Anklage gegen Israel: US-Senatoren bedrohen Chefankläger des Strafgerichtshofes
Unterzeichner drohen UN-Juristen und ihren Familien. Deutliche Reaktion aus Den Haag. Ähnlicher Konflikt bereits 2019 unter Trump.
Eine Gruppe einflussreicher US-Senatoren der Republikanischen Partei hat den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Karim Khan, vor der Ausstellung internationaler Haftbefehle gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanyahu und andere israelische Amtsträger gewarnt.
Im Falle einer solchen Ausstellung drohen sie ihm mit "strengen Sanktionen". Dies geht aus einem Brief hervor, der von zwölf republikanischen Senatoren, darunter Tom Cotton aus Arkansas, Marco Rubio aus Florida und Ted Cruz aus Texas, unterzeichnet worden ist.
"Ziele Israel an und wir werden dich ins Visier nehmen"
In dem knappen, einseitigen Schreiben wird Khan darüber informiert, dass jeglicher Versuch des IStGH, Netanyahu und andere Vertreter des israelischen Staates oder der Armee für ihre Handlungen im Gazastreifen zur Rechenschaft zu ziehen, "nicht nur als Bedrohung der Souveränität Israels, sondern auch der Souveränität der Vereinigten Staaten" interpretiert werde.
"Wenn Sie Israel ins Visier nehmen, werden wir Sie ins Visier nehmen", warnen die Senatoren Khan. Sie drohen damit, seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu sanktionieren und ihn und seine Familien aus den USA auszuweisen. Der Brief endet mit der drohenden Bemerkung: "Sie wurden gewarnt."
In einer Stellungnahme gegenüber dem Online-Magazin Zeteo äußerte der demokratische Senator Chris Van Hollen aus Maryland Kritik an den Drohungen der republikanischen Senatoren:
Es ist in Ordnung, sich gegen eine mögliche gerichtliche Maßnahme auszusprechen, aber es ist absolut falsch, sich in eine gerichtliche Angelegenheit einzumischen, indem man Richter, ihre Familienmitglieder und ihre Mitarbeiter mit Vergeltungsmaßnahmen bedroht. Diese Gangstermethoden sind etwas für die Mafia, nicht für US-Senatoren.
Die Palästinensischen Gebiete sind ICC-Mitglied
Obwohl weder Israel noch die Vereinigten Staaten Mitglieder des IStGH sind, wurden die palästinensischen Gebiete im April 2015 mit dem Status eines Mitgliedsstaates aufgenommen.
Khan, ein britischer Anwalt, wurde im Februar 2021 zum Chefankläger des ICC ernannt, eine Woche nachdem das Gericht bereits mehrheitlich entschieden hatte, dass seine territoriale Zuständigkeit auf "Gaza und das Westjordanland" ausgedehnt wird.
Nach den Terrorangriffen der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 hatte Khan bekannt gegeben, dass das Gericht über mögliche Kriegsverbrechen sowohl von Hamas-Militanten in Israel als auch von israelischen Streitkräften in Gaza befinden wird.
Gemäß dem Römischen Statut von 2002 kann der IStGH Einzelpersonen wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord anklagen.
Aktuelle Berichte deuten auf eine wachsende Sorge in Israel in, dass der IStGH Haftbefehle gegen Netanyahu und andere hochrangige Kabinetts- und Militärbeamte vorbereitet.
IStGH reagiert auf Drohungen
Am Freitag veröffentlichte das Büro des Chefanklägers in Den Haag eine beispiellose Stellungnahme auf Twitter, in der es ein Ende der Vergeltungsdrohungen gegen den ICC und Versuche, seine Beamten zu "behindern" und "einzuschüchtern", forderte. Die Erklärung fügte hinzu, dass solche Drohungen "eine Straftat gegen die Verwaltung der Justiz" gemäß dem Römischen Statut darstellen könnten. Im Wortlaut heißt es:
Die Anklagebehörde ist sich des großen öffentlichen Interesses an ihren Ermittlungen bewusst und begrüßt Kommentare, die Äußerung von Bedenken und die Beteiligung an ihren Aktivitäten von staatlichen und gewählten Vertretern, Nichtregierungsorganisationen, Akademikern und Aktivisten.
Das Amt ist bestrebt, mit allen Beteiligten konstruktiv zusammenzuarbeiten, sofern ein solcher Dialog mit seinem im Römischen Statut verankerten Mandat vereinbar ist, unabhängig und unparteiisch zu handeln.
Diese Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wird jedoch untergraben, wenn Einzelpersonen damit drohen, Vergeltungsmaßnahmen gegen den Gerichtshof oder gegen Bedienstete des Gerichtshofs zu ergreifen, falls das Amt in Ausübung seines Mandats Entscheidungen über Untersuchungen oder Fälle trifft, die in seine Zuständigkeit fallen.
Solche Drohungen können, selbst wenn sie nicht in die Tat umgesetzt werden, einen Verstoß gegen die Rechtspflege gemäß Artikel 70 des Römischen Statuts darstellen. Diese Bestimmung verbietet ausdrücklich sowohl "die Bestechung eines Beamten des Gerichtshofs im Kontext der Ausübung seiner Dienstpflichten" als auch "die Nötigung, Einschüchterung oder Verleitung eines Beamten des Gerichtshofs durch Bestechung, um ihn zu zwingen oder zu veranlassen, seine Dienstpflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß zu erfüllen".
Das Amt besteht darauf, dass alle Versuche, seine Beamten zu behindern, einzuschüchtern oder in unzulässiger Weise zu beeinflussen, unverzüglich eingestellt werden.
Stellungnahme des Büros des Chefanklägers des ISTGH, Den Haag
In ihrem Brief hatten die zwölf republikanischen Senatoren Khan daran erinnert, dass die USA mit dem "American Service-Members' Protection Act" ein Mittel hätten, um gegen ihn und Vertreter des UN-Gerichtes vorzugehen.
Dieses US-Gesetz, das 2002 von George W. Bush unterzeichnet worden war, ist weithin als "The Hague Invasion Act" bekannt. Es ermächtigt US-Präsidenten dazu, "alle notwendigen und angemessenen" Mittel zu verwenden, um die Freilassung nicht nur von US-Personen, sondern auch von Verbündeten zu erreichen, die vom IStGH inhaftiert oder festgehalten werden".
Die Formulierung war damals als direkte und physische Drohung gegen das UN-Gericht in Den Haag interpretiert worden.
USA hatten schon 2019 Maßnahmen gegen den IStGH ergriffen
Die USA hatten unter der Präsidentschaft von Donald Trump Mitte März 2019 bereits einmal Visaverbote gegen Mitarbeiter des IStGH ausgesprochen. Human Rights Watch kritisierte damals, dass dies Verfolgung schwerer internationaler Verbrechen gefährden könnte.
Der damalige US-Außenminister Michael Pompeo kündigte an, dass das Verbot für IStGH-Mitarbeiter gelten wird, die an potenziellen Untersuchungen von US-Bürgern beteiligt sind.
Bei dem damaligen Konflikt ging es um, Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen im Irak und ebenfalls um das israelische Vorgehen in den palästinensischen Gebieten.