"Alle Zentralbanken sind dabei, sich in Bad Banks zu verwandeln"
Seite 2: "Strukturelle Krise der realen Wertproduktion"
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Um welche Art Wirtschaftskrise handelt es sich bei der gegenwärtigen eigentlich?
Ernst Lohoff: Marx unterscheidet zwischen allgemeinen und besonderen Krisen und konstatiert: "Alle Widersprüche der bürgerlichen Produktion kommen in den allgemeinen Weltmarktkrisen kollektiv zum Eklat, in den besonderen Krisen nur zerstreut, isoliert einseitig." 1. Keine Krise in der Geschichte des Kapitalismus hat sich den Begriff der allgemeinen Krise dermaßen redlich verdient, wie die gegenwärtige, die seit dem Herbst 2008 manifest geworden ist. Es handelt sich dabei um ganzes System von Teilkrisen, die sich gegenseitig bedingen, überlagern und aufeinander aufbauen.
Vor allem zwei Hauptschichten muss man analytisch auseinander halten. Zunächst einmal gibt es eine strukturelle Krise der realen Wertproduktion. Die wirkt untergründig schon seit den 1970er Jahren, wurde nie überwunden und lässt sich auch gar nicht überwinden, denn sie resultiert daraus, dass die Produktivität mittlerweile zu hoch ist, um den Prozess der Kapitalverwertung in Gang zu halten. Kapital muss sich vermehren, denn sonst hört es auf Kapital zu sein, und dazu muss eine beständig wachsende Zahl von Arbeitskräften in der Produktion von Waren vernutzt werden. Gleichzeitig wird aber durch die Konkurrenz ein unaufhaltsamer Produktivitätswettlauf angestachelt, der im Kern darauf hinausläuft, permanent Arbeitskraft durch Sachkapital zu ersetzen. Das ist der innere Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktionsweise, der sich letztlich gegen diese selbst richten muss. Wenn nämlich die Produktivität so hoch ist, dass massenhaft Arbeitskraft überflüssig gemacht wird, werden die Grundlagen der Kapitalverwertung in Frage gestellt. Genau das macht den Kern der grundlegenden Strukturkrise aus, in die das kapitalistische Weltsystem seit dem Ende des Nachkriegsbooms hineingeraten ist.
Und was ist die andere wesentliche Komponente der Krise?
Norbert Trenkle: Diese eben beschriebene Krise ist jahrzehntelang durch die Aufblähung der Finanzmärkte überspielt worden. Die gesamtgesellschaftliche Kapitalakkumulation kam nach den Krisen der 1970er Jahre wieder auf Touren und die Weltwirtschaft fand zurück auf die Wachstumsspur. Dieses Wachstum wurde aber nicht mehr von tatsächlicher Wertproduktion durch Arbeitskraftvernutzung getragen, sondern durch die explosionsartige finanzindustrielle Vermehrung von Kapital. Indem die Finanzindustrie immer mehr Eigentumstitel (Schulden, Aktien, Derivate) in Umlauf brachte, gelang ihr das Kunststück zukünftigen Wert, also Wert, der noch gar nicht produziert ist und vielleicht nie produziert werden wird, in abstrakten Reichtum zu verwandeln.
Diese Kapitalvermehrung durch Wertantizipation, die längst astronomische Ausmaße angenommen hat, ist aber selber in die Krise geraten. Die permanente Vermehrung von Eigentumstiteln, ohne die der Kapitalismus nicht mehr lebensfähig ist, läuft zwar nach wie vor, ja sogar beschleunigt weiter, aber nur weil dieses Geschäft jetzt von den Staaten und vor allem den Zentralbanken betrieben wird. Die Staaten treiben ihre Verschuldung in die Höhe und die Zentralbanken gewähren den Privatbanken exzessiv Kredit zu faktischen Nullzinsen, während sie gleichzeitig Staatspapiere aufkaufen, die sonst keiner mehr kauft. Doch auch hier werden langsam die Grenzen erreicht, wie etwa die Eurokrise zeigt.
"Zentralbanken übernehmen die Risiken"
Wie hat sich im Zuge der Finanzkrise die Rolle der Zentralbanken verändert?
Ernst Lohoff: Beim Stichwort "fiktives Kapital" denkt jeder zunächst einmal vor allem an das in den Händen privatwirtschaftlicher Akteure sich bildende fiktive Kapital, an die Ansprüche von Geschäftsbanken gegenüber ihren Kreditnehmern, an Aktien und Staatspapiere, die sich in der Hand von Versicherungen, Rentenfonds oder Privatanlegern befinden. In dem Maß wie die Währungen vom Gold entkoppelt wurden, ist aber noch einen weiterer Akteur für die finanzindustrielle Geldkapitalbildung wichtig geworden nämlich die Zentralbank. Geldpolitik bedeutet nichts anderes, als dass die Währungshüter darauf Einfluss nehmen, in welchen Umfang fiktives Geldkapital entsteht. Das kann indirekt geschehen, etwa durch die Festlegung von Mindestreserven, die die Geschäftsbanken nicht verleihen dürfen.
Viel wichtiger ist aber etwas anderes: Die Zentralbanken treten selber als Marktteilnehmer auf den Geld- und Kapitalmärkten auf und häufen fiktives Kapital an. Die sogenannte "Geldschöpfung" besteht darin, dass die Zentralbanken den Geschäftsbanken Kredite gewähren, also Zahlungsversprechen ankaufen. Senken die Notbanken die Zinsen für diese Kredite, dann befeuert das die Bildung von fiktivem Kapital. Die Erhöhung der Leitzinsen wirkt dagegen drosselnd. Diese Zinspolitik hat bei der der Überwindung der bisherigen Kriseneinbrüche in der Ära des fiktiven Kapitals eine zentrale Rolle gespielt. Auch in der schweren Krise der "New Economy" zu Anfang des Jahrtausends gelang es, die privatwirtschaftliche Akkumulation von fiktivem Kapital durch drastische Leitzinssenkungen wieder auf Touren zu bringen.
Gefüttert durch billige Kredite entstand die Immobilienblase, die auch die schwächelnde Realwirtschaft wieder anfeuerte. In der jetzigen Krise sieht das jedoch anders aus. Um den Kollaps des Finanzsystems zu verhindern müssen die Notenbanken zusätzlich zu einer Nullzinspolitik, die den Rohstoff für neue Blasen liefern soll, auch sukzessive immer mehr Altlasten übernehmen und im großen Stil Kredite gewähren, wo sonst niemand mehr Kredite gewährt. Beim akuten Krisenschub im Herbst 2008 beschränkte sich das noch darauf, den zusammengebrochenen Interbankenmarkt zu ersetzen. Normalerweise leihen sich die internationalen Banken gegenseitig ganz kurzfristig Geld, für das sie gerade aktuell selber keine Verwendung haben. Nach der Pleite von Lehmann Brothers aber war das gegenseitige Misstrauen dermaßen groß, dass diese Form des Geldflusses versiegte und die Privatbanken nur noch bei den Zentralbanken Kredit bekamen.
Gravierender noch als diese kurzfristige Rettungsaktion ist, dass die Zentralbanken mittlerweile im großen Stil Staatsanleihen aufkaufen müssen, um zu verhindern, dass der Markt für diese Papiere zusammenbricht und die Staaten reihenweise bankrottieren. Aber auch die Bankenkrise schwelt weiter. Auch hier übernehmen die Zentralbanken die Risiken, indem sie die notleidenden Geschäftsbanken mit langfristigen Krediten versorgen, die im Falle einer Pleite selbstverständlich abgeschrieben werden müssen.
Ob die US-amerikanische Fed oder die EZB, alle Zentralbanken sind dabei sich in Bad Banks zu verwandeln. Sie pumpen wie wild Geldkapital ins Bankensystem, während sich gleichzeitig die Qualität ihrer Währungsreserven rapide verschlechtert, denn diese bestehen zu einem immer größeren Teil aus unverkäuflichen Schrott-Papieren. Zwar haben diese Notaufkäufe von Zahlungsversprechen in den letzten vier Jahren den Kollaps des Finanzsystems verhindert, doch ist damit der Entwertungsbedarf nur in die Zukunft verschoben und dabei zugleich vergesellschaftet worden.
"Die Frage ist nicht, ob es zu inflationären Prozessen kommt, sondern wann"
Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit einer Inflation ein?
Norbert Trenkle: Die Geldwertstabilität wird von zwei Seiten gefährdet: Auf der einen Seite speisen die Zentralbanken immer mehr Geldkapital in das Bankensystem ein. Solange dieses Geldkapital bei den Banken und deren Kunden wieder als Kapital Verwendung findet, also dem Ankauf von Eigentumstiteln dient oder produktiv investiert wird, bleibt das ohne große Folgen für die Geldwertstabilität. Das ändert sich indes, wenn es in die Gütermärkte fließt und dort als bloßes zusätzliches Geld den gehandelten Waren gegenübersteht. Sobald das in größeren Umfang geschieht, weil profitable Kapitalanlagen fehlen, muss sich die Aufblähung des Finanzüberbaus in eine Entwertung des Geldmediums, also in Inflation, übersetzen. Gleichzeitig wird es, wie schon angedeutet, früher oder später zu einer offenen Entwertung der Währungsreserven kommen. Einer aufgeblähten Geldmenge stehen dann abgeschriebene Forderungen gegenüber.
Die Frage ist vor diesen Hintergrund also nicht, ob es zu inflationären Prozessen kommt, sondern wann diese einsetzen und wie die genaue Verlaufsform aussieht. Bis dato beschränkt sich die Teuerung, zumindest hierzulande, auf Edelmetalle und Immobilien, die als Ausweich-Geldanlage in der Welt der Sachgüter dienen. Im alltäglichen Verkehr macht sich das jetzt schon in Gestalt steigender Mieten bemerkbar. Dabei wird es aber kaum bleiben.
In gewisser Weise bedeutet das übrigens eine Rückkehr zu dem Zustand, in dem sich die Weltwirtschaft vor dem großen Take-off des fiktiven Kapitals befand. Die 1970er Jahre waren in den kapitalistischen Kernländern von einem Phänomen gekennzeichnet, das die Ökonomen Stagflation tauften. Schwachen Wachstumsziffern standen jährliche Inflationsraten von um die 10 Prozent gegenüber. Allerdings haben sich gegenüber den damaligen Verhältnissen die Dimensionen gehörig verschoben. Aus der Wachstumsschwäche dürfte eine manifeste Depression und aus der Inflation eine Hyperinflation werden. Die Krisenverschiebung hat ihren Preis.
In Teil 2 des Gesprächs äußern sich Ernst Lohoff und Norbert Trenkle zum "fiktiven Kapital" und die Folgen der "Sparpolitik"
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