AfD und AKP: Brüder im Geiste

Die AfD lässt keine Gelegenheit aus, mit rassistischen Ausfällen gegen Türken zu hetzen. Dabei müsste sie zur türkischen Regierungspartei AKP ein inniges Verhältnis pflegen. Ein Kommentar

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Der 16. Februar war ein Tag der Erleichterung. Der Journalist Deniz Yücel wurde nach mehr als einem Jahr aus der türkischen Haft entlassen und konnte das Land verlassen - gemeinsam mit seiner Frau und einer Gruppe enger Freunde, die sich ein Jahr lang unermüdlich für ihn eingesetzt und ihn schließlich in Istanbul in Empfang genommen hatten.

Es war ein Tag der Erleichterung, weil ein Journalist, der aufgrund seiner Arbeit von der türkischen Regierung in Geiselhaft genommen wurde, zurück in die Freiheit kam. Die absurden Vorwürfe gegen ihn lassen die Strippenzieher in Ankara bestehen - sie brauchen dieses Feigenblatt aus Lügen, um nicht vor den eigenen Anhängern das Gesicht zu verlieren.

Weniger als eine Woche später brachte die AfD-Fraktion das Thema Yücel im Bundestag auf die Tagesordnung. Nicht etwa, um ihm zu gratulieren oder den Einsatz der Bundesregierung für seine Freilassung zu würdigen. Nein, weit gefehlt. Die rechtsradikale Partei, die in aktuellen Umfragen auf bis zu 16 Prozent der Stimmen kommt, beantragte, Texte bzw. Äußerungen von Yücel zu missbilligen. Außerdem beklagte die Partei, Yücel habe im Zuge seiner Freilassung eine "Vorzugsbehandlung" durch die Bundesregierung erhalten - und tat so, als hätte man sich für den Menschenrechtler Peter Steudtner oder die Journalistin Mesale Tolu nicht ebenso engagiert.

Bei dem Wunsch nach Missbilligung ging es ganz konkret um einen Text Yücels vom August 2011 in der taz, der eine Replik war auf den haarsträubenden Unsinn, den Thilo Sarrazin in seinem Bestseller "Deutschland schafft sich ab" verzapft hatte. Yücel hat mit seinem "Super, Deutschland schafft sich ab!" ins Schwarze getroffen. Vom ersten Moment an drehte die Wut- und Empörungsmaschinerie der rechten Szene voll auf. Bis heute ist Yücel deren Zielscheibe für ihren Hass, ihre Frustration und nicht zuletzt ihre entlarvende Dummheit. Übrigens regelmäßig, wenn es um Yücel geht, auch im Telepolis-Forum. Dabei ist die ziemlich brillante und herrlich bissige Kolumne allein anhand des Humors und der zahlreichen maßlosen Überspitzungen recht einfach als Satire zu erkennen.

Dass die AfD nun im Bundestag einen satirischen Text eines Journalisten missbilligen wollte (und damit freilich krachend gescheitert ist - aber es ging wohl eher um den Applaus aus der eigenen Ecke) - zeigt zum unzähligsten Mal, dass die Partei nicht verstanden hat, was ein demokratischer Rechtsstaat ist, zu dessen Fundament die Pressefreiheit gehört. Aber - neu ist das nicht. Die Partei und die ihr verbundene Pegida-Bewegung zelebrieren seit Jahren ihre "Lügenpresse"-Rufe, ganz in der Tradition der NS-Granden oder der Neonazi-Aufmärsche, die ein demokratischer Staat bedauerlicherweise auch siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch ertragen muss.

Rechte Trolls

Nun ergab unlängst eine Studie, dass ein Großteil der Hasskommentare in den Sozialen Netzwerken aus einem recht überschaubaren aber sehr aktiven Kreis aus AfD- und Identitären-nahen Profilen stammt.

"Diese Kampagnen auf den Medienseiten werden mit zahlreichen gefälschten Accounts von rechtsextremen Kreisen koordiniert zu bestimmten Uhrzeiten durchgeführt. Das führt dazu, dass sie den Online-Diskurs bestimmen können. Für diese Aktionen werden auch Accounts unter falschen Namen angelegt, um damit gezielt Einschüchterungs- oder Hasskampagnen gegen ihre Gegner zu führen", sagte Julia Ebner vom Institute for Strategic Dialogue, das die Untersuchung durchgeführt hat, dem NDR. In den Onlineforen der Nachrichtenmedien dürfte es vergleichbar aussehen. Eine rechte Trollarmee, die verzweifelt versucht, mediale Relevanz vorzugaukeln.

In der Türkei ist es ähnlich. Die regierende AKP beschäftigt schon seit Jahren ihre eigenen Trollfabriken, die im Netz und insbesondere den Sozialen Netzwerken hetzen und Gegner der Partei bedrohen, auch in Deutschland. Und auch die AKP hat ein zutiefst gestörtes Verhältnis zur Pressefreiheit. Kritische Journalisten, die einfach nur ihren Job machen, landen reihenweise im Gefängnis. Zugleich wird ihnen abgesprochen, Journalisten zu sein. Man bezeichnet sie als Terroristen, rückt sie in die Nähe der Gülen-Bewegung selbst dann, wenn sie, wie zum Beispiel Ahmet Sik, kritisch über Gülen berichtet haben.

Diese Taktik wendet auch die AfD gerne an. Die Abgeordnete Alice Weidel sprach Yücel nach dessen Freilassung ab, Journalist zu sein - und Deutscher ist er in ihren Augen auch nicht. Das ist eine platte und billige Provokation - aber auch eine, die einmal mehr demonstriert, wie nah sich AfD und AKP in ihrer Geisteshaltung sind. Und wie die AfD agieren würde, wenn sie Regierungsverantwortung bekäme. Sie würde, davon kann man ausgehen, es nicht bei Hetzkampagnen gegen Journalisten belassen. Denn Journalist ist in ihren Augen nur, wer die gefühlten Wahrheiten der Rechten bedient.

Die AfD ist nicht mehr rechtspopulistisch

Die ideologische Nähe beider Parteien hob auch der Grünen-Abgeordnete Cem Özdemir in seiner Antwort auf den AfD-Antrag im Bundestag hervor: "Sie sind aus demselben faulen Holz geschnitzt wie diejenigen, die Deniz Yücel verhaften ließen." Es ist eine deutliche, eine wichtige Rede (wie übrigens auch die Beiträge der anderen demokratischen Parteien zum Thema).

Die Zeiten, in denen man die AfD als rechtspopulistisch verniedlichen konnte, sind vorbei. Rechtspopulistisch - das mag auf Teile der CSU zutreffen. Die AfD hingegen agiert von Woche zu Woche offen radikaler und ist teils kaum noch vom Tenor der NPD zu unterscheiden. Wenn ein Alexander Gauland sagt: "Das ist kein Rassismus, wenn ich sage: Die Türken gehören nicht zu uns", dann gibt es nur eine mögliche Antwort: Doch, genau das ist Rassismus, es ist derselbe Rassismus, den André Poggenburg im Munde führt, wenn er Türken kollektiv als "Kameltreiber" beschimpft, und man kann die kognitiven Kapazitäten seiner "Abschieben!" brüllenden Anhängermeute schon ganz treffend einschätzen. Diese Leute jammern gerne darüber, man würde sie in die rechte Ecke stellen. Dabei sind sie selbst es, die sich dort hinstellen und zu feige sind, wenigstens dazu zu stehen.

Es ist eine ähnliche Stimmung auf den Parteiveranstaltungen der AKP, wo die Massen enthemmt nach der Todesstrafe rufen und ihrem Hass auf Kurden und Linke, auf Gülenisten, auf Journalisten, auf Demokraten und Oppositionelle freien Lauf lassen. Hier wie dort lassen sich dieselben Gruppendynamiken beobachten, der Corps-Geist, der die Menschen in ihrer Wut auf alles vereint, das irgendwie anders ist oder ihre aus Parteipropaganda gespeisten Ressentiments bedient.

Und auch der Effekt, der wirkt, ist derselbe: Erdogan schafft es geschickt, seinem Klientel Selbstbewusstsein mit auf den Weg zu geben, sie in eine Opferrolle zu positionieren, in der sie sich wohl fühlen und dann tatsächlich glauben, sich verteidigen zu müssen. Die Taktik der AfD ist damit deckungsgleich bis hin zu den Provokationen, Aufpeitschungen und verbalen Grenzüberschreitungen.

Nähe zwischen AfD und AKP

Noch etwas Wichtiges sagte Cem Özdemir in seiner Bundestagsrede: Dass nämlich die AfD Deutschland "verachtet". Anders kann man es nicht bezeichnen, wenn eine Partei gegen alle Errungenschaften eines demokratischen und pluralistischen Staates steht, sich rassistisch, homophob, antisemitisch, islamophob geriert. Die Religionsfreiheit ist ein ebenso hohes gut wie die Pressefreiheit.

Und die AKP? Ja, auch sie verachtet ihr Land. Es gibt heute in der Türkei keinen Akteur, der die Türkei mehr hasst als die AKP und ihre Anhängerschaft - und dabei sind es sogar noch die eigenen demokratischen Reformen, die sie nun mit Füßen tritt. Eine Partei, die im eigenen Land einen mörderischen Krieg anzettelt, die gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen gegeneinander aufhetzt und zugleich die bedeutendsten Intellektuellen und Wissenschaftler entweder inhaftiert oder ins Exil treibt - eine solche Partei verachtet das eigene Land zutiefst.

Ein gutes Beispiel dafür ist auch die Erinnerungskultur und die objektive Aufarbeitung der eigenen Geschichte. In der Türkei findet das faktisch nicht statt. Der Genozid an den Armeniern wird bis heute geleugnet. Warum ist das so? "Weil das den Gründungsmythos der Türkei zerstören würde", sagt der Schriftsteller Dogan Akhanli:

"Generationen wurden mit der Geschichte indoktriniert, die Gründung der türkischen Republik sei aus dem Befreiungskampf gegen die Großmächte entstanden. Sogar die Linken haben dieses Narrativ übernommen. Dabei stand etwas anderes am Beginn des Staates: ein Verbrechen. Die Ermordung der eigenen Bürger. Es müsste nicht nur der Genozid anerkannt, sondern auch eine Erinnerungskultur entwickelt werden. Das käme für die Türkei einer gedanklichen Revolution gleich. Es wäre nicht mehr das gleiche Land. Durch die Verleugnung wird Veränderung verhindert."

Dieser Zustand ist es, den auch die AfD sich wünscht. Wenn Björn Höcke eine "erinnerungspolitische Wende um 180°" fordert, wenn Alexander Gauland die Verbrechen der Wehrmacht relativiert, indem er fordert, man könne "stolz sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen" und es müsse unter die Vergangenheit einen "Schlussstrich" geben, dann ist das nichts anderes als die Aufforderung zu vergessen und zu verleugnen, dass Deutschland nicht nur für zwei Weltkriege, sondern auch für den brutalen industriellen Massenmord an sechs Millionen Menschen verantwortlich ist. Und das ist eine rechtsradikale Geisteshaltung, die in einem demokratischen Parlament nichts verloren hat. Sonst sieht der Bundestag bald nicht mehr viel anders aus als das Parlament in Ankara.

Die Nähe zwischen der AfD und der AKP ist immens. Der Grund, weshalb die AfD das natürlich niemals wird eingestehen können, ist denkbar simpel: Die Partei ist rassistisch. Und Erdogan, ihr Bruder im Geiste, ist Türke. Er hat dunkle Haare und Haut, er ist Muslim. Das und nichts anderes ist der Grund, weshalb es noch keinen Handschlag der Parteispitzen gab.

Einen Unterschied immerhin gibt es dennoch: Die AKP trat in ihren Anfangszeiten im demokratischen Gewand auf, gab sich als Reformpartei, die vorgab, die Altlasten und Menschenrechtsverletzungen, die Korruption der Vorgängerregierung über Bord zu werfen. Die Maskerade wurde ihr lange abgekauft, auch international. Die AfD hingegen zeigt jetzt schon deutlich, was von ihr zu erwarten ist. Zum Glück gibt es unter wir-sind-afd.de eine umfangreiche Zitatesammlung, nach der niemand, aber auch wirklich niemand mehr sagen kann: Ich habe von nichts gewusst.