Alternative zur Spitzenstrom-Erzeugung: Verbraucher abschalten

Statt teuere Spitzenlastkraftwerke für wenige Stunden im Jahr bereitzuhalten, untersucht eine Studie für Süddeutschland, wie der Verbrauch verschoben werden kann

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Wenn sich der Betrieb von Spitzenlastkraftwerken, die mit fossilen Brennstoffen befeuert werden, nicht rechnet und derartige Kapazitäten nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen, könnte man alternativ auch Stromverbraucher für eine bestimmte Zeit vom Netz nehmen. Dieser Frage geht eine von der Berliner Agora Energiewende organisierte Studie nach.

In dem Mitte Dezember des vergangenes Jahres angekündigten Projekt, das von den Umweltministerien im Bundesland Baden-Württemberg und im Freistaat Bayern unterstützt wurde, sollte exemplarisch für Süddeutschland untersucht werden, ob und in welchem Umfang sich mit Lastmanagement die Spitzen des Strombedarfs kappen lassen. Die Studie wurde nicht zuletzt vor dem Hintergrund erstellt, dass Bayern und Baden-Württemberg Modellregion für intelligente Stromnachfrage werden wollen.

Die organisatorischen Hintergründe der Studie

Agora Energiewende ist Teil der Smart Energy for Europe Platform (SEFEP), deren alleinige Gesellschafter sind die European Climate Foundation und die Stiftung Mercator der Familie Schmidt-Ruthenbeck, die zu den Aktionären der Metro AG zählt. Geschäftführer der SEFEP sind der ehemalige Staatssekretär im Bundesumweltministerium Rainer Baake und die ehemalige Co-Geschäftsführerin der Deutschen Energie-Agentur (dena), 
Kristina Steenbock.

Mit der Ausarbeitung der Studie beauftragt waren das Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe und die Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft in München, die zum Einflussbereich der Forschungsstelle für Energiewirtschaft zählt.

Dispatch und Redispatch

Die Abschaltung von fünf Kernkraftwerken, der stockende Netzausbau sowie die fluktuierende Einspeisung von Photovoltaik und Wind stellen die Stromversorgung in Süddeutschland in den nächsten Jahren vor beträchtliche Herausforderungen. Dazu kommt, dass mit der Liberalisierung der Strommärkte der Netzbetrieb von der Stromerzeugung abgetrennt wurde. Die beiden Bereiche sind heute in getrennten Unternehmen angesiedelt.

Die Trennung der früher homogen verflochtenen Bereiche führt in der täglichen Praxis dazu, dass sich die Kommunikation zwischen den Bereichen zumeist auf die Abläufe im Zusammenhang mit Dispatch und Redispatch reduziert. Unter Dispatch versteht man die Einsatzplanung von Kraftwerken durch den Kraftwerksbetreiber. Redispatch ist die auf Anweisung des jeweiligen Übertragungsnetzbetreibers erfolgte kurzfristige Änderung des geplanten Kraftwerkseinsatzes, um Netzengpässe zu vermeiden.

Mit der Untersuchung zum "Lastmanagement als Beitrag zur Deckung des Spitzenlastbedarfs in Süddeutschland" sollten die Potentiale abgeschätzt werden, die als kostengünstige Alternative zu konventionellen Erzeugungskapazitäten verfügbar sein könnten.

Wenn der Netzbetreiber die Möglichkeit hat, durch entsprechende Vereinbarungen mit Kunden ein Lastmanagement zu betreiben, das es ermöglicht, in der Lastspitze beim Kunden Last abwerfen zu können, kann er entscheiden, ob er im Rahmen eines Redispatch zusätzlichen Strom in Netz einspeisen lässt oder auf der Bedarfsseite eingreift und den Strombezug von Kunden reduziert. Nun lassen sich viele Produktionsabläufe nicht beliebig unterbrechen und so hat man sich auf einzelne Bereiche konzentriert, bei welchen eine Unterbrechung der Stromversorgung grundsätzlich denkbar ist.

Großverbraucher

Da sich die Verbrauchsmengen der privaten Endkunden im Bereich von 20-30% des gesamten Stromverbrauchs bewegen und sich die in diesem Bereich identifizierten Potentiale bei Wärmepumpen und Nachtspeicherheizungen auf eine große Zahl von Einzelanschlüsse verteilt, erscheint es grundsätzlich fraglich, ob diese Verbraucher in der Praxis auch für einen Lastabwurf nutzbar sind.

Weil Süddeutschland über eine beachtliche Industriedichte verfügt, hat man zudem einerseits energieintensive Unternehmen der Grundstoffindustrie in den Bereichen Zementherstellung, Papierproduktion, Chemie mit dem Schwerpunkt Chlorchemie und Elektrostahlwerke untersucht, andererseits auch Querschnittstechniken wie Pumpen, Lüftung, Kälte, Beleuchtung und Druckluft, die in vielen Unternehmen eingesetzt werden.

Zur Untersuchung, wie Großverbraucher ihre Strom-Nachfrage gezielt verschieben können, hat man 300 Unternehmen online befragt, 40 Unternehmensbegehungen und Interviews mit 10 größeren Unternehmen in Süddeutschland durchgeführt. Wie belastbar die Befragungsergebnisse im Einzelnen sind, geht aus der Studie nicht hervor.

Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass offensichtlich 50% der energieintensiven Betriebe schon heute ein eigenes Lastmanagement einsetzen, um die betriebliche Spitzenlast zu kappen und damit letztlich bei den Kosten für den Strombezug zu sparen. Diese Abschaltpotenziale werden somit schon heute genutzt und stehen nur noch sehr bedingt zur Verfügung. Dazu müsste man beispielsweise den Unternehmen den Stromverzicht gesondert honorieren.

Für 80% der befragten Unternehmen wäre Verlagerungsdauer des Strombezugs in der Größenordnung von unter 2 Stunden denkbar, lediglich knapp 20% könnten ihre Produktionsabläufe so ändern, dass eine Lastverschiebung von 4 und mehr Stunden möglich wäre. Bei den von der Industrie geforderten Vorankündigungszeiten schwanken die Angaben zwischen 15 Minuten und mindestens 8 Stunden (40%). 70% der Unternehmen könnten sich maximal 50 Abschaltungen im Jahr vorstellen, also im Durchschnitt etwa eine Abschaltung pro Woche.

Schwachstellen und Optimierungspotential

Für eine externe Plausibilitätsabschätzung fehlen entsprechende Angaben zur Branchen-Verteilung und zur Größe der untersuchten Unternehmen, aufgrund der Datenschutzanforderungen der Beteiligten ein unlösbares Problem. Rückschlüsse auf einzelne Unternehmen wäre zu leicht möglich. So wären Angaben zu den Elektrostahlwerken vergleichsweise leicht den beiden in Süddeutschland verbliebenen Betrieben, den Lech-Stahlwerken in Meitingen und den Badischen Stahlwerken in Kehl, zuzuordnen.

Dass nach den Ergebnissen der Studie für Süddeutschland ein realisierbares Abschalte-Potential von 1 GW für eine Stunde errechnen lässt, ist nicht wirklich aussagekräftig, solange keine Angaben über die Gleichzeitigkeit vorliegen, d.h. ob die gesamte Leistung in der gleichen Stunde abgeschaltet werden kann. Was in der auf den Stromverbrauch fokussierten Studie nicht im Ansatz berücksichtigt wurde, sind die zusätzlichen Kosten (Lohn/Arbeit), die aus den Verschiebungen im Produktionsablauf resultieren können.

Zudem werden sich die nutzbaren Abschaltpotenziale auch noch mal reduzieren, sobald aus den unverbindlichen Angaben der Befragung eine verbindliche Verpflichtung zum Abschalten auf Anforderung des Netzbetreibers wird. Ein weiteres Problem dürfte sich ergeben, wenn sich die Produktionsprozesse oder die Fertigungstiefe am jeweiligen Standort ändern. Eine Überprüfung der Ergebnisse anhand einer realen Umgebung mit konkreten Messungen erscheint sinnvoll, wenn politische Entscheidungen mit den Studien-Ergebnissen begründet werden sollen.