Der stille Tod der europäischen Kunststoffindustrie
Europas Kunststoffproduktion ist stark zurückgegangen. Globale Produktion wächst dagegen deutlich. Hohe Energiekosten und billige Importe bedrohen nun tausende Jobs.
Die europäische Kunststoffproduktion befindet sich im freien Fall. Die neuesten Daten des Branchenverbandes Plastics Europe zeigen einen besorgniserregenden Trend: Im Vergleich zum Jahr 2022 sank die Produktion in der EU um 8,3 Prozent auf 54 Millionen Tonnen. Auch das Recycling von Kunststoffen war erstmals rückläufig.
Dieser negative Trend steht im krassen Gegensatz zur weltweiten Entwicklung. Die globale Kunststoffproduktion stieg im gleichen Zeitraum um 3,4 Prozent, hauptsächlich getrieben durch das Wachstum in China und den USA. Der Anteil Europas am Weltmarkt schrumpfte nach Angaben von Plastics Europe auf nur noch zwölf Prozent.
Hohe Kosten, billige Importe: Europas Wettbewerbsfähigkeit schwindet
Mehrere Faktoren belasten die einst boomende Branche auf dem alten Kontinent. Die Produktionskosten seien hoch, weil auch in Europa die Energie- und Rohstoffpreise hoch seien, heißt es in der Erklärung. Hinzu kämen die anhaltende Inflation und die begrenzte Verfügbarkeit recycelbarer Rohstoffe.
Diese Probleme fielen mit der allgemeinen Schwäche der europäischen Volkswirtschaft zusammen. Der ehemalige Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hatte im September erklärt, dass Europas Wettbewerbsfähigkeit unter hohen Energiepreisen, restriktiver Regulierung und kostengünstiger Produktion im Ausland leide.
Deutschland dürfte von dieser Entwicklung besonders betroffen sein. Die Bundesrepublik sei der größte Kunststoffproduzent in Europa, heißt es in der Financial Times (FT). Zwangsläufig dürften sich die Probleme auf den Standort auswirken.
Rob Ingram, Geschäftsführer des britischen Chemiekonzerns Ineos, sagte der FT: "Viele unserer Konkurrenten haben entweder ihre europäischen Standorte geschlossen oder strategische Überprüfungen angekündigt". Ineos stellt unter anderem Kohlenwasserstoffe her, die als Rohstoff für chemische und polymere Produkte verwendet werden. Das Unternehmen hat auch Standorte in Deutschland.
Zwar sei die Nachfrage nach neuen Kunststoffen auch in Europa ungebrochen, sagt Ingram. Die Investitionen in neue Kapazitäten flössen aber in die USA und nach China. Während sich Europa strenge Umweltauflagen leiste, würden die Materialien künftig wohl anderswo produziert – "und um die halbe Welt verschifft, um hier verbraucht zu werden", so Ingram.
Abwanderung bedroht Europas Kreislaufwirtschaft
Eine Flut billiger Kunststoffe aus dem Ausland setzt nicht nur Chemiekonzerne unter Druck, sondern auch Unternehmen, die auf Recycling setzen. Marco ten Bruggencate, Präsident von Plastics Europe, betonte, dass importierte Kunststoffe, die nicht den EU-Standards entsprechen, den Übergang zur Kreislaufwirtschaft akut gefährden.
Um die Trendwende zu schaffen, setzt die Branche daher auf Unterstützung aus Brüssel. Plastics Europe fordert verbindliche Recycling-Ziele in allen Bereichen, "weil das die Nachfrage nach Kreislaufkunststoffen ankurbelt und uns hilft", so Virginia Janssens, Geschäftsführerin von Plastics Europe. Auch steuerliche und wirtschaftliche Anreize stehen auf der Wunschliste, um Investitionen in die Kreislaufproduktion zu fördern.
Die Zeit drängt. Die Kunststoffbranche steht in Europa für 1,5 Millionen Arbeitsplätze und einen Umsatz von 365 Milliarden Euro. Aber der globale Wettbewerb wird härter. Ein Ende des Abwärtstrends ist nicht abzusehen.