AfD und Co.: Die Revolte der Hoffnungslosigkeit

Seite 2: Pseudo-Rebellentum gegen Schwächere und Wokeness

Der Rechtspopulismus schlägt dabei tatsächlich nach unten – gegen Flüchtlinge, "faule Arbeitslose", Obdachlose, Drogenabhängige usw., vermeintlich aber auch nach oben, gegen "abgehobene Eliten", die liberale Bourgeoisie, arrogante "woke" großstädtische Milieus, usw.

Dieses Pseudo-Rebellentum des Rechtspopulismus bleibt dabei aber vollständig an der (politischen und medialen) Oberfläche und dringt nie zum (ökonomischen) Kern vor. AfD, FPÖ und Co. haben überhaupt nichts gegen kapitalistische Ausbeutung und bürgerliche Klassenherrschaft, sie wollen nur einen begrenzten Personalwechsel an der Spitze dieses Systems.

Sie wollen Konservative, deutschnationale Multimillionäre statt "woke, globalistische" Multimillionäre, Zehlendorf statt Prenzlauer Berg, Kopp Verlag statt Suhrkamp, Kulturkampf um oft wirklich grotesken Unsinn (Layla, Winnetou, pinke Fußballtrikots, veganes Essen in der Mensa usw.) statt Klassenkampf.

Der Rechtspopulismus mobilisiert diffuse Wut und Frustration über die deprimierende Realität des neoliberalen Europa, um genau diesem System wieder eine Massenbasis zu verschaffen, es mit einem begrenzten Personalwechsel an der Spitze zu stabilisieren.

Frust kanalisiert: Wie Rechtspopulisten das System stabilisieren

Neben diffusen Versprechungen einer Bestrafung der "woken, globalistischen Eliten" (und ihrer Ersetzung durch gesellschaftspolitisch reaktionäre Eliten) wirbt der Rechtspopulismus aber vor allem damit, dass es gesellschaftlichen Randgruppen unter seiner Herrschaft so richtig dreckig ergehen wird.

Der Rechtspopulismus als eine objektiv im Dienst der Oligarchie stehende Bewegung lenkt die in weiten Teilen der Bevölkerung bestehende diffuse Wut und Frustration von oben nach unten um und stabilisiert damit das System.

Dein Feind ist nicht der dich ausbeutende deutsche Kapitalist, der sein Vermögen durch arbeitsfreie Auspressung von dir und deinen Kolleg:innen verzehnfachen konnte - sondern der freche Flüchtling, der auf Kosten deines Steuergeldes alles geschenkt bekommt und, wenn er doch einmal arbeitet, mit dir um die Jobs konkurriert!

Konkurrenzdenken verinnerlicht: Anderen soll es schlecher gehen

Dein Feind ist nicht ein im Dienst der Superreichen umgestaltetes Steuersystem, das Unternehmen und Millionär:innen steuerlich immer mehr ent- und Lohnabhängige immer mehr belastet, sondern der unverschämte Langzeitarbeitslose, der fröhlich von deinen Steuern lebt!

Der Rechtspopulismus verspricht nun die Gerechtigkeit wiederherzustellen – nicht dadurch, dass der Lebensstandard der "echt deutschen" Arbeiter:innen erhöht wird, sondern dadurch, dass den Flüchtlingen, Arbeitslosen usw. das imaginäre lustige Lotterleben endlich einmal ausgetrieben wird – durch Abschiebungen, Leistungsstreichungen, Zwangsarbeit, Knast.

Nicht "Wenn du uns wählst, wird es dir besser gehen", sondern "Wenn du uns wählst, wird es anderen viel schlechter gehen", lautet das Versprechen.

Diese Vision des Rechtspopulismus ist eine, die offenkundig nur Menschen ansprechen kann, die jede Hoffnung auf eine andere und bessere Gesellschaft bereits komplett aufgegeben haben.

Dünger des Rechtspopulismus: Das Gift der Alternativlosigkeit

Solche Menschen gibt es aber viele, und unter dieser Prämisse hat das Programm des Rechtspopulismus auch durchaus seine innere Logik: Wenn ich schon das bestehende System für im Prinzip ewig und alternativlos halte, dann ist das einzige, was mir offensteht, wohl eine relative Verbesserung meiner Position durch Herabdrücken anderer, die ich als Konkurrent:innen um die begrenzten Ressourcen wahrnehme.

In einer Wettbewerbsgesellschaft wie der kapitalistischen stehen Arbeiter:innen und Arme ja in vieler Hinsicht tatsächlich in Konkurrenz zueinander. Jobs mit passablen Arbeitsbedingungen und passabler Bezahlung sind ja tatsächlich begrenzt verfügbar, und je mehr Mitbewerber:innen ich habe, desto unwahrscheinlicher ist, dass ich einen dieser passablen Jobs bekomme.

Wenn es im Zuge einer großen Fluchtbewegung gerade besonders viele zunächst mittellose Migrant:innen gibt, werden bürgerliche Parteien die Mittel für deren Grundversorgung viel eher durch Kürzungen im Sozialbereich hereinholen als durch höhere Besteuerung von Superreichen.

Alltägliche Konkurrenz belebt das Geschäftsmodell der AfD

In einer kapitalistischen Gesellschaft, in der es kaum noch sozialen Wohnungsbau gibt, werden Wohnungssuchende im urbanen Raum in einen sozialdarwinistischen Konkurrenzkampf um die paar verfügbaren bezahlbaren Wohnungen gehetzt.

Wenn ich den Kapitalismus für ewig und unabänderlich halte (und nicht an die Wiederkehr eines den Massenwohlstand explosionsartig steigernden neuen Wirtschaftswunders glaube), dann ergibt es durchaus Sinn, innerhalb dieses für unüberwindlich gehaltenen Systems meine Position durch das Niederdrücken tatsächlicher oder vermeintlicher Konkurrent:innen um Jobs, Sozialleistungen, Wohnraum usw. zu verbessern.

Und: Wenn ich schon davon überzeugt bin, dass mein eigenes Leben sowieso niemals wirklich besser werden kann, dann kann es psychologische Erleichterung verschaffen, diese Frustration lindern, dafür wenigstens irgendjemanden zu bestrafen und sicherzustellen, dass es anderen immerhin auch nicht besser als mir geht.

Auch wenn sich diese Gelüste gerade gegen Menschen richten, denen es auch heute garantiert nicht wirklich besser geht als durchschnittlichen Arbeiter:innen: Das Leben in einer Flüchtlingsunterkunft oder in den Fängen des Jobcenters ist kaum etwas weniger als ein komfortabler Urlaub.

Rechte Parolen: Das Rachebedürfnis der Hoffnungslosen

Der Rechtspopulismus spricht das Ressentiment und das Rachebedürfnis derjenigen an, die an nichts Positives mehr glauben. Um seinen Aufstieg zu bekämpfen, wird es wenig nützen, diese Ressentiments selbst moralisch anzugreifen.

AfD-Unterstützer:innen wird es wenig jucken, wenn Jan Böhmermann und die taz ihnen sagen, dass Rassismus verachtenswert ist. Man muss sie vielmehr davon überzeugen, dass die Hoffnungslosigkeit, die sie für die Vision des Rechtspopulismus überhaupt erst empfänglich gemacht hat, unbegründet ist.

Man muss ihnen zeigen, dass die Welt des neoliberalen Kapitalismus, innerhalb derer sie sich mit dieser konformistischen Revolte einrichten, nicht ewig und unabänderlich ist. Dass Arbeiter:innen und Arme weiterhin solidarisch eine Welt erkämpfen können, in der das Leben für alle besser werden kann und sie aufhören können, einander Konkurrent:innen zu sein.

Keine Aufklärung über den Charakter des Rechtspopulismus im Allgemeinen und der AfD im Besonderen wird wirken, wenn man nicht den Glauben an die Erkämpfbarkeit einer besseren Welt wiedererwecken kann, der die alte Arbeiter:innenbewegung getragen hat.