Adieu Datenbank Edvige! Adieu?
In Frankreich beginnt die Mobilisierung gegen die Superdatenbank des Inlandsgeheimdienstes erste Früchte zu tragen. Doch die Rädelsführer der Anti-Edvige-Front trauen den Versprechungen Sarkozys nicht über den Weg
Gestern übergab die Innenministerin der CNIL (Datenschutzkommission) ein neues Edvige-Dekret, dass die Kritiker vorerst beruhigen soll. Die Datenschützer wollen sich für die Prüfung einen Monat Zeit lassen. In der Woche zuvor hatte sich das Staatsoberhaupt erstmals öffentlich zur wachsenden Unruhe ob der drohenden Datenerfassung von Millionen von Franzosen zu Wort gemeldet. Das Volk war wohl nicht mehr zu überhören.
Die Menschenrechtskommission der UNO hatte die Grande Nation übrigens bereits im Juli wegen Edvige gerügt, wie erst in den letzten Tagen in der französischen Presse bekannt wurde. Die Kritik der Menschenrechtler galt vor allem dem Umstand, dass Edvige (Exploitation documentaire et valorisation de l’ information generale) durch eine einfache Verordnung und nicht ein Gesetz auf die Gallier losgelassen wurde. Eine solche Datenbank solle im Parlament debattiert werden können, und nicht bloß Angelegenheit der Exekutive bleiben. Sarkozy versprach nun Maßnahmen, die „innerhalb der nächsten Tage“ von Statten gehen sollen, um die persönlichen Freiheiten zu schützen. Ein Zugeständnis, dass diese durch Edvige bedroht sind?
Zunächst stellte der Präsident die Datenerfassung von Personen, die eine politische, gewerkschaftliche, religiöse oder wirtschaftliche Rolle spielen oder spielen wollen, in Frage. Auch Informationen über sexuelle Neigungen und den Gesundheitszustand einer Person könnten eventuell nicht in die Datenbank aufgenommen werden. Edvige war aber vor allem auch ob des Umstandes, dass erstmals Minderjährige und Personen registriert werden sollten, die eventuell die „öffentliche Ruhe stören könnten“, ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Also, ehe noch überhaupt etwas passiert ist!
Die Innenministerin Alliot-Marie stellte nun ein „Recht auf Vergessen“ für Minderjährige in Aussicht, sofern diese fürderhin ein tadelloses Betragen an den Tag legten. Dann würden die Informationen nach einer „bestimmten Zeit“ aus der Datenbank gelöscht werden. Wie lange genau diese bestimmte Zeit währen soll, weiß natürlich noch niemand.
Was nun die Edvige-Gegner von all diesen Versprechungen halten, erklärt Meryem Marzouki, Präsidentin von IRIS (Bewegung für ein solidarisches Internet) im Telepolis- Gespräch.
Sie waren und sind mit IRIS federführend an der Anti-Edvige-Front beteiligt. Die Online-Petition zur Aufgabe von Edvige zählt nun über 180.000 Unterschriften, wovon über Tausend von Verbänden, Organisationen und Parteien stammen. Sind die Zugeständnisse der letzten Tage, jüngst wurde von einer „Modifizierung“ der Verordnung gesprochen, ein Sieg der Zivilgesellschaft über den krassierenden Kontrollwahn?
Meryem Marzouki: Vorerst handelt es sich wohl bloß um einen Etappensieg. Denn die Ansagen der Regierung sind mehr als widersprüchlich. Manche sprechen von einer revidierten Verordnung, andere von einem Gesetz. Ich habe das Gefühl, dass man die breite Protestbewegung gegen Edvige, auseinander dividieren will, indem die Sorgen mancher gehört werden, die anderer nicht. Die Innenministerin konsultiert zur Zeit Gewerkschaften und Antirassismusbewegungen, um, wie es der Präsident verlangt hat, eine Einigung herzustellen und die Gemüter zu beruhigen. Unser Kollektiv aber, bestehend aus 800 Organisationen, will als Kollektiv empfangen werden, und nicht jeder für sich. Was wir wollen, ist die völlige Zurücknahme der Verordnung vom 1.Juli, die Einstellung von Edvige. Ich habe jedenfalls seit ich Präsidentin von IRIS bin, und das bin ich seit 10 Jahren, noch nie eine derartige Mobilisierung wegen einer Datenbank erlebt. Denn Edvige ist natürlich bei weitem nicht die erste problematische Datenbank der Sicherheitskräfte. Wir möchten die derzeitige Aufregung zum Anlass nehmen, um alle in Frage zu stellen.
Was wird also, glauben Sie, in diesem eventuell bevorstehenden Edvige-Light-Dekret verbleiben?
Meryem Marzouki: Wie gesagt, die Ankündigungen sind verworren. Die Datenerfassung Minderjähriger und von Personen, die eventuell die öffentliche Ordnung stören könnten, verbleibt auf jeden Fall. Dass die Zivilgesellschaft offenbar, also Vereine und Gewerkschaften u.a., nicht mehr von der Datenbank erfasst werden sollen, hat genauer betrachtet, nicht viel zu bedeuten. Denn all diese Personen können nach wie vor, sobald der Verdacht besteht, vielleicht eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darzustellen, von Edvige erfasst werden. Und was bitteschön ist genau mit dieser öffentlicher Ordnung gemeint? Unser Kollektiv „non à Edvige“ hat jedenfalls 12 Einsprüche beim zuständigen obersten Gericht, dem „conseil d’ etat“, gegen diese Datenbank eingelegt, und der soll Ende Dezember statuieren.
Warum glauben Sie, haben die Franzosen diesmal so heftig reagiert?
Meryem Marzouki: Weil sie ganz genau verstanden haben, dass jeder von Edvige betroffen sein könnte. Nimmt man die Definitionen der Verordnung beim Wort, so werden damit Daten von Millionen von Personen angepeilt. Millionen! Ich orte zudem zwei äußerst beunruhigende Tendenzen, die dieses Edvige-Dekret, neu oder alt, vor gibt: Zum Einen, dass Minderjährige wie Volljährige behandelt werden, und zum Anderen, dass Personen erfasst werden sollen, ehe noch überhaupt etwas passiert ist. Ich denke diese Ausrichtungen sind Ausdruck eines ganz bestimmten politischen Willens.
Ist Frankreich nun mit Edvige Champion der Sicherheitsdatenbanken?
Meryem Marzouki: Frankreich ist jetzt die einzige Demokratie der Welt, die mit dem Edvige-Dekret versucht, eine politische Polizei zu schaffen. Denn es sollen ja auch rein bürgerliche Aktivitäten von der Datenbank erfasst werden. Also Leute wohlgemerkt, die kein Strafvergehen begangen haben. Ihr einziges „Vergehen“ bestünde darin, in einem Verein, einer Gewerkschaft oder einer Partei aktiv geworden zu sein. Doch abgesehen von dieser französischen Besonderheit: die Tendenz zu einer generalisierten Überwachung aller besteht natürlich überall auf der Welt. Die Überwachungstechnologien existieren, also werden sie genutzt.
Wer hat Zugang zu den von Edvige gesammelten Informationen?
Meryem Marzouki: Vor allem die Polizei. Wir haben ausgerechnet, dass insgesamt 400 000 Polizisten mit Einwilligung ihrer Hierarchie, die Datenbank einsehen können. Wir mussten aber feststellen, dass so manche Polizisten Sicherheitsdatenbanken zu privaten Zwecken konsultieren.
Sie sind in einer bürgerlichen Bewegung engagiert, und noch dazu deren Präsidentin. Glauben Sie, dass sie selbst von Edvige schon erfasst sind?
Meryem Marzouki: (lacht) Das weiß ich nicht. Man hat keine Möglichkeit zu erfahren, ob und was erfasst hätte werden können. Zudem befindet sich Edvige gerade in der Phase, wo sie mit Daten angefüllt wird.
Geht der Widerstand gegen Edvige nun weiter? Trotz einer offenbar bevorstehenden „modifizierten“ Verordnung, wie von der Innenministerin versprochen?
Meryem Marzouki: Natürlich! Wir lassen bis zur endgültigen Aufgabe der Datenbank nicht locker. Auch wenn tatsächlich ein neues, “verbessertes“ Dekret auftauchen sollte, so wird dieses mit Bestimmtheit noch immer die Erfassung Minderjähriger und von Personen, welche angeblich die öffentliche Ordnung gefährden könnten, beinhalten. Wir rufen deshalb für den 16. Oktober, dem St. Edwige-Tag, in ganz Frankreich zu einer Mobilisierung aller auf, die dem herrschenden Kontrollwahn Paroli bieten wollen. Die Demonstranten sind dazu aufgerufen, Akten mit persönlichen Informationen zu erstellen, um diese bei einem Kommissariat oder dem Innenministerium zu hinterlegen. Wir möchten nämlich der Polizei die Arbeit erleichtern!