AfD-Zoff um Verhältnis zu Russland

Den Rücktritt von Fraktionschef Tino Chrupalla würden einige AfD-Mitglieder begrüßen. Archivbild: © Olaf Kosinsky / CC BY-SA 3.0

Rücktrittsforderungen gegen Fraktionschef Chrupalla: Parteifreunde schäumen wegen Botschaftsparty zum "Tag des Sieges" über Nazi-Deutschland. Zerreißt es nun die AfD?

In der AfD brodelt es: Der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland gereicht ihr nach Meinung mancher Parteifreunde nicht mehr zur Ehre. Gleiches gilt für Tino Chrupalla, Ko-Chef der Bundestagsfraktion. Wie konnten sie nur dieser Einladung folgen? Was am 9. Mai in der russischen Botschaft in Berlin gefeiert wurde, wird – Überraschung – von durchschnittlichen NS-Nostalgikern in der AfD immer noch als Schmach und Schande gesehen, auch 78 Jahre später.

Die damalige Sowjetunion und mit ihr die gesamte Anti-Hitler-Koalition hätten aus ihrer Sicht den Krieg nicht gewinnen dürfen – daran ändert die heutige taktische Anbiederung der AfD gegenüber der Russischen Föderation und das Beleidigtsein über die führende Rolle der USA in der westlichen Welt nichts.

Chrupalla legte nach einem Bericht der Berliner Zeitung über die Botschaftsparty Wert auf die Feststellung, dass er sich dort nicht für die Befreiung vom Faschismus bedankt, sondern nur aus Höflichkeit ein Geschenk überreicht habe – "wie bei solchen Anlässen üblich".

Wieso ihm die diplomatische Geste nun peinlich ist, liegt auf der Hand. Das ZDF berichtete am Donnerstag über einen internen AfD-Gruppenchat, von dem der Sender Screenshots erhalten haben soll. Manche der wutentbrannten Beiträge trieften erwartungsgemäß von tiefbraunem Geschichtsrevisionismus und Rassismus – sie erweckten fast den Eindruck, der Zweite Weltkrieg habe 1945 mit einem sowjetischen Überfall auf Deutschland begonnen.

"Barbarische Mongolenstürme"

Die Rotarmisten, das waren nach Meinung eines Abgeordneten "keine Soldaten, das waren barbarische Mongolenstürme". Ein bayerisches AfD-Mitglied wird mit den Worten zitiert: "Diese Verharmlosung der millionenfachen systematischen schweren Kriegsverbrechen (Mord, Vergewaltigung, Vertreibung) der Sowjets kann man Patrioten nicht erklären." Die Unterstützung Russlands könne man 85 Prozent der Westdeutschen nicht erklären.

"Tino und Herr Gauland mögen sich erklären. Ich habe den Eindruck, wir haben hier grundverschiedene Ansichten, warum wir das hier alles eigentlich machen", schrieb laut dem ZDF-Bericht ein AfD-Mitglied aus NRW.

Ein Kollege aus Baden-Württemberg griff Chrupalla persönlich an: "Ich bin fassungslos ob solcher Selbstverleugnung oder alternativ solcher Naivität." Der stellvertretende Fraktionschef Norbert Kleinwächter brachte sogar den Rücktritt Chrupallas ins Spiel: "Jeder, Freund wie Feind, würde Tinos Rücktritt von allen Ämtern begrüßen. Ich fordere ihn nicht, hielte ihn aber für einen Segen für unsere Partei und Fraktion."

Hier stellt sich die Frage, was eigentlich absurder war: Die Einladung der russischen Botschaft an AfD-Vertreter zu diesem Jahrestag, oder dass sie der Einladung gefolgt sind. Eingeladen waren standardmäßig auch Politiker anderer im Bundestag vertretener Parteien, aber viele von ihnen blieben erwartungsgemäß – unter anderem wegen des Krieges, den die Russische Föderation aktuell in der Ukraine führt – dem Empfang fern.

Über die Teilnahme von Altkanzler Gerhard Schröder ärgern sich viele seiner SPD-Parteifreunde, die von Klaus Ernst stößt bei zahlreichen Linken auf Unverständnis – wegen der aktuellen russischen Politik. Aber nur im Fall der AfD ist das Geschichtsbild mit Blick auf 1945 das Hauptproblem.

Unabhängig davon, dass die Putin-Adiministration die Leistungen der Roten Armee im Kampf gegen Nazi-Deutschland heute zwar bei passender Gelegenheit hervorhebt, sich aber bei anderen Gelegenheiten äußerst negativ über die Sowjet-Zeit äußert – zum Beispiel, wenn es darum geht, sich bei der orthodoxen Kirche anzubiedern – hätte wohl jeder verstanden, wenn Mitglieder der AfD an diesem Tag nicht in die russische Botschaft in Berlin eingeladen worden wären.

AfD-Aussteigerin warnte russische Gesellschaftskammer vor Jahren

Denn eine echte Überraschung sind die Chatprotokolle nicht. Der russische Botschafter muss eigentlich gewusst haben, wen er sich da ins Haus geholt hat, um den "Tag des Sieges" über Nazi-Deutschland zu feiern. Selbst wenn er nicht oft linksliberale deutsche Zeitungen liest.

Vor gut vier Jahren hatte die AfD-Aussteigerin Franziska Schreiber die staatsnahe russische Gesellschaftskammer vor ihrer Ex-Partei gewarnt: Seit in der AfD ein Flügel aus "Anhängern des historischen Nationalsozialismus, Nostalgikern, die vom deutschen Kaiserreich schwärmen, und anderen übersteigerten Nationalisten" fast die Hälfte der Partei hinter sich gebracht habe, sei sie auf einem sehr gefährlichen Weg, sagte Schreiber im Frühjahr 2019 in einer Videoschalte vor dem Gremium aus Politologen, Medienschaffenden sowie Vertretern von Berufs- und Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und kulturellen Einrichtungen.

Belege dafür, dass die Aussteigerin sich das nicht aus den Fingern gesaugt hatte,gab es reichlich. Bereits im September 2017 hatte Alexander Gauland bei einem "Kyffhäuser-Treffen" der AfD in Thüringen von einem "Recht" gesprochen, "stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen". Mehrere deutschsprachige Medien hatten seinerzeit darüber berichtet.

Gemeinsamkeiten und ein weiterer Unterschied

Der Investigativjournalist Tobias Ginsburg hatte 2018 nach einer längeren Undercover-Recherche in seinem Buch "Die Reise ins Reich: Unter Reichsbürgern" die Strategie der Köpfe einer Mischszene aus AfD-Akteuren, Reichsbürgern und Rechtsesoterikern beschrieben, die wieder in den ehemaligen Ostgebieten Fuß fassen wollen – etwa mit einem germanischen Siedlungsprojekt in Russland. Dort soll nach deren Vorstellung eine Art Refugium für die "Weiße Rasse" entstehen, falls es zum Endkampf gegen die islamische Welt kommt.

Ideologische Gemeinsamkeiten dieses Milieus mit Putin und dessen Anhängerschaft sind vor allem ultrakonservative Abneigungen, etwa gegen Queerfeministinnen und ökologische Bewegungen. Das Feindbild Islam ist allerdings im Kreml-Umfeld weit weniger ausgeprägt – sonst hätte der muslimische Präsident der Teilrepublik Tschetschien, Ramsam Kadyrow, der Putin gerne mit Kriegsrhetorik übertrifft, wohl weniger Spielräume. Auch Kadyrows Vision, Ostdeutschland zu besetzen, kam wohl in AfD-Kreisen weniger gut an.

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