Am Anfangging es um die Geschenkökonomie

Capitalism21 - eine Microwork-Plattform für Arbeit gegen Unternehmensanteile

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Was macht ein Startup, das kein Startkapital hat? Diese Frage stellt sich ja immer brennender, denn entweder bekommt man von den Risikokapitalgebern angesichts fallender High-Tech-Aktien ohnehin keine Finanzierung mehr oder man will nicht schon von vornherein die gute Geschäftsidee an fremde Finanziers verschleudern. Dennoch wollen die Mitarbeiter irgendwie entlohnt werden. Viele Neugründer helfen sich daher mit privat aufgenommenen Bankkrediten oder jobben nebenbei. Seit neuestem haben online-basierte Firmen eine weitere Möglichkeit: Wer mitarbeitet, bekommt entsprechend seinem Beitrag Unternehmensanteile. Eine neue Webplattform für Microwork macht es möglich.

Am Anfang stand eine Magisterarbeit über Geschenkökonomie im Internet, die Maximilian Vogel 1997 am Fachbereich Informationswissenschaften der FU Berlin geschrieben hat. Durch Adam Smith, Pierre Bordieu, Richard Stallmann und die kalifornische Ideologie hat er sich damals gelesen, hat die religiösen Hintergründe von PERL erforscht sowie technische und ökonomische Randbedingungen für funktionierende "Systeme der Zirkulation knapper Güter als Geschenk" dargelegt.

Nach dem Studium gab es einen hochdotierten IBM-Job als Unternehmensberater im Bereich E-Commerce, aber die Geschenkökonomie und das zweite Studienfach Philosophie haben offenbar immer noch in ihm gewirkt: "Vielleicht ist die Arbeit unter solchen Produktionsbedingungen weniger entfremdet und kann mit mehr Hingabe und Befriedigung durchgeführt werden. Eventuell braucht es geringere Verbiegungen und eines kleineren Zynismus, als bei klassischen Medienschaffenden normalerweise anzutreffen ist", hatte er damals geschrieben. Als dann Ende der neunziger Jahre der Startup-Hype nach Deutschland überschwappte, war die Idee da: Warum nicht das freie,kollaborative Telearbeiten von Open-Source-Projekten verbinden mit einer Möglichkeit, damit auch Geld zu verdienen? Damit war der Grundstein für die neue Firma gelegt, die passenderweise gleich Capitalism21 - Kapitalismus im 21. Jahrhundert - heißt und deren Motto lautet: "Diese Firma gehört dir." Als Firmenlogo haben sich Vogel und seine schnell von der Idee überzeugten Mitgründer dazu recht dreist sogar die aufgehende rote Sonne der Arbeiterbewegung geklaut.

Die Idee klingt zunächst simpel und orientiert sich stark an Open-Source-Projekten wie dem Betriebssystem Linux, dem Open-Source-Portal dmoz oder dem Browser Mozilla: Jede Art von Inhalt, die auf viele Schultern verteilt werden kann, lässt mit der Plattform von Capitalism21 kollaborativ online erzeugen und verwalten - ob es sich nun um ein spezialisiertes Portal, ein Softwareprojekt, ein Online-Magazin oder ein Fotoarchiv handelt. Das Neue daran ist jedoch, dass die Projekte von vornherein als Aktiengesellschaften organisiert werden und dass jeder, der einen Beitrag beisteuert, damit einen Anteil des Unternehmens erwirbt. Wenn diese Publikation hier etwa nach dem gleichen Modell arbeiten würde, hieße das: Je mehr Artikel ich für Telepolis schreibe, desto mehr Anteile besitze ich an der Telepolis AG.

Was Cap21, wie die Firma intern genannt wird, den Lizenznehmern anbietet, ist allerdings weit mehr als nur eine Art moderiertes Online-Forum mit Organisationshierarchien, sondern auch das juristische Rahmenwerk, das für ein solches Firmenmodell nötig ist. Dabei waren komplizierte Fragen zu klären, die von möglicher Scheinselbständigkeit über steuerliche Fragen der Aktienauszahlung bis hin zum Schutz für Kleinaktionäre reichten. Vor diesem Hintergrund ist der Kern der Firma eigentlich das Depotverwaltungssystem für die Anteilseigner, das automatisiert mit der jeweils unterschiedlichen Content-Generierung verknüpft wird. Es kann daher auch an bestehende Redaktionssysteme angeschlossen werden. Um im Beispiel zu bleiben: Jedes Mal, wenn Florian Rötzer einen meiner Artikel zur Veröffentlichung freigibt, würden mir dann automatisch (etwa entsprechend der Artikellänge) weitere Telepolis-Aktien gutgeschrieben. Verwaltet werden diese für alle Lizenznehmer auf dem Motherserver "Capetown", der dafür entsprechende Sicherheitsvorkehrungen bekommen hat. Darauf legt der heutige CEO Vogel großen Wert: "Das Ding muss so sicher sein wie Online-Banking oder -Brokering."

Konsequenterweise arbeitet Cap21 nach dem Cap21-Prinzip: Die sechs Leute aus dem Gründungsteam, die alle vorher gute Jobs in der Medien- und IT-Branche hatten, bekommen für ihre Arbeit vor allem Unternehmensanteile, die meisten jobben daher noch nebenbei. Lediglich einige wenige beziehen ein eher symbolisches Gehalt, daher war auch nur ein relativ geringes Startkapital nötig, das vor allem für Büromiete und Hardware draufgegangen ist. Auch die zwei Rechtsanwaltssozietäten, die ein halbes Jahr Arbeit in die Beteiligungsverträge gesteckt haben, bekamen selber keinen Pfennig, sondern Aktienoptionen der Capitalism21 AG. "Nur die Putzfrau kriegt als einzige Geld und keine Anteile", scherzt Kreativdirektorin Inga Hofmann, die von der Firmenidee so begeistert war, dass sie extra von London nach Berlin ungezogen ist.

Und in der Tat: Obwohl die Beta-Version erst seit kurzem online ist und bisher nur Textgenerierung erlaubt, hat Cap21 schon mehr als 100 Aktionäre/Mitarbeiter gewinnen können, und auf dem firmeneigenen Online-Forum gibt es fast nur begeisterte Zustimmung. Das mag zum einen mit der Eleganz der Idee zu tun haben, die gut in die Zeit passt: Die Buzzwords Linux und Open-Source, verbunden mit der Aussicht auf eine recht risikolose Beteiligung an Firmengründungen. Zum anderen scheint es aber auch einen großen Angebotsmarkt für diese Art von Microwork zu geben. Asynchrony.com, ein ähnliches Projekt aus den USA, das Online-Teams für Softwareprojekte zusammenstellt und deren Vermarktung organisiert, hat bereits mehr als 25000 Mitglieder.

Was bei Cap21 noch dazukommt, ist die ungewöhnliche Transparenz des Unternehmens. So ist sogar der Businessplan im Volltext verfügbar, der bei anderen Startups streng unter Verschluss gehalten wird. Vogel erklärt das damit, dass alle Besucher der Webseite ja potenzielle Mitarbeiter und damit auch Mitbesitzer sind, und diese sollen möglichst weitgehend in die Firmenentwicklung einbezogen werden.

Ob das Prinzip von Capitalism21 wirklich funktioniert, muss sich allerdings noch zeigen. Die bloße Summe von 1000 Aktionären, die auf der Webseite als Kriterium angegeben wird, reicht dafür sicherlich nicht aus, denn es werden sich schnell 1000 Leute finden, die irgendetwas zu irgendeinem Projekt online beisteuern wollen. Was bei Cap21 noch fehlt, sind die Kunden, die auch echtes Geld mitbringen, indem sie die Plattform lizenzieren. Wenn das aber selber Startups sind, die mit dem Cap21-Modell fehlendes Startkapital durch Arbeit ersetzen wollen? In diesem Fall sind die Anhänger der Geschenkökonomie knallhart kalkulierende Kapitalisten: Einfach nur für Unternehmensanteile an anderen Firmen wollen die Berliner ihr Produkt doch noch nicht hergeben. Von irgendetwas muss man sich ja in fünf Jahren die Palmeninsel kaufen können, die momentan noch als Fototapete in den Geschäftsräumen im Prenzlauer Berg hängt.

Neben den zahlenden Kunden könnten die Mitarbeiter mittelfristig auch ein Problem werden. Fraglich bleibt, wie viele Leute wirklich bereit sind, an Projekten mitzuarbeiten, die zwar von der Organisationsform AG her auf die Geldökonomie ausgerichtet sind, aber die Entlohnung nicht garantieren können. Die gesamte Konstruktion mit der Bezahlung durch Unternehmensanteile funktioniert nämlich nur dann, wenn das Projekt wirklich an der Börse platziert wird oder zumindest einen Käufer für die Aktien findet. Bis dahin bleibt der Gewinn ein reines Zukunftsversprechen - und Capitalism21 vielleicht trotz des schönen Namens die letzte Zuspitzung der Gründerwelle des ausgehenden 20. Jahrhunderts.

Die ist ja mittlerweile deutlich abgeebbt, und langsam stellen sich auch hier die Spielregeln der alten Ökonomie ein. Internetfirmen achten neuerdings auf ausgeglichene Bilanzen, Betriebsräte werden gegründet, und bei vielen Firmen der New Economy haben die Mitarbeiter inzwischen keine Lust mehr auf Aktienoptionen, sondern wollen lieber ein ordentliches Weihnachtsgeld sehen. Am Ende, so könnte sich herausstellen, ist Cap21 vielleicht eine originelle Idee, aber letztlich zu inkonsequent: Für die ideologisch motivierten und selbstlosen Linux-Freaks zu monetaristisch und für die nach einem sicheren Einkommen schielenden Arbeiteraktionäre zu unsicher. Ich schreibe schließlich auch lieber für Telepolis, wenn es dafür richtiges Geld gibt.