Alles nur ein Fake?

Der Craigslist-Skandal und seine Folgen

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Ein „wirklich übler Scherz“, meint Intern.de, Spiegel-Online spricht dagegen von einem „Sex-Skandal“ und für Wired.com ist es die Tat eines Soziopathen. Die Rede ist von einem Vorgang, der durch ein Inserat bei Craigslist.org, dem weltweit größten Online-Kleinanzeigenmarkt, ausgelöst. wurde. Dort veröffentlichte Anfang September angeblich eine junge Frau aus Seattle eine äußerst eindeutige Anzeige. Gesucht wurde von ihr ein dominanter Mann für harten schnellen Sex, und ergänzt wurde dieses Inserat von einem pornographischen Bild, das angeblich die Suchende zeigte.

(...) I am 27 yo sexy str8 woman, 5 ft 7 in, 145 lbs [tennis player] long brown hair, small tits with eraser sized nips and d/d free, safe and sane. dom fucker, get this..........u better be fuckin tuff enuff 2 handle me and a fucking bastard who thrives on giving pain.....my safe word is code blue. i need it extreme/edge, that is the only way......if this isn't ur bag.......then fuck off. i am looking 4 a white or latin only, str8 brutal dom muscular male 30-35 yo who is arrogant, self-centered, nasty, egotistic, sadistic who likes 2 give intense pain and discipline and wants pleasured who is d/d free, safe and sane. (...)

Innerhalb eines Tages antworteten exakt 178 Männer auf dieses Angebot, die oft in ihren Emails ihre privaten oder beruflichen Telefonnummern verrieten. Außerdem schickten sie in den meisten der Fälle auch Fotos von sich und ihrem Genitalbereich. Eigentlich nichts Weltbewegendes und vor allem nichts Strafbares, schließlich ist das Sexualleben dieser erwachsenen Männer deren Privatangelegenheit. Doch die angeblich so sexhungrige Frau war gar keine Frau, sondern hinter ihrem weiblichen Pseudonym steckte der Web-Designer Jason Fortuny aus Seattle. Er hatte sich angeblich zusammen mit einer Bekannten namens Demura diese Geschichte ausgedacht, dabei seinen Text aus einer echten Suchanzeige herauskopiert und dann unter dem Pseudonym einer Frau bei der Seattle-Ausgabe von Craiglist.org veröffentlicht.

So weit, so merkwürdig. Und ein Vorgang, der nach einem lustig gemeinten Scherz eines Pubertierenden klingt. Doch dann war schnell Schluss mit merkwürdig. Fortuny veröffentlichte nämlich auf einer Netzseite die Emails und die Fotos, die ihm zugeschickt wurden und rief zusammen mit Demura dazu auf, die Männer zu identifizieren: „You just might know some of these people (based in Seattle CL.) If you do, plz let us know, they will be inducted into phase 2.“

Auf die Bitten einiger seiner Opfer, die Emails und Fotos aus dem Netz zu nehmen, hat Fortuny bisher nur mit Spott reagiert und einige dieser Anfragen sogar auf seiner Seite veröffentlicht. Den ganzen Vorgang nennt er selbst ein Experiment und behauptet allen Ernstes, dass es satirisch gemeint sei (RFJason CL Experiment).

Der Vorwurf, dass er mit dieser Veröffentlichung die Existenz seiner Opfer gefährden würde, wird von ihm geflissentlich ignoriert. All die Bilder und Emails sind also bis heute immer noch online. Und wie es ausschaut, können die Opfer mit rechtlichen Mitteln die weitere Veröffentlichung nur schwer verhindern. Dazu befragte amerikanische Juristen sprechen nämlich von einem rechtlichen Präzedenzfall mit höchst unsicherem Ausgang.

Diese Geschichte hat im Netz und mittlerweile auch in den alten Medien eine heftige Diskussion ausgelöst. Erschreckend ist dabei, dass viele Netz-Nutzer Fortunys Vorgehen rechtfertigen, ja, sogar lustig finden. Und seine Opfer, heißt es dann meist, könnten eben mit dem Internet nicht umgehen und hätten daher selber Schuld.

Doch dieser Eingriff in die Privatsphäre anderer ist zwar besonders unappetitlich, aber beileibe kein Einzelfall. So hat inzwischen ein junger Mann mit dem Netz-Pseudonym CosmicJohn Fortunys Aktion eins zu eins in Portland wiederholt – wieder mit traurigem Erfolg. Kürzlich veröffentlichte angeblich aus Versehen AOL die detaillierten Suchanfragen von Tausenden seiner Kunden. Vor wenigen Tagen wurden die Account-Daten von 650.000 Teilnehmern der populären virtuellen Welt „Second Life“ Opfer eines Hacker-Angriffs. Und auch die zahlreichen Fans von Lonelygirl15, dem Star der Video-Gemeinde YouTube.com, mussten plötzlich erfahren, dass die beliebten Videos nicht, wie behauptet, von einer 16-jährigen Schülerin stammten, sondern von Filmprofis mit einer wesentlich älteren Nachwuchsschauspielerin produziert worden waren. Und leider hat BBC wohl nicht ganz Unrecht, die in einem Kommentar zu diesen Vorgängen schreibt, dass man keinem im Netz mehr glauben dürfte.

Weil das offenbar tatsächlich so ist, gibt es inzwischen auch erste Stimmen, die behaupten, selbst Jason Fortuny und die von ihm veröffentlichten Emails seien in Wirklichkeit nur ein Fake. Ein Fake, den jemand inszeniert habe, um dadurch zur Internet-Legende zu werden. Das zumindest hat er dann ja geschafft.