu kommen die Kühlprobleme, weshalb etliche Atomkraftwerke zudem heruntergeregelt werden müssen, weil die Gewässer schon zu sehr aufgeheizt sind. Das geschieht, obwohl immer neue Ausnahmegenehmigungen erteilt wurden und werden.

Frankreich: Flüsse über 28 Grad warm

Wie die französischen Medien inzwischen melden, sind Flüsse wie die Tarn-et-Garonne zum Teil schon über 28 Grad warm. Sie sollten eigentlich nicht wärmer als 25 Grad werden, danach drohen ein Fischsterben und fatale Auswirkungen auf Flora und Fauna. Liberation titelte diese Woche, ob man das Atomkraftwerk Golftech nun stoppen sollte oder die Lachse opfern.

Obwohl ein Meiler wegen laufender Korrosionsprüfungen abgeschaltet ist und der zweite runtergeregelt ist, steige schon ein "Geruch nach faulem Fisch von der Garonne" auf. Von der Fußgängerbrücke aus, die das Atomkraftwerk Golftech mit den Turbinen des benachbarten Wasserkraftwerks verbindet, sehe man längst die Kadaver einiger großer Fische auf einer Betonplatte liegen, die etwa zehn Meter unterhalb des Wasserspiegels liegt.

Denn hier in Frankreich liegt die reale Ursache der Atomdebatte in Deutschland. Telepolis hatte immer wieder darüber berichtet, wie die Blackout-Katastrophe immer klarer auf die Tagesordnung gerückt ist. Im letzten Frühjahr mussten die Verbraucher sogar im April wieder zum Stromsparen aufgefordert werden, um den Blackout abzuwenden.