Afghanistan: Die Mär von der Frauenbefreiung
Seite 2: Die desaströse Rolle westlicher Medien
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Einige westliche Medien spielten in Sachen Frauenbefreiung oftmals eine desaströse Rolle und erfanden teils ganze Geschichten, um bestimmte Narrative und Weltbilder aufrechtzuerhalten. Ein bekannteres Beispiel hierfür stammt aus dem Sommer 2010. Die damals achtzehnjährige Aisha Mohammadzai war auf dem Cover des amerikanischen Magazins Time zu sehen - mit verstümmeltem Gesicht. Neben dem Gesicht der Frau stand: "Was passiert, wenn wir Afghanistan verlassen."
Laut Time wurde die junge Afghanin mit einem Taliban-Kämpfer zwangsverheiratet. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch rächte sich die Familie des Mannes, indem sie der Frau Ohren und Nase abschnitt. Das preisgekrönte Bild löste eine medial-politische Debatte aus. Viele Menschen fragten sich, ob es in Ordnung sei, ein solch verstümmeltes Gesicht einfach auf eine Titelseite zu drucken.
Hinzu kam die Frage, inwiefern die Geschichte den Tatsachen entsprach. Waren hier tatsächlich jene Extremisten im Spiel, die 2001 von den westlichen Truppen verjagt wurden? Oder handelte es sich "lediglich" um jene brutale Familiengewalt, die auch seit dem Einmarsch der NATO weiterhin vorzufinden ist, unter anderem auch in vielen Gebieten, die nicht von den Taliban, sondern von der Regierung kontrolliert werden?
Die Time-Geschichte brachte Aishas Verstümmelung direkt mit den Taliban und der westlichen Truppen-Stationierung in Verbindung. Das ist ein weit gespannter Bogen, wenn man bedenkt, dass seit Jahren verschiedene Berichte hervorheben, dass Gewalt gegen Frauen vor allem in Großstädten vorzufinden ist. Diese Realität macht die Sache komplexer, denn im Gegensatz zu vielen ländlichen Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden, hat in den Städten die von Washington installierte Regierung das Sagen.
Man könnte behaupten, dass "zum Wohle der Geschichte" Narrativ des barbarischen Taliban-Kämpfers, der seine Ehefrau unterdrückt, eben besser herhielt als ein brutales "Familiendrama", welches keinen politischen Hintergrund besaß und obendrein nicht mit der Stationierung westlicher Truppen in Verbindung gebracht werden konnte.
In diesem Kontext berichtete auch die afghanische Nachrichtenagentur Pajhwok, dass die Taliban nichts mit dem Fall zu tun hatten. In Anbetracht der Grausamkeit, die der afghanischen Frau widerfuhr, könnte man natürlich meinen, dass dieses kleine Detail unwichtig sei. Doch es macht die ganze Geschichte aus und stellt ein immens großes Narrativ dar, welches politische Entscheidungen massiv beeinflussen könnte.
Immerhin handelte es sich hierbei um ein führendes Nachrichtenmagazin der westlichen Welt. Doch ausgerechnet dieses Magazin war im Kontext von Aisha darauf bedacht, seine eigene Geschichte zu konstruieren. Eine Geschichte, die ins Bild passte und gewisse Weltbilder bediente - allen voran jenes der Mär der westlichen Frauenbefreiung am Hindukusch.
Für jemanden, der seit mehreren Jahren aus und über Afghanistan berichtet, ist dies allerdings weder ein Einzelfall noch eine Ausnahme. Journalisten, die in solchen Regionen unterwegs sind, wissen nämlich, dass es immer wieder einige Kollegen gibt, die krampfhaft bestimmte Geschichten suchen.
Sie sind meistens weiß, westlich, oftmals männlich, stets mit Dolmetschern und Fixern unterwegs, und sehen die Welt durch eine dicke Orientalisten-Brille. Sobald sie zurück in ihrer Heimat sind, gelten sie dann als ausgewiesene "Experten", die vieles zu erzählen haben, Kulturen und Traditionen kennen und womöglich ein paar Fetzen in den jeweiligen Landessprachen sprechen können.
(* Die Zwischenüberschriften stammen nicht aus dem Buchauszug, sondern wurden von der Redaktion eingefügt.)
Emran Feroz: Der längste Krieg - 20 Jahre War on Terror, 224 Seiten, Westend Verlag