Atomangst lähmt Nato: Warum keine westlichen Truppen in der Ukraine kämpfen
Die Nato hält ihre Truppen aus der Ukraine heraus. Grund ist die atomare Bedrohung durch Russland. Was der Militärchef des Bündnisses dazu sagt, lässt aufhorchen.
Nach Ansicht von Admiral Rob Bauer, dem Vorsitzender des Nato-Militärausschusses hat die Angst vor einem Einsatz von Atomwaffen durch Russland westliche Staats- und Regierungschefs bisher davon abgehalten, eigene Truppen zur Unterstützung der Ukraine in den Krieg zu schicken. Das sagte der Niederländer auf einer vom International Institute for Strategic Studies (IISS) organisierten Diskussion.
Bauer erklärte, dass die Taliban in Afghanistan, gegen die Nato-Truppen kämpften, im Gegensatz zu Russland keine Atomwaffen besaßen. Dies sei ein entscheidender Unterschied und Risikofaktor, den die Allianz berücksichtigen müsse. Wörtlich sagte Admiral Bauer:
Es ist immer einfach, im Nachhinein zu sagen, dass (die Angst) dumm war, aber wenn man die Verantwortung für dieses Risiko übernehmen muss, ist es eine andere Diskussion.
Admiral Rob Bauer, dem Vorsitzender des Nato-Militärausschusses
Zu Beginn des Krieges hätten die Staats- und Regierungschefs westlicher Staaten laut Bauer noch gezögert, die "roten Linien" des Kremls zu überschreiten. Inzwischen habe die Ukraine jedoch fast das gesamte Waffenspektrum erhalten, bis zu F-16-Kampfjets.
Der Admiral betonte, dass die Nato sicherlich in der Ukraine interveniert und Russland hinausgedrängt hätte, wenn Moskau keine Atomwaffen besäße. Doch die nukleare Bedrohung durch den Kreml habe die Situation grundlegend verändert und zu einer vorsichtigen Herangehensweise geführt.
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Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte im Frühjahr angeregt, die Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine nicht auszuschließen, um für Russland eine "strategische Ungewissheit" zu schaffen. Doch diese Option wurde bisher nicht umgesetzt.
In einem Interview mit dem britischen Nachrichtenportal GB News hat der ehemalige Premierminister Boris Johnson in Aussicht gestellt, dass britische Truppen in die Ukraine entsandt werden könnten, sollte der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump die Verteidigungsausgaben für das Land kürzen.
Johnson sieht viele Risiken
Johnson betonte, es sei wichtig, die Ukraine zu unterstützen, um Russland davon abzuhalten, andere europäische Nationen zu bedrohen.
"Wenn die Ukraine fällt, würde dies zu einer noch größeren Bedrohung an unseren Grenzen führen, den Grenzen des europäischen Kontinents, überall dort, wo Demokratien an Russland grenzen", so Johnson. Er wies insbesondere auf die potenziellen Risiken für die baltischen Staaten und Georgien hin und deutete an, dass eine Niederlage der Ukraine weitreichende Folgen für ganz Europa hätte.
Rob Bauers Amtszeit als Vorsitzender des Militärausschusses endet in Kürze. Admiral Giuseppe Cavo Dragone wird seine Nachfolge antreten.
Die Äußerungen des Nato-Militärchefs verdeutlichen das Dilemma, vor dem die westliche Allianz angesichts der nuklearen Bedrohung durch Russland steht. Einerseits möchte man die Ukraine bestmöglich unterstützen, andererseits will man eine direkte militärische Konfrontation mit Moskau und eine mögliche Eskalation zum Atomkrieg um jeden Preis vermeiden.
Drahtseilakt der Nato
Dieser Drahtseilakt prägt die Nato-Politik seit Beginn des Krieges und erklärt die schrittweise Ausweitung der Waffenlieferungen an Kiew bei gleichzeitiger Zurückhaltung bei einem direkten militärischen Eingreifen.
Das IISS Prague Defence Summit, bei dem Bauer sprach, hat Regierungsvertreter, Verteidigungsbeamte, hochrangige Vertreter der Industrie, Analysten und Medien aus der transatlantischen Gemeinschaft und darüber hinaus vereint, um "Herausforderungen und Chancen für die Entwicklung der europäischen Verteidigungsfähigkeiten zu diskutieren".
Ziel sei es, übergeordnete politische Ziele in eine konkrete Umsetzungsagenda zu übersetzen, die sich auf Verteidigungsinnovation, Beschaffung und den Aufbau der für die Verteidigung Europas erforderlichen Fähigkeiten konzentriert.