Ukraine-Krieg: Wehrpflichtige Ukrainer im Ausland zunehmend unter Druck

Ohne militärische Registrierung gibt es für geflohene Ukrainer keine konsularischen Dienste.

(Bild: Mehaniq / Shutterstock.com)

Politiker westlicher Staaten wollen ukrainische Männer in den Krieg schicken. Schwache Integration und die sich verschlechternde Wirtschaft sind weitere Argumente.

Ende April hat die Regierung der Ukraine beschlossen: Für Männer im wehrpflichtigen Alter (zwischen 18 und 60 Jahren), die sich im Ausland aufhalten, werden die konsularischen Dienste eingestellt. Wer Papiere benötigt, muss in die Ukraine zurückreisen – und darf dann vermutlich nicht mehr ins Ausland ausreisen.

Kiews Strategie: Mehr Männer für den Kriegsdienst

Mit dieser Maßnahme will Kiew mehr Männer für den Kriegsdienst gewinnen. Von mehreren Ländern wird die Ukraine bei dem Vorhaben unterstützt, von Polen und Litauen etwa. Aber auch in anderen Ländern werden Stimmen laut, die Ukrainer in den Krieg zurückbringen wollen, vor dem sie geflohen sind.

In Deutschland gehört etwa der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter dazu. Die Bundesrepublik solle den ukrainischen Männern "faire Angebote" machen und Anreize setzen, damit sie in ihre Heimat zurückkehren. Schließlich leben hier "mindestens 200.000 ukrainische Männer im wehrfähigen Alter, die in der Ukraine bei der Unterstützung des Landes im Verteidigungskampf fehlen", so Kiesewetter.

Auch in der Schweiz sind bürgerliche Politiker bereit, ukrainische Männer in die Schützengräben zu schicken. Politiker der Schweizer FDP sprechen ihnen den Schutzstatus ab, heißt es in der NZZ, und sie wollen der Regierung in Kiew dabei behilflich sein, die Männer zurückzuholen. Man wolle ja "keine faktischen Deserteure beherbergen".

Wandel: Von Asylgewährung zu Rückkehranreizen

In Europa vollzieht sich ein Wandel mit Blick auf die geflohenen Ukrainer. Als die russische Armee 2022 in ihr Land einmarschierte, boten westliche Staaten ihnen Asyl an. Die Länder der Europäischen Union öffneten ihnen die Türen zu ihrem Sozialsystem – vermutlich auch in der Hoffnung, dass sich der Krieg nicht in die Länge zieht. Jetzt ist er allerdings bereits im dritten Jahr.

Im Arbeitsmarkt sind nur die wenigsten angekommen. Nach den Zahlen der Bundesregierung lebten im Februar 2024 knapp 1,2 Millionen Ukrainer in Deutschland, von denen rund 725.000 im erwerbsfähigen Alter sind. Allerdings schafften es nur rund 114.000 einen sozialversicherungspflichtigen Job zu finden. Weitere 36.000 gehen einem Minijob nach. Bis 2026 sollen alle einen Integrationskurs besucht haben, mit dem dann der "Jobturbo" gezündet werden kann.

Großbritannien: Unklarer Aufenthaltsstatus und abkühlender Arbeitsmarkt

Ein unklarer Aufenthaltsstatus erschwert allerdings die Jobsuche, wie das Beispiel Großbritannien zeigt. Die Visa der Erstankömmlinge laufen ab und der Arbeitsmarkt kühlt sich weiter ab, berichtet Bloomberg. Gleichzeitig schwindet das allgemeine Interesse, die Ukrainer weiterhin zu unterstützen.

Ein abgelaufenes Visum erschwert die Situation für viele Ukrainer. Im Bewerbungsprozess landeten ihre Unterlagen oftmals ganz unten im Stapel. Und auch wenn sie alle notwendigen Voraussetzungen mitbringen und Vorgaben erfüllen, entscheiden sich die Arbeitgeber oftmals für Bewerber mit einem sicheren Aufenthaltsstatus.

Ukrainische Fachkräfte: Unterqualifizierung und ausbeuterische Arbeitsbedingungen

Das führt dazu, dass viele Ukrainer keinen Arbeitsplatz finden – und wer doch einen ergattern kann, muss oftmals weit unter dem eigenen Qualifikationsniveau arbeiten. Experten gehen laut Bloomberg davon aus, dass ukrainische Arbeiter wohl für zeitweilig weniger Schutz vor ausbeuterischen Arbeitsbedingungen haben werden.

Dass Qualifikationen nicht anerkannt werden, trifft auch Ukrainer mit Abschluss von einer Universität und Jahren an Berufserfahrung. Eine betroffene Gruppe sind etwa Anwälte, die im ukrainischen Rechtssystem Experten waren. Das britische Rechtssystem funktioniert aber anders, was die ursprüngliche Qualifikation in gewisser Hinsicht entwertet.

Gideon Maltz, Geschäftsführer von Tent Partnership for Refugees, erklärte gegenüber Bloomberg, dass Flüchtlinge oft schon in der Bewerbungsphase aussortiert werden, weil die Personalverantwortlichen ihre Qualifikationen nicht anerkennen oder die Anforderungen über das hinausgehen, was für die Stelle erforderlich ist.

Laut einer Erhebung des Office for National Statistics arbeiten etwa 58 Prozent der ukrainischen Flüchtlinge im Vereinigten Königreich nicht in dem Sektor, in dem sie in ihrem Heimatland tätig waren.

Britischer Arbeitsmarkt: Höhere Arbeitslosenquote und weniger offene Stellen

Verschlimmert wird die Situation in Großbritannien durch ein Abflauen der Stimmung am Arbeitsmarkt. Nach offiziellen Daten liegt die Arbeitslosenquote inzwischen bei 4,3 Prozent, dem höchsten Stand seit Sommer letzten Jahres. Auch die Zahl der offenen Stellen ging zurück und lag das erste Mal seit drei Jahren unter 900.000. Beides zusammen dürfte zu einer stärkeren Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und sozialen Spannungen führen.