Alice Schwarzer zu Ukraine-Appell: "Ernsthaft von Gefahr eines Weltkriegs überzeugt"

Verteidigt offenen Brief: Alice Schwarzer. Bild: Superbass / CC-BY-SA-4.0

An dem Offenen Brief der Feministin und weiterer prominenter Erstunterzeichner hagelte es Kritik. Ist das der Anfange einer Debatte – oder schon wieder ihr Ende?

Die Frauenrechtlerin und Publizistin Alice Schwarzer hat Kritik an einem offenen Brief zurückgewiesen, in dem sie mit gut zwei Dutzend weiteren Prominenten vor der erhöhten Gefahr eines dritten Weltkriegs infolge von Waffenlieferungen an die Ukraine gewarnt hat. Während der Appell am Donnerstagnachmittag auf der Kampagnenplattform change.org bereits über 160.000 Unterstützer hatte, gab es in Medien und Politik teils harsche Kritik an der Initiative.

Die 28 Erstunterzeichner schrieben, sie teilten das Urteil über die russische Aggression als Bruch der Grundnorm des Völkerrechts. Auch seien sie der Meinung, dass es eine prinzipielle politisch-moralische Pflicht gebe, vor aggressiver Gewalt nicht ohne Gegenwehr zurückzuweichen.

"Doch alles, was sich daraus ableiten lässt, hat Grenzen in anderen Geboten der politischen Ethik", hieß es in dem Appell, den am Samstag auch Telepolis dokumentiert hatte. Weiter heißt es:

Die Lieferung großer Mengen schwerer Waffen allerdings könnte Deutschland selbst zur Kriegspartei machen. Und ein russischer Gegenschlag könnte so dann den Beistandsfall nach dem Nato-Vertrag und damit die unmittelbare Gefahr eines Weltkrieges auslösen.

Neben der großen Zustimmung folgte auch harsche Kritik. So schrieb der in München lehrende Soziologe Armin Nassehi auf Twitter, er würde gerne "gute Gründe gegen die Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine hören". Nassehi fügte in seinem Thread an:

Der #offenerbrief aber enthält keine. Er ist eher eine intellektuelle Beleidigung. Ich empfinde das übrigens auch als persönliche intellektuelle Beleidigung, da die Initiatorin auch mich um Erstunterzeichnung gebeten hat. Ich habe sehr höflich abgelehnt. Die zitierte Textstelle ist Grund genug: Das imaginierte Motiv des Aggressors westlichen Waffenlieferungen zuzuschreiben, ist zu simpel. Das Argument verkennt zum einen dass das Motiv des Verbrecherischen mit dem Angriff auf die Ukraine schon deutlich dokumentiert ist. Zum anderen verkennt es, dass die Drohung mit dem Atomschlag ein Spielzug ist, exakt die Reaktionen zu provozieren, die in dem Brief formuliert werden.

Armin Nassehi

Teils ausfallende Kritik an offenem Brief

Andere Kommentare waren ausfallender. Wer angesichts der aktuellen Lage einen solchen Appell lanciere "und die ukrainische Regierung indirekt, aber deutlich für das Leid der eigenen Bevölkerung moralisch mitverantwortlich macht, muss nach den Tragödien von Butscha, Borodjanska oder Mariupol den Verstand verloren haben", so der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy.

Der Kabarettist und Comedian Wigald Boning zeigte sich auf Twitter von den Unterzeichnern des offenen Briefes "enttäuscht". Er schrieb: "Im Gegenteil, jeder, der sich aus der Deckung wagt, ist willkommen – davon lebt die Demokratie. Inhaltlich sehe ich die Sache allerdings völlig anders als die Unterzeichner. Stoppt Putin!"

In der Talksendung "Die richtigen Fragen" der Boulevardzeitung Bild wehrte sich Schwarzer am Montag gegen die Kritik. "Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich ernsthaft von der Gefahr eines neuen Weltkriegs überzeugt", sagte sie.

Erneut bezeichnete sie Hilfe für die Ukrainer bei der Selbstverteidigung gegen den russischen Angriff für richtig. Es gehe ihr aber "um die sehr schwierige Grenzziehung zwischen Unterstützung zur Verteidigung und Lieferung von Waffen, die von Herrn Putin als Angriffswaffen verstanden werden können".

Im ZDF-Morgenmagazin wies Schwarzer ebenfalls am heutigen Montag die Unterstellung zurück, sie und die andere Kritiker:innen von Waffenlieferungen würden die Ukraine im Stich lassen. Die Unterzeichner seien auch politisch nichts rechts zu verorten.

Schwarzer verwies im ZDF darauf, dass die Bevölkerung in Umfragen über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine geteilter Meinung ist. Darüber müsse man diskutieren.