Frankreich droht "Katastrophe" bei der Stromversorgung

AKW Cattenom; Archivbild (2005): Stefan Kühn/CC BY-SA 3.0

Gerade ist das Land an einer Notlage vorbeigeschrammt und Experten halten die Prognosen der EDF für die Atomstromproduktion völlig überschätzt

Am vergangenen Montag wurde es im Atomstromland Frankreich wieder einmal bei der Stromversorgung eng: Die Bevölkerung im Land war, weil es etwas kalt wurde, erneut zum Stromsparen aufgerufen, um das Netz zu stabilisieren.

Das Land mit seinem altersschwachen Atompark hängt wieder einmal am europäischen Stromnetz. Fast die Hälfte aller Atommeiler sind aus verschiedensten Gründen nicht betriebsbereit. Am frühen Sonntag musste Frankreich wieder etwa sieben Gigawatt von den Nachbarn ziehen, also etwa die Strommenge, die sieben Atommeiler liefern würden.

Allein etwa ein Drittel des Stroms, den Deutschland am Sonntag mit Kohlekraft erzeugt hat, wurde nach Frankreich exportiert. Auf den Energiekarten wird Frankreich aber weiter als grün wegen geringer Klimagase geführt, da der CO2-intensive Strom, der nach Frankreich fließt, in Nachbarländern registriert wird.

Die Lage in Frankreich spitzt sich seit Jahren zu, ohne dass die Regierung die notwendigen Maßnahmen ergreift. Der Atompark wird immer älter. Uralte Atommeiler müssen, wie am Oberrhein in Fessenheim, abgeschaltet werden. Ersatz in dem Land, das sich weiter in der Atom-Sackgasse verrennt, statt auf erneuerbare Energien zu setzen, ist nicht in Sicht. In Flamanville sollte mit dem "neuen" sogenannten "European Pressurized Reactor" (EPR) eigentlich schon vor zehn Jahren ein Meiler ans Netz gehen und die "Renaissance" der Atomkraft einläuten.

Vor 2024 wird der EPR, der für Pleiten, Pech und Pannen steht, jedenfalls ohnehin nicht ans Netz gehen. Er sollte das wegen gravierender Sicherheitsprobleme eigentlich nie tun.

Heute wird in Frankreich gewählt: Kein Kandidat setzt wirklich auf einen Schwenk, stattdessen überbietet man sich mit Versprechen über Atomkraft-Neubauten.

So hatte der amtierende Präsident Macron auch die sogenannten "Small Modular Reactors" (SMR) aus dem Hut gezaubert, die es aber bisher nicht einmal gibt. Klar ist für jeden Beobachter außerhalb der Atomlobby, dass das Land auf diesem Kurs ins Desaster abrutscht, da zehn bis 15 Jahre jedenfalls kein Atomersatz in Sicht kommen kann.

Experten, die der spezialisierte Nachrichtendienst Montel News zitiert, gehen längst von einem baldigen "Desaster" in dem Land aus, das alle Jahre wieder vor einem Blackout steht. Frankreich müsse möglicherweise schon früh im laufenden Jahr die Versorgung einschränken, wenn es nicht in der Lage sei, die Stromnachfrage deutlich zu senken.

"Januar und Februar werden die knappsten Monate sein, aber zwei Wochen kaltes Wetter zwischen November und Dezember wären eine Katastrophe", zitiert Montel Nicolas Goldberg von Columbus Consulting. "Wenn der Winter sehr kalt beginnt, im Oktober oder November, mit einer Nachfrage von etwa 80 GW, wird es sehr angespannt sein", sagte der EnAppSys-Analyst Jean-Paul Harreman.

Die Prognosen über die Stromproduktion des staatlichen Atomstrombetreibers EDF halten Experten für "unrealistisch". Die EDF, die zwischenzeitlich sogar wieder die wenigen Kohlekraftwerke ans Netz nehmen musste, meint, sie könnte bis zum nächsten Winter die Atomstromproduktion um 20 Gigawatt erhöhen. Den Schätzungen seien "schwer zu glauben", meinen dagegen Experten, da die aufgetretenen Korrosionsprobleme offensichtlich weit verbreitet sind.

Die EDF hat bei der Überprüfung ihrer 56 Reaktoren auf Korrosion in sicherheitsrelevanten Bereichen in sieben Atomkraftwerken festgestellt. Diese Probleme führen dazu, dass die Reaktoren länger als geplant vom Netz bleiben werden. Der Experte Energy Quantified (EQ) Eylert Ellefsen, geht sogar davon aus, dass es zu "weiteren Reaktorausfällen" kommen wird.

Sogar wenn man der EDF ihre unrealistischen Einschätzungen abnimmt, wonach die Atomkraftkapazität im kommenden Dezember wieder 53 Gigawatt betragen solle, ist damit nicht viel gewonnen. Als es im Januar vor zehn Jahren so richtig eng wurde, weil es wieder einmal normal winterlich kalt war, betrug die Atomkraftkapazität noch 60 Gigawatt.

Der Spitzenverbrauch, wegen der vielen Stromheizungen in ungedämmten Häusern, stieg dabei sogar auf 102 Gigawatt an Derzeit liegt die Atomkraftkapazität aber nur bei knapp 31 Gigawatt.

Das Risiko eines intensiven und langanhaltenden Kälteeinbruchs sei zudem im nächsten Winter statistisch gesehen höher, da "wir seit 2018 keinen mehr hatten", meint zum Beispiel Yves Le Thieis, Analyst bei Compass Lexicon. Kalte Winter würden im Durchschnitt alle drei bis vier Jahre zurückkehren, sagte er.

Die geringe französische Atomstromproduktion bedeute, dass Frankreich über den nächsten Winter hinweg mit einer Versorgungskrise rechnen muss, selbst wenn weiterhin russisches Gas nach Europa fließt, so Goldberg. Denn das ist der nächste Unsicherheitsfaktor, der hinzukommt: Dass die Sanktionen gegen Russland dafür sorgen, dass das Backup, das andere Länder für das schwächelnde Atomstromland vorhalten, nicht in Betrieb gehen kann.