Acht Gründe für Gespräche über Frieden in der Ukraine

Britische und deutsche Soldaten spielen während des Weihnachtsfriedens 1914 im Niemandsland Fußball. Bildnachweis: Universal History Archiv

Appell für einen Weihnachtsfrieden. Es gehe darum, "unser Mitgefühl füreinander zu erkennen". Verweis auf historisches Vorbild 1914.

Während sich der Krieg in der Ukraine seit neun Monaten hinzieht und ein kalter Winter Einzug hält, rufen Menschen auf der ganzen Welt zu einem Weihnachtsfrieden auf, der an den inspirierenden Weihnachtsfrieden von 1914 erinnert. Mitten im Ersten Weltkrieg legten die Soldaten ihre Waffen nieder und feierten das Fest gemeinsam im Niemandsland zwischen ihren Schützengräben. Diese spontane Versöhnung und Verbrüderung ist seit Jahren ein Symbol für Hoffnung und Mut.

Medea Benjamin ist die Mitbegründerin der US-Friedensorganisation CODEPINK und Buchautorin.

Hier sind acht Gründe, warum auch diese Feiertage das Potenzial für Frieden und eine Chance bieten, den Konflikt in der Ukraine vom Schlachtfeld an den Verhandlungstisch zu verlagern.

1. Der erste und dringlichste Grund ist das unglaubliche, tägliche Sterben und Leiden in der Ukraine und die Chance, Millionen von Ukrainern davor zu bewahren, ihre Häuser, ihr Hab und Gut und die eingezogenen Männer, die sie vielleicht nie wieder sehen, verlassen zu müssen.

Da Russland wichtige Infrastrukturen bombardiert hat, sind Millionen von Menschen in der Ukraine derzeit ohne Heizung, Strom und Wasser, während die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen. Der Vorstandsvorsitzende des größten ukrainischen Stromversorgers hat Millionen weiterer Ukrainer aufgefordert, das Land zu verlassen, angeblich nur für ein paar Monate, um die Nachfrage für das kriegsgeschädigte Stromnetz zu verringern.

Nicolas J. S. Davies ist Buchautor und recherchiert für CODEPINK.

Nach Angaben des ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal hat der Krieg mindestens 35 Prozent der ukrainischen Wirtschaft vernichtet. Die einzige Möglichkeit, den Zusammenbruch der Wirtschaft und das Leiden des ukrainischen Volkes aufzuhalten, ist die Beendigung des Krieges.

2. Keine der beiden Seiten kann einen entscheidenden militärischen Sieg erringen, und mit ihren jüngsten militärischen Erfolgen ist die Ukraine in einer guten Verhandlungsposition.

Es ist deutlich geworden, dass die militärische Führung der USA und der Nato nicht glaubt und möglicherweise nie geglaubt hat, dass ihr öffentlich erklärtes Ziel, der Ukraine bei der Rückeroberung der Krim und des gesamten Donbass mit Gewalt zu helfen, militärisch erreichbar ist.

Tatsächlich warnte der Generalstabschef der ukrainischen Streitkräfte Präsident Selenskyj im April 2021, dass ein solches Ziel nicht ohne ein "inakzeptables" Maß an zivilen und militärischen Opfern zu erreichen sei, was ihn dazu veranlasste, Pläne für eine Eskalation des Bürgerkriegs zu diesem Zeitpunkt nicht zu verfolgen.

Bidens oberster Militärberater, der Vorsitzende der Generalstabschefs Mark Milley, sagte am 9. November vor dem Economic Club of New York:

Es muss eine gegenseitig anerkannt werden, dass ein militärischer Sieg wahrscheinlich im wahrsten Sinne des Wortes nicht mit militärischen Mitteln zu erreichen ist ...

Französische und deutsche Militärs schätzen die Lage in der Ukraine pessimistischer ein als die USA und gehen davon aus, dass der derzeitige Eindruck militärischer Gleichheit zwischen beiden Seiten nur von kurzer Dauer sein wird. Das unterstreicht Milleys Einschätzung und deutet darauf hin, dass es die beste Chance für die Ukraine sein könnte, aus einer Position der relativen Stärke heraus zu verhandeln.

3. US-Regierungsvertreter, insbesondere in der republikanischen Partei, schrecken allmählich davor zurück, das enorme Maß an militärischer und wirtschaftlicher Unterstützung fortzusetzen.

Nachdem sie die Kontrolle über das Repräsentantenhaus übernommen haben, versprechen die Republikaner eine genauere Prüfung der Ukraine-Hilfe. Der Kongressabgeordnete Kevin McCarthy, der Sprecher des Repräsentantenhauses werden wird, kündigt an, dass die Republikaner keinen "Blankoscheck" für die Ukraine ausstellen werden.

Das spiegelt die wachsende Opposition an der Basis der Republikanischen Partei wider. Eine Umfrage des Wall Street Journal vom November zeigt, dass 48 Prozent der Republikaner der Meinung sind, dass die USA zu viel für die Ukraine tun, während es im März noch 6 Prozent waren.

4. Der Krieg verursacht Unruhen in Europa.

Die Sanktionen gegen russische Energielieferungen haben die Inflation in Europa in die Höhe schnellen lassen und einen verheerenden Druck auf die Energieversorgung verursacht, der den Produktionssektor lahmlegt. Die Europäer spüren zunehmend, was die deutschen Medien als "Kriegsmüdigkeit" bezeichnen.

Der Krieg produziert nur Verlierer

Doch "Kriegsmüdigkeit" beschreibt nicht ganz genau die zunehmende Stimmung in Europa. "Kriegsweisheit" trifft es vielleicht besser.

Die Menschen haben viele Monate Zeit gehabt, sich mit den Argumenten für einen langen, eskalierenden Krieg ohne klares strategisches Ziel auseinanderzusetzen – einen Krieg, der ihre Volkswirtschaften in eine Rezession stürzt. Immer mehr von ihnen, mehr als jemals zuvor, sagen den Meinungsforschern nun, dass sie erneute Bemühungen um eine diplomatische Lösung unterstützen. In Deutschland sind es 55 Prozent, in Italien 49 Prozent, in Rumänien 70 Prozent.

5. Der größte Teil der Welt ruft zu Verhandlungen auf.

Das wurde auf der UN-Generalversammlung 2022 deutlich, auf der sich 66 Staats- und Regierungschefs, die die Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren, sehr eindrücklich für Friedensgespräche aussprachen. Philip Pierre, der Premierminister von St. Lucia, war einer von ihnen, der Russland, die Ukraine und die westlichen Mächte aufforderte, "den Konflikt in der Ukraine sofort zu beenden, indem sie unverzüglich Verhandlungen aufnehmen, um alle Streitigkeiten im Einklang mit den Grundsätzen der Vereinten Nationen dauerhaft beizulegen." Der Emir von Katar erklärte vor der Versammlung:

Wir sind uns der Komplexität des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine sowie der internationalen und globalen Dimension dieser Krise voll bewusst. Dennoch fordern wir einen sofortigen Waffenstillstand und eine friedliche Beilegung des Konflikts, denn das ist es, was letztlich geschehen wird, unabhängig davon, wie lange dieser Konflikt noch andauern wird. Eine Fortsetzung der Krise wird nichts an diesem Ergebnis ändern. Sie wird nur die Zahl der Opfer erhöhen und die katastrophalen Auswirkungen auf Europa, Russland und die Weltwirtschaft verstärken.

6. Der Krieg in der Ukraine ist, wie alle Kriege, katastrophal für die Umwelt.

Angriffe und Explosionen verwandeln alle Arten von Infrastruktur – Eisenbahnen, Stromnetze, Wohnhäuser, Öldepots – in verkohlte Trümmer, füllen die Luft mit Schadstoffen und bedecken die Städte mit Gift und Müll, was Flüsse und Grundwasser verseucht.

Die Sabotage der russischen Unterwasserpipelines der Nord Stream, die russisches Gas nach Deutschland liefern, führte zu der möglicherweise größten jemals aufgezeichneten Freisetzung von Methangas, die den jährlichen Emissionen von einer Million Autos entspricht. Der Beschuss der ukrainischen Kernkraftwerke, darunter Saporischschja, das größte in Europa, hat die berechtigte Befürchtung geweckt, dass sich tödliche Strahlung in der Ukraine und darüber hinaus ausbreiten könnte.

In der Zwischenzeit haben die Sanktionen der USA und des Westens gegen die russische Energiewirtschaft zu einer Bonanza für die fossile Brennstoffindustrie geführt, die damit eine neue Rechtfertigung für die Ausweitung ihrer schmutzigen Energieexploration und -produktion hat, und damit die Welt weiter auf Kurs in Richtung Klimakatastrophe hält.

7. Der Krieg hat verheerende wirtschaftliche Auswirkungen auf die Länder der Welt.

Die Staats- und Regierungschefs der größten Volkswirtschaften der Welt, die Gruppe der führenden 20 Nationen, erklärten am Ende ihres Gipfels im November auf Bali, dass der Krieg in der Ukraine "unermessliches menschliches Leid verursacht und die bestehenden Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschärft, indem er das Wachstum hemmt, die Inflation erhöht, die Versorgungsketten unterbricht, die Energie- und Ernährungsunsicherheit verstärkt und die Risiken für die Finanzstabilität erhöht".

Unser langjähriges Versäumnis, den relativ kleinen Teil unserer Ressourcen zu investieren, der zur Beseitigung von Armut und Hunger auf unserem ansonsten reichen und reichhaltigen Planeten erforderlich wäre, verurteilt bereits Millionen unserer Brüder und Schwestern zu Elend, Not und frühem Tod.

Das wird nun durch die Klimakrise noch verschärft, da ganze Gemeinschaften von Überschwemmungen weggespült, von Waldbränden niedergebrannt oder durch mehrjährige Dürren und Hungersnöte ausgehungert werden. Die internationale Zusammenarbeit war noch nie so dringend erforderlich, um Probleme zu bewältigen, die kein Land allein lösen kann. Dennoch ziehen es die reichen Nationen vor, ihr Geld in Waffen und Kriege zu stecken, anstatt die Klimakrise, die Armut oder den Hunger angemessen zu bekämpfen.

8. Der letzte Grund, der alle anderen Gründe noch dramatisch verstärkt, ist die Gefahr eines Atomkriegs.

Selbst wenn unsere Staats- und Regierungschefs rationale Gründe hätten, einen unbegrenzten, immer weiter eskalierenden Krieg einem ausgehandelten Frieden in der Ukraine vorzuziehen – und es gibt sicherlich mächtige Interessen in der Waffen- und fossilen Brennstoffindustrie, die davon profitieren –, muss die existenzielle Gefahr, zu der das führen könnte, unbedingt den Ausschlag zugunsten des Friedens geben.

Wir haben vor kurzem gesehen, wie nah wir an einem viel größeren Krieg sind, als eine einzige verirrte ukrainische Flugabwehrrakete in Polen landete und zwei Menschen tötete. Präsident Selenskyj weigerte sich zu glauben, dass es sich nicht um eine russische Rakete handelte. Wäre Polen dem gefolgt, hätte man sich auf das Nato-Abkommen und die Klausel zur gegenseitigen Verteidigung berufen und einen Krieg zwischen der Nato und Russland auslösen können.

Wenn ein weiterer vorhersehbarer Vorfall wie dieser die Nato dazu veranlasst, Russland anzugreifen, kann es nur eine Frage der Zeit sein, bis Russland den Einsatz von Atomwaffen als einzige Option im Angesicht einer überwältigenden militärischen Macht sieht.

Aus diesen und anderen Gründen schließen wir uns den religiösen Führern auf der ganzen Welt an, die zu einem Weihnachtsfrieden aufrufen und erklären, dass die Weihnachtszeit "eine dringend benötigte Gelegenheit bietet, unser Mitgefühl füreinander zu erkennen. Gemeinsam sind wir überzeugt, dass der Kreislauf von Zerstörung, Leid und Tod durchbrochen werden kann".

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Znetwork. Dort findet er sich im englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.

Medea Benjamin ist die Mitbegründerin von CODEPINK und der Menschenrechtsgruppe Global Exchange. Seit mehr als 40 Jahren setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit ein. Sie ist Autorin von zehn Büchern, darunter "Drone Warfare: Killing by Remote Control", "Kingdom of the Unjust: Behind the US-Saudi Connection" und "Inside Iran: The Real History and Politics of the Islamic Republic of Iran". Ihre Artikel erscheinen regelmäßig in Zeitungen wie Znet, The Guardian, The Huffington Post, CommonDreams, Alternet und The Hill.

Nicolas J. S. Davies recherchiert für "CODEPINK: Women for Peace" und ist Buchautor, u.a. von "Blood On Our Hands: the American Invasion and Destruction of Iraq. Zusammen mit Medea Benjamin hat er gerade "War in Ukraine: Making Sense of a Senseless Conflict" veröffentlicht.

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