Alligator-Fossil in Wien: Der letzte seiner Art überrascht die Wissenschaft

Bis vor rund 12 Millionen Jahren gab es noch Krokodile in Mitteleuropa
(Bild: Kamal15/Shutterstock.com)
Ein Fossilfund in Wien beweist: Alligatoren überlebten hier länger als gedacht. Nicht Kälte, sondern Trockenheit bedrohte die Echsen. Was geschah wirklich?
Alligatoren in Wien? Vor Millionen von Jahren war das Realität. Paläontologen des Naturhistorischen Museums Wien (NHM) haben jetzt das jüngste Urzeit-Krokodil Mitteleuropas entdeckt. Und das an einem ungewöhnlichen Ort: auf dem Postsportplatz im Bezirk Hernals.
Dort tummelten sich noch vor zwölf Millionen Jahren Alligatoren, Robben und Delfine an der Küste eines warmen Meeres. Es herrschte subtropisches Klima, ähnlich wie heute am Persischen Golf. Ab dem 19. Jahrhundert wurden in ehemaligen Tongruben der Gegend zahlreiche Fossilien dieser Tiere gefunden. Viele davon lagern heute in der Sammlung des NHM.
Historischer Irrtum führt zu neuer Erkenntnis
Bei einer erneuten Untersuchung dieser Funde machte Wirbeltier-Paläontologin Ursula Göhlich eine überraschende Entdeckung: Ein bisher den Schildkröten zugeordnetes Panzerfragment stammte in Wirklichkeit von einem Alligator der Gattung Diplocynodon.
Der Umriss und die durch tiefe Gruben strukturierte Oberfläche passten nicht zu Panzerplatten von Schildkröten. "Da war klar, dass es sich um eine Hautplatte eines Alligators handeln muss", erklärt Göhlich in einer Pressemitteilung des Museums.
Kollegen vom Universalmuseum Joanneum in Graz verglichen das Fossil mit ihrer umfangreichen Sammlung und bestätigten diese These. Das Erstaunliche daran: Bisher nahm man an, dass die letzten Alligatoren bereits vor 13,6 Millionen Jahren aus Mitteleuropa verschwanden – eine Million Jahre früher als das nun gefundene Exemplar.
Das rund zwei Meter lange Reptil lebte demnach offenbar als einer der letzten seiner Art in den Flüssen und Sümpfen rund um das prähistorische Wien. Nur selten gelangten Kadaver dieser Süßwassertiere über die Flüsse bis ins Meer, wo ihre Überreste konserviert wurden.
Starben Alligatoren wegen Trockenheit aus?
Das Aussterben der Alligatoren in Mitteleuropa erklärte man bislang mit einer globalen Abkühlung vor 14 Millionen Jahren. Doch der Wiener Fund widerlegt diese These. Die Arbeitsgruppe um Mathias Harzhauser vom NHM hat nun eine alternative Hypothese:
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"Es dürfte weniger die Abkühlung gewesen, sein, die die Alligatoren vertrieb, denn der moderne Mississippi Alligator kann sogar in gefrorenen Tümpeln überleben. Vielmehr dürfte eine Phase ungewöhnlicher Trockenheit vor etwa 12 Millionen Jahren die Lebensräume der Alligatoren bedroht haben.", so die Forscher.
Das Wiener Alligatoren-Fossil, publiziert im Fachjournal Historical Biology, ist somit nicht nur das jüngste bekannte Krokodil Mitteleuropas. Es liefert auch neue Erkenntnisse darüber, was wirklich zum Aussterben dieser faszinierenden Urzeitbewohner führte. Heute zeugen ihre versteinerten Knochen von einer Zeit, in der Wiens Bezirke noch von subtropischer Natur geprägt waren.