Amerikaner suchen Redefreiheit bei Russen
Donald Trump wurde nun auch bei YouTube gesperrt - und Telegram verzeichnet binnen 72 Stunden 25 Millionen neue Nutzer
Gestern ist US-Präsident Donald Trump von einem weiteren Social-Media-Dienst gesperrt worden: Der Videoplattform YouTube, die zu Google gehört. Bereits vorher hatten ihm Twitter und Facebook die Nutzungserlaubnis entzogen. Diese Maßnahmen führten inzwischen zu einer ganzen Reihe von Witzmeldungen, deren Inhalt ist, dass Donald Trump auch von Grindr, PornHub und anderen Plattformen gesperrt wurde, auf denen er gar kein Konto hat. Oder zumindest kein bekanntes.
Gewartet, bis die Gefahr eines Entzugs der Privilegien nach Sektion 230 vorbei ist?
Hintergrund dieser Scherze ist, dass die Begründungen, mit denen man den US-Präsidenten sperrte, nicht auf jeden überzeugend wirkten: Twitter begründete das damit, das Trumps Absage, an Joseph Bidens Vereidigung teilzunehmen, ein heimlicher Hinweis an Randalierer sein könnte, die Veranstaltung zu stören. Verletzter Stolz, persönliche Antipathie, und eine auch als Teil des Images gepflegte Lust, mit den Sitten des politischen Establishments zu brechen, würden hier den Test mit Occams Rasiermesser womöglich etwas besser bestehen.
Eine entscheidendere - aber nicht offen kommunizierte - Ursache der lebenslangen Sperre Donald Trumps auf Jack Dorseys Plattform könnte gewesen sein, dass man ihn in der Führungsebene von Twitter nicht mag, und dass man nicht möchte, dass der Dienst mit ihm in Verbindung gebracht wird. So lange er noch US-Präsident war, und so lange noch eine kleine Chance bestand, dass er es weiter bleiben könnte, zögerte Twitter möglicherweise mit der Verbannung. Immerhin bestand ja in diesem Fall die Möglichkeit, dass er es vielleicht doch noch geschafft hätte, einen Entzug der Privilegien nach Sektion 230 des Communications Decency Acts durchzusetzen (vgl. Haben Facebook und Twitter unfreiwillig Nord Stream 2 gerettet?). Jetzt ist so ein Entzug durch demokratische Mehrheiten in beiden Kongresskammern in weite Ferne gerückt.
Gabs Erfolg wirkt sich in der Praxis wie ein DDoS-Angriff aus
Zumindest kurzfristig scheint das Tugendsignal aber negative wirtschaftliche Folgen zu haben: Seit der Sperre verlor die Twitter-Aktie deutlich an Wert. Dafür verbuchte Gab, der Twitter-Konkurrent, der mit dem Slogan "The Home of Free Speech" für sich wirbt (und auf dem man Donald Trump theoretisch weiterhin lesen kann), am Samstag 500.000 und am Sonntag weitere 600.000 neue Nutzer. Für einen Dienst, der vorher nur gut eine Million User hatte, ist das beachtlich. So beachtlich, dass Gab trotz zehn neuer seit der Trump-Sperre auf Twitter in Betrieb genommener Server derzeit praktisch kaum erreichbar ist, weil sich der vermeintliche Erfolg in der Praxis wie ein DDoS-Angriff auswirkt.
Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass Twitter neben dem Konto Donald Trumps auch Konten einer Reihe weiterer User sperrte. Und, dass viele Gab-Nutzer, die sich ihr Konto dort bereits nach dem Twitter-Rauswurf von Milo Yiannopoulos zugelegt hatten (vgl. Milo Yiannopoulos will eigenes Medienunternehmen gründen), aber kaum nutzten, nun wieder auf den Dienst zugreifen.
N'est pas Parler
Dass Gab am Sonntag sogar 600.000 neue User dazugewann führt Firmenchef Andrew Torba darauf zurück, dass Amazon an diesem Tag den vorher bei Jeff Bezos' Unternehmen gehosteten Twitter-Konkurrenten Parler seine Dienste versagte. Parler-Chef John Matze wollte eigentlich innerhalb einer Woche einen neuen Hoster finden, stellte aber dann fest, dass er auf einer Art "Schwarzen Liste" zu stehen scheint..
Außerdem haben Google und Apple die Parler-App aus dem Play Store und aus dem Apple Store entfernt. In Huaweis App Gallery war sie bereits vorher nicht zu haben. Es wäre vielleicht auch eine zu große Ironie der Geschichte gewesen, wenn Donald Trump nun vor allem über die chinesische Firma erreichbar gewesen wäre, die er während seiner Präsidentschaft nicht nur aus den USA, sondern auch aus anderen Ländern zu verbannen versuchte (vgl. Das "beste Mittel", um die Sicherheit von 5G zu garantieren).
Tatsächlich eine Ironie der Geschichte ist dagegen, dass nun viele Amerikaner Redefreiheit beim Dienst zweier Russen suchen: Beim 2013 von Pawel und Nikolai Durow gegründete Telegram, das - anders als Gab und Parler - nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Alternative zu Twitter ist und weiterhin gut läuft. Telegram verzeichnete binnen 72 Stunden 25 Millionen neue Nutzer, wie der Dienst heute früh mitteilte. Die sind aber zum Teil wahrscheinlich auch dem neuen Umgang mit Nutzerdaten durch WhatsApp zu verdanken. Insgesamt setzen Telegram nun monatlich etwa 500 Millionen Menschen aktiv ein. Bei Twitter sind es monatlich 330 Millionen.
Bislang genießt Telegram den Ruf, lediglich bei Terrorismus, Kinderpornographie und Immaterialgüterrechtsverletzungen zu löschen, aber seine Nutzer sonst weitgehend so kommunizieren zu lassen, wie sie wollen. Da der politische Druck auf den Dienst aber zunimmt (vgl. EU setzt Telegram auf Piraterie-Watchlist), ist nicht ausgeschlossen, dass sich das in Zukunft ändert. Auch Telegram arbeitet nämlich mit zentralen Servern. Dezentrale Social-Media-Dienste wie Secure Scuttlebutt und Mastodon stoßen immer noch auf verhältnismäßig wenige Interesse (vgl. Dezentral und Open Source: Ist Mastodon das bessere Twitter?).
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