Mehrwertsteuer-Chaos: Wer wirklich von der Senkung profitiert
Kanzler Scholz plant Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent. Ob die Ersparnis bei Verbrauchern ankommt, ist fraglich. Preise bleiben hoch.
Wer vor dem Fest Vanillekipferl und Zimtsterne backen wollte, musste für einige Zutaten tiefer in die Tasche greifen: Butter verteuerte sich im November im Vergleich zum Vorjahresmonat um 39 Prozent, Schokolade um 9,5 Prozent. In der Summe lagen die Preise für Nahrungsmittel um 1,8 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Damit bleibt die Teuerung nach wie vor ein Problem für viele Menschen.
In dieser Situation erscheint der Vorschlag des Kanzlers auf den ersten Blick wie ein Weihnachtsgeschenk: Der einfache Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel soll von sieben auf fünf Prozent gesenkt werden.
In Zeiten der Inflation würde das vielen Geringverdienern helfen, ohne den Bundeshaushalt übermäßig zu belasten, erklärte Olaf Scholz vor wenigen Tagen im ARD-Interview. Es gehe ihm allein um Lebensmittel, die man im Supermarkt an der Kasse zahlen müsse. Der Mehrwertsteuersatz in der Gastronomie hingegen soll unangetastet bleiben.
Die Reaktionen darauf waren unterschiedlich. Das hohe Preisniveau sei das Ergebnis der rot-grünen Wirtschaftspolitik. Steuersenkungen seien grundsätzlich positiv, doch sollten sie in ein wirtschafts- und finanzpolitisches Gesamtkonzept eingebettet sein, das für Wachstum sorge, erklärte Thorsten Frei von der CDU. Eine „zielgenaue Entlastung von Geringverdienern“, auch um „das Arbeiten im Verhältnis zum Bürgergeldbezug lohnender“ zu machen, forderte sein Parteikollege Mathias Middelberg.
„Teuer und zu wenig treffsicher“
Von einer solchen Steuersenkung würden nicht nur Geringverdiener, sondern auch der Mittelstand und Wohlhabende profitieren, kritisiert Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Der Finanzwissenschaftler prognostiziert für 2026 einen Mehrwertsteuersatz von 20 bis 21 Prozent, falls die nächste Regierung noch mehr Ausnahmen zulasse.
Wenn überhaupt, dann dürfe nur der Normalsatz gesenkt werden. Dies sei ein wichtiger Beitrag zum Abbau der Bürokratie.
Mit einer Steuersenkung um zwei Prozent werde Geringverdienern nicht wirklich geholfen. So werde ein 250-Gramm-Päckchen Butter gerade mal um vier Cent entlastet, rechnet das landwirtschaftliche Infoportal Agrar heute vor. Eine andere Frage sei, ob der Lebensmitteleinzelhandel die Steuersenkung überhaupt eins zu eins an den Verbraucher weitergibt.
Haushalte werden entlastet, Verwaltungskosten steigen
Glaubt man Jens Boysen-Hogrefe vom Kieler Wirtschaftsforschungsinstitut (IfW), könnten sich die Einnahmeausfälle auf etwa fünf Milliarden Euro belaufen. Allerdings dürfe die geringere Umsatzsteuer zu etwa 80 Prozent über niedrigere Preise weitergereicht werden.
Die anderen 20 Prozent erhöhten die Gewinne der Anbieter, was wiederum zu höheren Steuereinnahmen führen sollte. Diese Effekte treten zwar verzögert auf, dürften aber die öffentlichen Haushalte um rund eine Milliarde Euro entlasten, ist der Steuerschätzer überzeugt.
Ermäßigte Mehrwertsteuersätze seien zu ineffizient, um soziale oder ökologische Ziele zu verwirklichen, da sie für den Staat mit beträchtlichen Kosten verbunden sind, erklärt Stefan Genth. Das Mehrwertsteuerrecht sei kompliziert, die Verwaltung mit Kosten von ein bis vier Prozent des Umsatzes der Unternehmen teuer genug.
Kämen zusätzlich neue Steuersenkungen hinzu, stiegen die Verwaltungskosten weiter an, warnt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland.
Steuer für Milliardäre könnte Mehrwertsteuersenkung finanzieren
In den vergangenen drei Jahren hätte Scholz längst Gelegenheit gehabt, die Mehrwertsteuer sozial und ökologisch gerecht zu reformieren, kritisiert Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Matthias Lambrecht.
Greenpeace fordert eine generationenübergreifend klimagerechte Mehrwertsteuerreform: Nur klimaverträglich erzeugte pflanzliche Lebensmittel sollen von der Mehrwertsteuer befreit werden. Das würde Anreize für eine gesunde, nachhaltige Ernährung und eine Agrarwende schaffen, die nicht nur unsere Lebensgrundlagen, sondern auch künftig die Versorgung mit Lebensmitteln sichern könnte.
Bei der Finanzierung sollten vorwiegend jene in die Pflicht genommen werden, die von der fossilen, klimaschädlichen Wirtschaft besonders profitieren. Eine Steuer für „Hochvermögende“ etwa schaffe finanziellen Spielraum, um eine klimagerechte Steuerentlastung auf Lebensmittel zu finanzieren.
Gesunde und klimafreundliche Lebensmittel für alle bezahlbar zu machen, dazu hatte Greenpeace die Ampelkoalition bereits Ende 2021 gemeinsam mit dem Verbraucherzentrale Bundesverband und dem Sozialverband VdK aufgefordert.
Pflanzliche Lebensmittel von der Mehrwertsteuer zu befreien, sei ein einfaches Instrument, um Privathaushalte finanziell zu entlasten und gleichzeitig ein Anreiz für gesunde Ernährung. Wenn weniger tierische Produkte konsumiert würden, hätte dies gleichzeitig den Effekt, dass weniger Nutztiere gehalten würden, so das Argument.
Mit preiswertem Obst und Gemüse das Klima schützen
Vorschläge für geänderte Mehrwertsteuern auf Lebensmittel gab es in den vergangenen Jahren zuhauf. Bereits 2022 hatte Agrarminister Cem Özdemir vorgeschlagen, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte wegen der starken Teuerung von der Mehrwertsteuer zu befreien. Eine solche Maßnahme sei sozial klug und ökonomisch vertretbar und könne zudem schnell umgesetzt werden, lobte damals Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.
Auch die Verbraucherorganisation Foodwatch unterstützte das Vorhaben: Es werde nicht nur ein Anreiz gesetzt, mehr Obst und Gemüse zu essen. Karotten, Paprika und Co. seien in der Regel auch klimafreundlicher als Steak und Schnitzel.
Die Kosten könnten über eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch oder eine Zuckersteuer auf überzuckerte Getränke ausgeglichen werden, argumentiert Foodwatch. Blockiert wurde das Vorhaben damals von Bundesfinanzminister Christian Lindner.
Mehrwertsteuer auf Fleisch: Darf es etwas mehr sein?
Im April hatte die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer für Fleischprodukte zu erhöhen. Mittelfristig würden deutlich mehr Mittel für den Umbau der Nutztierhaltung benötigt, um immer mehr teilnehmende Betriebe, aber auch weitere Tierarten einzubeziehen, argumentierte das Beratergremium der Regierung in einem der ARD vorliegenden Eckpunktepapier.
Mit einer höheren Mehrwertsteuer wollen die Experten die Verbraucher an den Kosten für mehr Tierwohl beteiligen. Ein weiteres Argument von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung passt zu oben genannter Forderung: Der Konsum von Fleisch sei hierzulande zu hoch und somit ungesund.
Der Deutsche Bauernverband (DBV) lehnte den Vorschlag des „Tierwohlcent“ ab. Das Geld für den Tierwohlumbau müsse aus dem Bundeshaushalt kommen, erklärte Verbandspräsident Joachim Rukwied. Noch im Juli 2023 hatte CSU-Chef Markus Söder ein Aussetzen der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel inklusive Fleisch, Fisch und Milch gefordert.
Ganz ohne Mehrwertsteuer: spanisches Olivenöl
Anderswo wird die Streichung von Mehrwertsteuern auf Lebensmittel nicht nur diskutiert, sondern auch umgesetzt. Im Juni dieses Jahres hatte die spanische Regierung die Mehrwertsteuer auf Olivenöl gestrichen, weil die Preise massiv gestiegen waren. Grund dafür waren magere Olivenernten infolge von mehrjährigen Dürren.
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Olivenöl wurde fortan auf der Liste der Produkte der „lebensnotwendigen Güter“ geführt. Bei den Gütern auf dieser Liste, auf der auch Brot, Obst und Gemüse stehen, liegt der Mehrwertsteuersatz in der Regel bei vier Prozent. In Zeiten starker Inflation kann er jedoch auf null Prozent reduziert werden.
Die Maßnahme entlaste nicht nur die spanischen Verbraucher, sondern stütze auch den Olivenanbau und damit den Konsum des in Spaniens wichtigen Lebensmittels, so das Argument.