Arbeit nach der Pandemie: Selbstorganisiert zur Profitsteigerung
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Homeoffice kann beides sein: Instrument einer demokratischen Arbeitswelt oder Maßnahme für Ausbeutung der Lohabhängigen
Unternehmen planen die Zeit nach der Pandemie. Dabei sind die Erfahrungen aus der Corona-Zeit von besonderer Bedeutung, denn hektisch mussten ab März letzten Jahres viele Beschäftigte das Arbeiten zu Hause organisieren. "Über die kompetente Eigeninitiative seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist wohl so mancher Manager erstaunt", stellt Axel Korge vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation fest.
Bei einer Online-Veranstaltung des Demographie-Netzwerks benannten Unternehmensvertreter wichtige Faktoren, um ein Arbeiten in den eigenen vier Wänden zu erleichtern. "Arbeiten im Homeoffice verlangt ein hohes Maß an Selbstorganisation", wurde da konstatiert. Das Personalberatungsportal haufe.de kommentiert den neuen Trend: "Zu Hause lässt es sich selbstbestimmter arbeiten", heißt es da.
"Selbstorganisierte Unternehmen stellen die Angestellten gleichwertig ins Zentrum ihrer Arbeit", beschreibt businessinsider.de die aktuelle Entwicklung. Als Beispiel dient die Unternehmensorganisation des Hamburger IT-Schulungs- und Beratungsdienstleisters oose Innovative Informatik. Die Führung erfolge durch alle, die Teamchefs wurden abgeschafft.
"Wandel ist für uns normal", schildert ein Vorstandsmitglied. Die Angestellten können sich unterschiedliche Entscheidungskreise wählen lassen, die Entscheidungen etwa zur Personaleinstellung treffen. Ein wesentlicher Aspekt von "partizipativer Führung ist die Selbstorganisation", so Thorsten Petry, Professor an der Hochschule Rhein-Main.
Wichtig sei eine besondere Art der Führung im Digitalzeitalter: "Aufgabe der Führungskräfte ist es, einen Rahmen zu schaffen, in dem sich die Mitarbeiter entfalten können." Selbstorganisation fordern auch Gabriele und Georg Leppelmann in der Neuerscheinung Agilität in Unternehmen. "Menschen können intuitiv mit weniger Aufwand erwünschte Ergebnisse selbstverantwortlich umsetzen", wenn sie motiviert werden, so die Unternehmensberater.
Selbstorganisation als Aktionsform der Arbeiterbewegung
Management-Berater fischen damit in fremden Gewässern. Denn die Selbstorganisation war schon immer eine wichtige Aktionsform der Arbeiterbewegung. Von der fast vergessenen Dynamik einer Räte-Bewegung berichtet der Journalist Felix Klopotek in seinem neuen Buch "Rätekommunismus".
Räte entwickelten sich seit der Pariser Kommune 1871, die geschichtliche Entwicklung zeigt, "dass die Selbstbefreiung der Arbeiterinnen und Arbeiter sich in Räten ohne die Vermittlung einer Partei vollzieht". Gegenwehr der Arbeiter zu Beginn der Industrialisierung erfolgte selbstorganisiert, "Räte haben sich aus Streikkomitees entwickelt", so Klopotek.
1918 setzten Arbeiter- und Soldatenräte ein Ende des Krieges durch. Vordenker der Räte-Bewegung entwarfen schon in den 1920er-Jahren "ein System auf Grundlage einer antikapitalistischen Grundhaltung, in dem die Arbeiterinnen und Arbeiter stets wissen, was mit ihrer Arbeit passiert, für was sie gerade arbeiten, was sie dafür erwarten können. Und sie wissen das, weil sie dieses System selbst erkämpft haben werden", so Klopotek.
Die Selbstorganisation der Beschäftigten ist aber nicht nur Thema für Historiker. Die Besetzung und Übernahme von Betrieben ist auch heute noch eine kollektive Aktionsform. Betriebsbesetzungen mit dem Ziel der Produktion in Selbstverwaltung sind seit der Jahrtausendwende aus Lateinamerika bekannt.
Im Laufe der Bankenkrise 2008 haben Belegschaften auch in Europa und Nordamerika erfolgreich Besetzungen von Betrieben durchgeführt, die von der Schließung bedroht waren. Beispiele aus Argentinien, Italien und Griechenland, schildert Dario Azzellini in seinem Buch Vom Protest zum sozialen Prozess.
Drei Jahre und acht Monate haben die Arbeiter eine Teebeutelfabrik ScopTi in Frankreich nach der Schließung besetzt gehalten, bevor sie den Kampf gegen den Lebensmittelkonzern Unilever gewannen. In Selbstverwaltung organisieren sie die Produktion. "Der jahrelange Kampf hat die Beschäftigten geprägt. Sie wollen vieles anders machen und machen einiges anders", so Azzellini.
Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, neue Ideen im Kollektiv entwickelt. "Rückeroberte Betriebe unter Arbeiter:innenkontrolle", nennt Azzellini diese Unternehmen, die meist aus der Defensive heraus entstehen, wenn Arbeitsplatzabbau droht.
Abbau von Hierarchien, die Art der Produktion wird in betroffenen Betrieben offen diskutiert. Rotation wird "oftmals in einem Zusammenhang mit Entfremdung und der Fragmentierung des Arbeitsprozesses diskutiert. Kollektive Entscheidungsfähigkeit erfordert und fördert außerdem ein breiteres Wissen über das Funktionieren des Unternehmens".
Angst und Entfremdung, die sonst ein konstanter Begleiter der Arbeiterschaft in normalen Fabriken sind, können durch die selbstverwalteten Betriebe überwunden werden, betont Azzellini.
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