Alles Banane?!

Bild: Bru-nO/needpix.com

Moderne Bananen-Kunst: Über die Abgründe der abstrakten Freiheit, alles als Kunst zu sehen - Eine Polemik

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Da pappt ein Künstler eine ordinäre Banane mit ebenso ordinärer Klebefolie an eine Ausstellungswand der "Art Basel" und verkauft diese schlichte "Installation" tatsächlich für 120.000 Dollar. Ein anderer Künstler, seines Zeichens aus dem Bereich "Performance", macht hurtig eine solche daraus, indem er das Kunstobjekt einfach aufisst. Der Skandal ist perfekt, beiden die mediale Aufmerksamkeit sicher (Video der Aktion).

Soweit die künstlerischen Sachverhalte. Was läuft da eigentlich ab?

Moderne Kunst scheint keine Grenzen zu kennen in dem versuchten Nachweis, dass jeder ordinäre Alltagsgegenstand Kunst ist, wenn er nur kein Bedürfnis befriedigt, da er aus dem Zusammenhang seines üblichen Gebrauchs gerissen wurde und von einem Künstler als Kunst deklariert wird, indem dieser ihn in einer Kunstausstellung isoliert präsentiert, bisweilen zusätzlich verfremdet und - das Wichtigste im modernen kapitalistischen Kunstbetrieb! - mit einem PREIS versieht.

Damit kein Missverständnis aufkommt: Kunst bildet selten einfach ab - und wenn, wird selbst das zumindest in modernen Zeiten als eigene Verfremdungstechnik eingesetzt -, sondern formt ihr Objekt als dessen "innerweltlich" durch die jeweilige Sichtweise des Künstlers, seinen besonderen Stil und die von ihm eingesetzten Techniken und Medien gebrochene, subjektive Darstellung. Sie muss und kann also keinesfalls abbildend und "realistisch" sein.

Gerade die Ikonen "staatsrealistischer" Kunst, beispielsweise der monumentale "Heroismus" des Soldatentums bei den faschistischen Regimen, entbehren in ihrer penetranten kultischen Lobhudelei einer idealisierten "glorreichen Nation" jedes kritisch-nüchternen Blicks auf die Wirklichkeit. Picassos Bilder seiner späten Phase sind ein gutes Beispiel für die experimentellen Gegenstandsverfremdungen mittels diverser Stilveränderungen; ebenso die durchkomponierten, bisweilen mathematisch anmutenden Abstraktionen des Synästhetikers Wassily Kandinsky - angefangen von seinem frühen Wasserfall-Bild, das sich erst durch die wachsende Entfernung des Sehers vom Bild langsam als Wasserfall zu erkennen gibt, bis zu des Künstlers systematischen Experimenten mit Formen und Farben jenseits erkennbarer Gegenstände (z.B. bei den "Compositions").

Die erste praktizierte Tautologie der modernen Kunst

Inhaltsleer und damit abstrakt selbstbezüglich im obigen Sinne wird die Kunst jedoch dann, wenn sie die Grenze zur Feier der Freiheit, alles als Kunst erscheinen lassen zu können, überschreitet und so tautologisch in sich geschlossen auftritt: Kunst als autopoietisches System, das seine Objekte nur noch dadurch als künstlerische ausweist, dass sie eben zum System Kunst gehören, was nur daran zu erkennen ist, dass ... ja genau, dass sie zum System Kunst gehören: Ein endloses inhaltsleeres Spiegeln in sich selbst ist das Resultat.

Der berühmte Kunstphilosoph Arthur C. Danto würde, einst angeregt durch Ausstellungen von Andy Warhol, gemäß seiner Theorie der Kunst dagegen einwenden, dass der Unterschied zwischen einem banalen Gebrauchsgegenstand und seiner Existenz als Kunstwerk darin bestünde, dass der Künstler im letzteren Falle erklären können müsse, "worüber" der Gegenstand ist: Der Künstler müsse ihm eine "Aboutness", ein "Über-etwas-sein" zurechnen können.

Da erhebt sich allerdings die Frage, wodurch die "Aboutness" erkennbar wird, wenn sie nur in der Präsentation des Gegenstands in einem Kunstkontor besteht - die "Aboutness" findet sich dann tautologisch in ihrer Einordnung in den Kunstbetrieb, womöglich noch als Werk eines berühmten, also teuren Künstlers, der schon deswegen über jeden Verdacht des banalen Etikettenschwindels oder der Publikumsverarsche erhaben ist.

Dazu vielleicht ein Beispiel: Vor ca. 15 Jahren besuchte ich im Rahmen einer "langen Nacht der Kunst" in einer mittelgroßen bayerischen Stadt eine "angesagte" Galerie. Aufsehen erregte dabei vor allem ein Werk von Joseph Beuys, das hinter einem ca. 60 x 40 cm großen Glasrahmen eine sauber zusammengedrückte Einkaufstüte aus braunem Packpapier beinhaltete, wie sie gerade heutzutage in jedem Einkaufszentrum verwendet wird. Darauf waren mit gelber Wachsmalkreide schlampig zwei spitze Bögen gekritzelt, die wahrscheinlich Hasenohren darstellen sollten - oder was auch immer. Das Werk war für 10.000 Euro taxiert und erregte ehrfürchtige Bewunderung: "Ein echter Beuys!" - "Der traut sich wenigstens was!" - "Er schafft es immer zu verstören" - "Ich kann es im Moment nicht so recht dechiffrieren" usw. lauteten die Kommentare.

Erfüllt Beuys hier das "Danto-Kriterium" für moderne Kunst, d.h. beinhaltet das Werk als solches einen außeralltäglichen Verweisungszusammenhang - und zwar jenseits dessen, dass es a) von Beuys stammt, b) 10.000 Euro kostet (allein deswegen muss es ja Kunst sein!) und c) in einer Kunstgalerie als Kunstwerk feilgeboten wird?

Der Einwand, die "Aboutness" müsse jeder für sich selbst herausfinden, ist unzulässig, da gerade Danto betont, dass eben nicht jeder Gegenstand als Kunstwerk durchginge, wenn man ihn nur dazu erklärte - er sollte aus sich heraus zeigen können, dass er "über etwas" ist, also nicht in der Alltäglichkeit des Dings, der Situation, des Mediums besteht. Dann aber muss die "Aboutness", der "Verweis-auf-Anderes" der Sache bzw. dem Kunstkonzept nachvollziehbar innewohnen - was hier eben nicht der Fall ist: Außer dem Bildrahmen ist kein situatives Arrangement zu erkennen, das die Tüte über ihren Charakter als ordinäre Einkaufstasche erhebt - der Kunstcharakter reduziert sich auf die Präsentation als Kunstobjekt selbst, was, wie gesagt, auf eine praktizierte Tautologie hinausläuft.

Ich konnte mich des Eindrucks kaum erwehren, dass die Ehrfurcht der Besucher sich zum einen auf die Fähigkeit des Galeristen bezog, einen "echten Beuys" heranzuschaffen, und zum anderen im sichtlich beeindruckten, zumeist ein wenig verlegen auftretenden Unverständnis darüber, wie man es schafft, so etwas als Kunst zu verkaufen - da müsse man schon ziemlich gut, zumindest gerissen sein.

Die Bereitschaft, aus einer falschen Bewunderung für den modernen Kunstbetrieb heraus sich selbst der Lächerlichkeit preiszugeben, konnte ein Privatsender vor geraumer Zeit mit einem gewitzten Experiment zeigen: Da wurden geladenen Kunstexperten, Galeristen und einem vermögenden, kunstaffinen Publikum die Besenpinseleien von Schimpansen als dynamisch-ausdrucksstarke Werke einer neuen afrikanischen "Kunstschule" junger Nachwuchskünstler präsentiert. Und siehe da: Je mehr es den Protagonisten des Täuschungsmanövers gelang, die "Fantasie" zukünftiger Wertsteigerungen und damit einer passablen Geldanlage zu erwecken, desto besser wurden die Bilder aufgenommen und schließlich kritiklos, fachkundig kommentiert von den ausgewiesenen "Auskennern" aus der einschlägigen Szene, für bis zu (damals) 50.000 DM verkauft.

Vielleicht hängen sie ja noch immer in diversen Zahnarztpraxen rum, was Yasmina Reza in ihrem genialen Theaterstück "Kunst" irgendwie nahelegt, in dem ein Zahnarzt einfach eine weiße Leinwand hängen hat, die er von einem berühmten Künstler teuer erstanden haben will: "Spuren im Schnee", und die müssen halt weiß sein …

Die zweite praktizierte Tautologie der modernen Kunst

Hinzu kommt damit noch der in der letzten Anekdote angedeutete materielle Aspekt des Kunstbetriebs als kapitalistischer Markt, als Anlagesphäre und Zeitvertreib der vermögenden Angehörigen der Oberschicht, die die Überschüsse aus ihren Schrauben-, Auto- und Software-Schmieden oder ihrem feudalen Grundbesitz in teure Hobbys umsetzen, um das von ihnen herausgezogene Geld nebenbei gleich gewinnbringend zu thesaurieren: Werden derartige Spinnereien, die die abstrakte Freiheit feiern, wirklich alles machen zu können, was eines nützlichen Gebrauchs und Zusammenhangs entbehrt, als Werke angesehen, bei denen eine Preissteigerung zu vermuten ist und die sich daher prima als Spekulationsobjekt eignen, werden sie nachgefragt, was die vermutete Preissteigerung letztlich erst zuwege bringt.

Hier ähnelt die Kunst der Spekulation mit den verrückten Formen des fiktiven Kapitals, das seinen "Wert", besser: seine Bewertung auch aus den Wertsteigerungsphantasien der Käufer schöpft. Kunst ist "wertvoll", weil die Nachfrage der Leute, die nicht wohin wissen mit ihrem Geld, sie wertvoll macht.

Lächerlich daher immer die Ehrfurcht, die gebildete Menschen bisweilen einer solchen Art von Kunstbetrieb entgegenbringen: Sie befürchten, des bildungsfernen Unverständnisses überführt, wenn nicht als verkappte "Vorgestrige" geoutet zu werden, wenn sie es wagen würden, sich aus kritischer Distanz mit den spezifischen Leistungen dieser Art von Kunstgeschäft auseinander zu setzen.

Nachtrag: Einen guten Einfall hatte der Bananen-Künstler Maurizio Cattelan aber durchaus schon gehabt: Seine Kloschüssel aus 18-karätigem Gold, die in der Toilette des New Yorker Guggenheim-Museums ausgestellt war, wurde von diesem Donald Trump als Leihgabe für das Weiße Haus angeboten, anstelle eines Van-Gogh-Bildes, das das Museum nicht herausrücken wollte.

Da passt der Verweisungszusammenhang - hatte doch die Guggenheim-Chefkuratorin und bekennende Trump-Kritikerin Nancy Spector, von der das Angebot kam, die goldene Kloschüssel als "Metapher für die Auswüchse des Wohlstands" bezeichnet. Die streitbare Dame setzte damit unbeabsichtigt mit über hundert Jahren Verspätung eine alte Polemik von W.I. Lenin um, der der bürgerlichen Klasse damit drohte, dass er nach der Revolution mit ihrem Gold, als glänzender Geldfetisch die Inkarnation der verqueren Form des Reichtums der bürgerlichen Gesellschaft, Toilettenhäuschen bauen werde, damit das "barbarische Metall" (Keynes) endlich einer sinnvollen Verwendung zugeführt würde. Allerdings hatte Lenin an Toilettenhäuschen für alle, nicht an ein Klo für Trump gedacht …

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