Angriff auf Bürgergeld: Will die CDU 46 Millionen Arbeitnehmer erpressen?
Laut Parteichef Merz geht es um Arbeitsunwillige. Sozialverband warnt davor, psychisch Kranken den letzten Tritt zu geben. Arbeitsrechtler sieht weitere Gefahr.
Niemand solle glauben, es ginge bei dem "Knallhart-Plan" der CDU nur "um ein paar Arbeitslose", meint Jörg Schindler, Fachanwalt für Arbeitsrecht und ehemals Bundesgeschäftsführer der Partei Die Linke.
"Es geht um 46 Millionen Arbeitnehmer: Sanktionen, Sperrzeiten usw. verstärken deren Angst vor Jobverlust. Und das schwächt ihre Verhandlungssituation. Das Ziel ist, deren Lohn zu senken", schrieb Schindler am Wochenende auf der Plattform X.
Sozialverband: Bürgergeld-Abschaffung gefährdet Depressive
Die CDU-Spitze um Parteichef Friedrich Merz will das Bürgergeld in seiner jetzigen Form abschaffen und mutmaßlichen Arbeitsverweigerern das Existenzminimum ganz streichen – über diesen "Knallhart-Plan" berichtete am Freitag die Bild mit der Überschrift "Nie mehr Stütze für faule Arbeitslose". Eine entsprechende Beschlussvorlage solle an diesem Montag von Präsidium und Bundesvorstand der CDU abgesegnet werden.
Lesen Sie auch:
Gegen Migration und Bürgergeld: Wie die FDP als AfD light am rechten Rand fischt
Erschreckende Zahlen: Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut
Krankenkassen vor dem Kollaps: Warum Sie bald tiefer in die Tasche greifen müssen
Bürgergeld: Wer kürzt mehr?
Sozialchauvinismus gegen Bürgergeldbezieher – selbst drei Bier zur EM sind zu viel
Sozialverbände, Linke und auch SPD-Politiker sind entsetzt. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, warnte im Gespräch mit der ARD davor, depressiven Menschen derartigen Sanktionen "den letzten Tritt" zu geben.
"Die tun das nicht aus Bösartigkeit. Sie haben wirklich Probleme bis zum Kragen. Sie kommen meist überhaupt nicht mehr klar mit ihrem Leben. Viele sind psychisch krank, viele depressiv – und mit Sanktionen würde man ihnen praktisch den letzten Tritt geben", so Schneider.
Laut Merz gibt es 1,7 Millionen Arbeitsunwillige. Wirklich?
Merz hatte Anfang Februar die Anzahl der "arbeitsfähigen Menschen in Deutschland, die arbeiten könnten", aber sich ausrechnen würden, "dass es sich eigentlich gar nicht lohnt, wenn man Bürgergeld bezieht" mit 1,7 Millionen beziffert – allerdings ohne Faktoren wie fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Sprachbarrieren, unpassende Anforderungsprofile für offene Stellen oder unfreiwillige Antriebslosigkeit durch Depressionen zu berücksichtigen.
Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hatte bereits im Bürgergeld-Vorläufermodell Hartz IV jede dritte Person, die entsprechende Leistungen bezog, mit psychischen Problemen zu kämpfen – häufig sind diese Probleme demnach der Grund für den Verlust der Arbeitsstelle oder bei jungen Menschen für nicht erfolgreiche Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz.
SPD verteidigt Bürgergeld mit harten Einschnitten
Eine dauerhafte Streichung der Lohnersatzleistungen für die vermeintlich "Faulen" lehnt auch die SPD ab: "Die Höhe des Bürgergeldes ist durch einen Verfassungsgerichtsbeschluss festgelegt. Das ist jetzt umgesetzt worden, übrigens mit Zustimmung der Union", so SPD-Chef Lars Klingbeil.
Es sei richtig, dass der Staat Menschen in Not eine Absicherung gebe. "Wir müssen andere Debatten führen als Angriffe auf den Sozialstaat", sagte Klingbeil laut ARD-tagesschau am Wochenende in Berlin.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat sich im Januar vom Ampel-Kabinett "nur" das Vorhaben absegnen lassen, Erwerbslosen für bis zu zwei Monate der Bürgergeld-Regelsatz für Ernährung, Hygiene, Kleidung, Hausrat und Strom zu streichen, wenn sie gegen die sogenannte Mitwirkungspflicht bei der Jobvermittlung verstoßen. Allerdings ist diese Regelung auf zwei Jahre nach Inkrafttreten befristet und wurde mit der Haushaltslage begründet.
Aktuell sind die Unionsparteien allerdings bundesweit mit gut 30 Prozent stärkste Kraft in den Umfragen.