Angeklagt: Wie VW Klimaskepsis bedient und Autofahrern die Schuld zuschiebt

Der VW-Konzern ist in Stückzahlen der zweitgrößte Autohersteller der Welt. Bild: Ivan Radic / CC BY 2.0

Klimaschützer und ein Bauer klagen gegen den deutschen Autokonzern. Er dürfe gemäß CO2-Budget ab 2030 keine Verbrenner mehr herstellen. Warum das nötig ist und VW tief in den Leugner-Giftschrank greift.

Vor dem Landgericht in Braunschweig klagen die Klimaaktivistin Clara Mayer, Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser und Roland Hipp, Imker und Waldbesitzer, gegen den deutschen Autokonzern Volkswagen. Sie wurde letzte Woche vom Gericht zugelassen. Jetzt beginnt die Prüfung.

In Detmold vor dem Landgericht wird eine ähnliche Klage des Bio-Landwirts Ulf Allhoff-Cramer gegen VW bereits verhandelt. Er argumentiert, dass der nach Stückzahlen zweitgrößte Autobauer der Welt (nach Umsätzen größte) mitverantwortlich ist für Dürren und Starkregen, die seinem Hof beträchtliche Schäden zugefügt haben und in Zukunft Einbußen verursachen werden.

Die Kläger:innen am Landgericht in Braunschweig wollen erreichen, dass VW den Verkauf von klimaschädlichen Verbrennern bis spätestens 2030 einstellt. Bis dahin sollen maximal 25 Prozent der verkauften Pkw und leichten Nutzfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren ausgestattet werden. Außerdem müsse der Autobauer seinen CO2-Ausstoß bis 2030 um 65 Prozent reduzieren.

In der Klage wird darauf verwiesen, dass sich die CO2-Emissionen von VW-Autos (exklusive der LKW) bei Herstellung und Betrieb 2018 auf 582 Millionen Tonnen beliefen. Das entspricht der Treibhausgasmenge von Australien bzw. einem Prozent der globalen Emissionen (inklusive der LKW-Sparte sind es rund zwei Prozent). VW sei damit aus Klimasicht ein De-Facto-Staat, der sich seiner Verantwortung und Sorgfaltspflicht stellen müsse.

Bei einer Verurteilung würden rund zwei Gigatonnen CO2 eingespart werden, was rund einem Drittel des verbleibenden Kohlendioxid-Budgets Deutschlands entspricht. Die Anwältin der Kläger:innen-Seite Roda Verheyen stellt fest:

Staaten emittieren selbst sehr wenig CO2, Wirtschaftsunternehmen wie VW emittieren viel und das global. Konzerne behaupten jedoch noch immer, ihr Pfad und ihre Verpflichtung für den Klimaschutz wären völlig unklar und vage.

Der VW-Konzern hat sich anders als andere Autohersteller bisher geweigert, ein Enddatum für Diesel- und Benzinfahrzeuge festzulegen. Zudem fokussiert sich der deutsche Autobauer besonders auf die klimaschädlichen SUVs. Deren Marktanteil soll von 20 Prozent auf 50 Prozent bis 2025 gesteigert werden.

Das sei aber nicht vereinbar mit dem noch zur Verfügung stehenden Budget an Treibhausgasen, das global mit insgesamt 500 Milliarden Tonnen CO2 (gemäß Pariser Temperaturobergrenze von maximal zwei Grad Celsius) extrem begrenzt ist, so Greenpeace.

Um das verbleibende Budget für VW zu berechnen, stützen sich die Kläger:innen in ihrer Klage-Begründung auf Berechnungen des Weltklimarates (IPCC) und der Internationalen Energieagentur (IEA). Sie verweisen auf die Einhaltung der in Paris vereinbarten Obergrenze von maximal zwei Grad Celsius, festgeschriebene und notwendige Klimaziele (Deutschland hat ein Emissionsende bis 2045 zugesagt, was deutlich später ist als das, was Budgetstudien berechnet haben, die 2035 ansetzen) und der Lebensdauer von Autos (in Deutschland 14,5 Jahre).

Daraus lässt sich das Restbudget an Treibhausgase für VW sowie Enddaten für neue Verbrennungsmotoren und fossile Brennstoffe ableiten. Konkret heißt es: VW darf ab spätestens 2030 keine Verbrenner mehr herstellen.

Wenn VW bremst, bremst die ganze Autowelt mit

Was nun, zumindest in der Art und Weise, frappierend ist: In Erwiderungen auf die Klage des Bio-Bauern Allhoff-Cramers argumentiert der größte Autobauer Europas diametral anders als in der Öffentlichkeit und verbreitet Zweifel am Klimawandel. Während man sich in Statements und in den Medien als ökologischer Musterschüler präsentiert und seine Elektrostrategie anpreist, wird Verantwortung und Handlungsbedarf im Rechtsstreit grundsätzlich abgewiesen.

Greenpeace verweist auf zwei 250 Seiten umfassende Schriftsätze, die die Anwälte beim Gericht eingereicht haben. Danach versuchten sie, wie Greenpeace schreibt, "Zweifel am Zusammenhang zwischen VWs Treibhausgasemissionen und den spür- und messbaren Auswirkungen auf das Klima zu säen. Sie stellen zentrale Erkenntnisse der Klimawissenschaft als unsicher dar und betonen zugleich, Volkswagen handle im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen."

Der Mitkläger und Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser hält dem Automobilkonzern vor:

VW greift ganz tief in den Giftschrank der Klimawandelleugnung. Die Anwältinnen und Anwälte des Konzerns versuchen seit Jahren, belegte Klimawissenschaft in Zweifel zu ziehen. Sie verdrehen bewusst wissenschaftliche Erkenntnisse zum Zusammenhang zwischen Wetterextremen wie Dürren und dem menschengemachten CO2-Ausstoß. All das steht in drastischem Widerspruch zum Image des ökologischen Vorreiters, das VW in der Öffentlichkeit sucht.

Greenpeace dokumentiert die Argumente und Darstellungen der VW-Anwälte. Danach werden eine ganze Reihe von Nebelkerzen gezündet und Klima-Skepsis verbreitet. Behauptet wird (wie gesagt, in Widerspruch zu Äußerungen der Führungsspitze von VW in der Öffentlichkeit) u.a.:

  • VW ist doch schon auf 1,5-Grad-Kurs. Fakt ist jedoch: Eine Untersuchung des New Climate Institute ergab das Gegenteil. Zudem lobbyierte VW in Brüssel gegen strengere Abgasnormen.
  • Das sind gar nicht VWs Emissionen. Die Autofahrer produzierten 99 Prozent der Emissionen durch "eigennütziger Verwendung der Fahrzeuge". Sie seien daher für alle diese Emissionen verantwortlich. Fakt ist jedoch: Die Autos können nur gemäß ihrer Hersteller-Bestimmung von den Käufer:innen genutzt werden.
  • Vom Klimawandel weiß VW erst seit kurzem. Fakt ist jedoch: Dokumente aus dem VW-Archiv belegen, dass der komplette Vorstand spätestens 1983 über den menschengemachten Klimawandel und die Folgen informiert gewesen ist.
  • Der Einfluss von VWs Emissionen auf das Klima ist völlig unklar. Man argumentiert: Das Klimasystem sei "komplex", die "Klimaantriebe" wie CO2 könne man nicht genau von natürlichen Faktoren unterscheiden und der menschengemachte Beitrag zur Klimaerwärmung ließe sich nicht klar bestimmen. Fakt ist jedoch: Dem widerspricht der wissenschaftliche Konsens, ausgedrückt in zahlreichen Studien, wie sie vom Weltklimarat IPCC regelmäßig versammelt und ausgewertet werden.
  • Dürren gab es immer schon. Natürlich provoziert oder anthropogen erzeugt, ließe sich nicht sagen, so die VW-Anwälte. Und: Es gäbe keinen gesicherten Zusammenhang mit der Erderwärmung. Fakt ist jedoch: Der menschengemachte Einfluss lässt sich wissenschaftlich von natürlicher Klimavariabilität trennen. Dass es bei konkreten Dürren weiter Unsicherheiten in der Attributionsforschung gibt, widerspricht dem nicht.

Die Klage gegen VW ist nicht die einzige und auch nicht die erste Klimaschutz-Klage. Weltweit ist zu beobachten, dass mehr und mehr derartige Klagen gegen Unternehmen erhoben werden, durchaus mit Erfolg.

Nicht nur das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sieht Freiheits- und Eigentumsrechte durch die Klimakrise gefährdet, sondern auch Gerichte in den Niederlanden, Belgien und Frankreich. Im Mai 2021 wurde der Ölkonzern Shell in den Niederlanden zu mehr Klimaschutz verurteilt. Jetzt hat das Unternehmen angekündigt, seine CO2-Emissionen bis 2030 zu halbieren.

Eine Klage gegen den Essener Energiekonzern RWE in Deutschland, bei der peruanische Bauern die historisch kumulierten Emissionen von RWE mitverantwortlich für schmelzenden Gletscher und daraus resultierende Schädigungen machen, wurde vom Essener Landgericht 2016 abgewiesen. Jetzt läuft ein Berufungsverfahren am Oberlandesgericht in Hamm.

Unabhängig davon, ob die VW-Klage erfolgreich sein wird oder nicht, sollte es zu denken geben, dass der deutsche Autokonzern vor Gericht Argumente von seinen Anwälten verwenden lässt, die Klimawandel-Skeptiker:innen und Relativierer der Emissionsrealität seit langem anführen.

Mehr noch: Man widerspricht eklatant Aussagen, die die Unternehmensspitze in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit tätigte. Dort zeigt man sich besorgt über die Klimakrise, argumentiert gemäß der Wissenschaft und verspricht entschlossenes Handeln sowie eine Trendwende im Einklang mit dem Pariser Klimavertrag.

Man sollte zudem im Kopf haben: VW stellt weltweit jedes achte Auto her. Der Konzern ist für ungefähr zwei Prozent der globalen Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich (inklusive der LKW), so viel wie ganz Deutschland im Jahr produziert. Wenn VW beim CO2-Ausstoß der Autos bremst, bremst die ganze Autowelt mit.

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