Milo Yiannopoulos will eigenes Medienunternehmen gründen

Milo Yiannopoulos' Pressekonferenz vom Dienstag. Screenshot: TP

Breitbart-Chef Marlow kritisiert Äußerungen des Kolumnisten zu Minderjährigen und sexuellem Missbrauch als "unvertretbar" und "ekelhaft"

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Am Wochenende twitterte das konservative Reagan-Battalion Ausschnitte aus einem Interview des Gays-for-Trump-Gründers Milo Yiannopoulos, in dem dieser meint, ein sexueller Kontakt zwischen einem Minderjährigen und einem älteren Mann könne einvernehmlich sein, wenn der Minderjährige geschlechtsreif ist. In den Fällen, in denen es zu sexuellem Kontakt zwischen volljährigen Lehrerinnen und minderjährigen männlichen Schülern kam, ist für ihn (ähnlich wie für russische Medien) eher der Schüler das "Raubtier".

Ob diese Sätze für die Medienaufmerksamkeit ausgereicht hätten, die ihm derzeit zukommt ist fraglich: Dass es Fälle gibt, in denen die Geschlechtsreife bereits vor dem Ende des Schutzalters einsetzt, zeigt ein aktueller Prozess in London, in dem gegen einen zum Tatzeitpunkt Elfjährigen verhandelt wird, dessen Samen man im Anus seines vierjährigen Opfers fand. Eine andere Frage ist, ob die körperliche Geschlechtsreife auch eine geistige Zustimmungsreife bedeuten muss. Trotzdem gibt es beispielsweise deutsche Gerichte, die einen erwachsenen Ehemann einer 13-jährigen Schwangeren nicht einsperren lassen, sondern stattdessen als deren Vormund einsetzen.

"Dankbar für Father Michael"

Maßgeblicher war wohl Yiannopoulos' sarkastische Bemerkung, mit der der Tabubrecher auf den Hinweis des Knabenmissbrauchs durch katholische Priester reagierte: Er sei, so der Brite griechisch-jüdisch-deutscher Abstammung, "dankbar für Father Michael", denn er wäre "heute nie so gut beim Oralverkehr, wenn es ihn nicht gegeben hätte".

Daraufhin strich ihn die Conservative Political Action Conference (auf der er ironischerweise über Redefreiheit und Meinungszensur sprechen sollte) von der Rednerliste, der Verlag Simon & Schuster teilte ihm mit, er werde sein geplantes Buch Dangerous (das bei Amazon schon vor dem Erscheinen an der Spitze der Bestellcharts stand) nun nicht mehr veröffentlichen und Alex Marlow, der Chef des konservativen Portals Breitbart, kritisierte Äußerungen seines Kolumnisten als "unvertretbar" und "ekelhaft".

"Übliche Mischung aus britischem Sarkasmus, Provokation und Galgenhumor"

Auf einer Pressekonferenz gab der YouTube-Star dann am Dienstag bekannt, er werde nicht mehr für Breitbart schreiben, sondern ein eigenes neues Medienunternehmen gründen, und bedauerte, dass seine "übliche Mischung aus britischem Sarkasmus, Provokation und Galgenhumor", bei vielen Leuten den Eindruck hervorrief, ihm seien die Opfer von Kindsmissbrauch egal und er würde die Täter in Schutz nehmen. Seinen Angaben nach hat es ihn psychisch lange belastet, dass ihn im Alter zwischen 13 und 16 zwei Männer (von denen einer ein Priester war), "berührten, wie sie es nicht hätten tun sollen".

Auch wenn er die Vorgänge nicht als Missbrauch wahrgenommen habe, so habe es sich doch um solchen gehandelt, was auch für vergleichbare Fälle gelte. Mit der Erwähnung der 13 Jahre habe er sich auf seine eigenen Erlebnisse bezogen, aber keinesfalls eine entsprechende Senkung des Schutzalters (das in Großbritannien bei 16 Jahren liegt) fordern wollen, was er in einer nicht im geschnittenen Video zu sehenden Stelle des Interviews auch klar sage. Das Schutzalter in Deutschland (14) halte er für zu niedrig angesetzt.

Als er davon erzählte, dass ältere homosexuelle Männern jüngeren homosexuellen Männern helfen könnten, einem verständnislosen Elternhaus zu entkommen, hätte er, so Yiannopoulos, für letztere nicht das Wort "Boys" benutzen sollen, weil er bei der entsprechenden Erfahrung schon 17 gewesen sei. Dafür entschuldige er sich - aber nicht dafür, dass er mit seinen Erfahrungen auf die Weise umgehe, die für ihn am besten sei: Mit Humor. Da lasse er sich vor allem von solchen Leuten keine Vorschriften machen, denen es nicht um den Schutz von Kindern, sondern nur um eine "Hexenjagd" gehe.

Heterogene Republikaner

Der Fall sorgt in den USA unter anderem deshalb für viel Medienaufmerksamkeit, weil er zeigt, wie heterogen die republikanische Partei derzeit ist: Zur wertkonservativen christlichen Moral Majority (für die Themen wie Abtreibung, Homoehe und Stammzellenforschung zentrale Anliegen sind), den steuerfixierten Fiskalkonservativen und den interventionistischen Neocons stießen in den letzten beiden Jahrzehnten Personen, denen vor allem die Redefreiheit wichtig ist (vgl. Republikanischer Bürgerkrieg). Dass diese Redefreiheitsbefürworter bei den Republikanern landeten, und ihre Gegner bei den Demokraten, erschien am Anfang noch relativ arbiträr. Es hätte auch umgekehrt sein können, da es für beide Gruppen in beiden Parteien Anschlusspunkte gab. Inzwischen haben sich die entstandenen Fronten aber neomanichäisch verfestigt.

Milo Yiannopoulos zählt zu diesen Zensurgegnern: In einem Interview mit Bill Maher hatte der mit Perlenketten behängte Homosexuelle letzte Woche gemeint, er wisse gar nicht, ob er wirklich ein Konservativer sei, aber er trete unbedingt für Redefreiheit ein. Und dieses Eintreten für Redefreiheit gelte in der heutigen Zeit als "konservativ". Dass die Redefreiheit aber auch mit den Positionen traditionellerer Konservativer kollidiert, hatte sich bereits vorher offenbart, als Yiannopoulos beispielsweise in einem provokant sophistischen Vortrag mit dem Titel "Warum der Katholizismus in allem recht hat" argumentierte, diese Religion habe die vorher übliche Versteigerung von Töchtern an den Meistbietenden beendet - und die sei zwar eine seiner sexuellen Lieblingsphantasien, aber er würde akzeptieren, dass die meisten Leute da anders dächten als er. Gegner wie der konservative Radiomoderator Charlie Sykes, die er sich mit solchen Scherzen machte, sehen sich nun bestätigt.

Sein provokanter und eher komplexer Humor dürfte auch ein wichtiger Grund dafür sein, dass manche Medien Milo Yiannopoulos vorwarfen, schwulen-, juden-, schwarzen- oder frauenfeindlich zu sein. Wenn er sich klar äußerte, sagte der Brite jedoch immer wieder, dass er es für gar keine gute Idee hält, wenn Gesellschaften nach Hautfarbe, Geschlecht oder sexuellen Vorlieben diskriminieren und dass er sowohl "linke" wie auch "rechte" Identitätspolitik für schädlich hält.