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Artenschutz für Daimler&Co.?

Bild: BeconowyPaschtet / CC BY-SA 2.5

Die Energie und Klimawochenschau: Von sich verfilzenden Strom-Oligopolen, verminderten Kfz-Steuern, strukturkonservativen Konzernen und deren davon eilenden chinesischen Konkurrenz

Die Meldung der Woche ist vermutlich die Flurbereinigung von RWE und E.on. Die beiden Stromgiganten und bisherigen Konkurrenten, die längst über Deutschlands Grenzen hinausgewachsen sind und sich dabei mit dem Kauf von alten Kohle- und Gaskraftwerken auch des öfteren [1] eine blutige Nase [2] holten, wollen Geschäftsbereiche austauschen und die Unternehmen miteinander verknüpfen.

Zu diesem Zweck soll der erst 2016 geschaffene und mehrheitlich der RWE gehörende Konzern Innogy zerlegt werden. Dabei handelt es sich um eine Ausgründung des Energiekonzerns RWE, in welche dessen schon zuvor unter diesem Namen firmierende Sparte der Erneuerbaren (hauptsächlich Wind- und Wasserkraft aber auch einige Biogasanlagen und ein spanischer Solarpark) gesteckt wurde. Außerdem hatte Innogy von RWE die Netze und das Vertiebsgeschäft übernommen.

Auf letzteres mussten allerdings 2017 in Großbritannien erhebliche Abschreibungen [3] vorgenommen werden, was im Vorstand zum Stühlerücken führte. Das Manager-Magazin spricht [4] von einer Notschlachtung, aber ganz so schlecht kann es Innogy nicht gehen.

Trotz der unerwarteten Abschreibungen und einem geringer ausgefallenen Gewinn wurden für das Geschäftsjahr 2017 [5] unverändert 1,6 Euro pro Aktie ausgezahlt. Für 2018 wird ein Nettogewinn von über 1,1 Milliarden Euro und ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern (Ebit) von rund 2,7 Milliarden Euro erwartet.

Hauptbetätigungsfeld von Innogy ist die Windkraft sowohl auf See als auch an Land. Doch da hat es zuletzt mit dem Wachstum etwas gehapert. Obwohl 2017 EU-weit die Windkapazitäten - hier die entsprechenden Statistiken [6] - um rund elf Prozent zugenommen haben, schaffte Innogy nur einen Zuwachs um 3,7 Prozent.

Um das zu ändern, hatte das Unternehmen eigentlich vor, in den kommenden Jahren viel Geld in die Hand zu nehmen. Bis 2020 - so der ursprüngliche Plan - sollten jährlich netto zwei Milliarden bis 2,5 Milliarden Euro investiert werden, und zwar vor allem in Windparks. Aber vermutlich ist davon auszugehen, dass daran auch in der veränderten Konstellation festgehalten wird. In den Büchern stehen unter anderem auch Projekte in den USA [7].

Allerdings ist die erneute Umstrukturierung bei den deutschen Oligopolen ein deutliches Zeichen dafür, dass man noch immer versucht, mit den Folgen des technologischen Umbruchs klar zu kommen. Berauscht von den Rekordgewinnen zum Ende des letzten Jahrzehnts hatte man die Zeichen der Zeit nicht erkannt.

Zum einen hatten RWE und E.on zu lange darauf vertraut, Unionsparteien und Liberale würden den Ausstieg aus der Atomwirtschaft kassieren und die alten Meiler länger laufen lassen, was auch fast geklappt hätte. Zum anderen wurden weiter fleißige Stein- und Braunkohlekraftwerke gebaut, obwohl seit den ersten Klimaschutzverträgen, also ab Anfang der 1990er hätte klar sein können, dass diese eigentlich unter keinen Umständen mehr die üblichen rund 40 Jahre würden laufen können.

Rekordumsatz bei VW

Aber derlei Strukturkonservatismus ist offensichtlich nicht allein das Problem der Energiekonzerne, wie sich in der Dieselaffäre zeigt. Diese scheint sich derzeit zu einem Schwanengesang auf die hiesige Automobilindustrie auszuwachsen. Zwar fährt diese noch immer Rekordgewinne ein, wie zuletzt VW [8], doch das war, wie gesagt, bei E.on und RWE ganz ähnlich, bevor es dort im Gebälk zu krachen begann.

Und wie einst die Vorstände der Energiekonzerne scheint man auch in der Chefetage von VW jeden Realitätskontakt verloren zu haben. Der VW-Vorstand genehmigt sich [9] über 50 Millionen Euro Bezüge und zugleich wird an die Aktionäre mehr als elf Milliarden Euro verteilt.

Das stößt wahrscheinlich nicht nur bei der Linkspartei übel auf. Aus deren Bundestagsfraktion heißt es [10], die VW-Rekordumsätze sollten die Bundesregierung "aus ihrem politischen Dornröschenschlaf reißen. Autokonzerne, die bewusst manipuliert und betrogen haben, müssen endlich zur Verantwortung gezogen werden, statt die Bürgerinnen und Bürger die Zeche zahlen zu lassen."

Der bisher erzielte Minimalkonsens von Software-Updates ist nur eine kosmetische Reparatur und zudem die kostengünstigste Lösung für die Autoindustrie: Gut für das Portemonnaie der Konzerne, schlecht für die Millionen betroffenen Dieselfahrer und insbesondere für die Lungen aller. Eine Hardware-Nachrüstung auf Kosten der Autokonzerne ist die einzige Möglichkeit, die Emissionen von Dieselfahrzeugen auf das nötige Maß zu reduzieren. Die Jahresbilanz von VW zeigt, das Geld dafür ist da. (…) Für reine Luft und Fahrverbote muss zahlen, wer das Desaster zu verantworten hat.

Ingrid Remmers, verkehrspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag

Derweil ist der Abgasbetrug nicht nur ein Umweltproblem erster Güte und ein Verlust für die Käufer der Mogelwagen. Auch der Fiskus erleidet offenbar erheblich Einbußen.

Ein (legaler) Steuerbetrug

Aus Großbritannien berichtet [11] The Guardian, dass dem dortigen Finananzamt vermutlich allein durch die seit 2010 zugelassenen neuen Fahrzeuge 2016 zwei Milliarden Pfund (2,26 Milliarden Euro nach aktuellem Kurs [12]) entgangen sind.

Das liege daran, dass Großbritannien CO2-arme Fahrzeuge steuerlich stark begünstigt und die Neuwagen aber aufgrund falscher Angaben zu günstig eingestuft worden seien. Die Fahrzeuge würden tatsächlich die von den Herstellern angegebenen Werte für CO2-Emissionen im Durchschnitt um 42 Prozent übersteigen.

Der Bericht erwähnt zugleich, dass unter realistischen Bedingungen durchgeführte Tests ergeben hätten, dass einige der neuesten Diesel ganz ohne Betrugssoftware auf sehr niedrige Stickoxidwerte kämen, besser abschnitten als Benziner und damit vermutlich zu den saubersten je verkauften Autos gehörten.

Auch die Zeit schreibt [13] über Steuerausfälle durch den Dieselbetrug und beziffert sie für Deutschland auf 1,2 Milliarden im Jahre 2016. Beide Zeitungen beziehen sich auf eine im Auftrag der europäischen Grünen erstellte Studie [14].

Die CO2-Werte seien, so die Zeit, mit legalen Tricks geschönt worden. Diese bestünden vor allem darin, dass die vorgeschriebenen Testbedingungen in den entsprechenden Labors wenig mit dem Alltag auf der Straße zu tun haben. Ähnliches gilt übrigens auch für das Stickoxid.

Geschicktes Lobbying der Branche hatte offensichtlich dafür gesorgt, dass die Normen entsprechend definiert wurden. Ab September 2018 soll sich das laut Zeit ändern. Dann würden die Emissionswerte der Fahrzeuge auch im realen Straßenverkehr getestet.

Daimler kokettiert mit E-Bussen

Vielleicht haben ja einige in den Konzernvorständen doch inzwischen die Zeichen der Zeit erkannt? Den Eindruck vermitteln auf den ersten Blick auch die Nachrichten [15] über Daimlers neuen Elektrobus.

Ende des Jahres soll die Serienproduktion starten, hieß es zu Beginn letzter Woche. Nach dem verlinkten Bericht des Manager-Magazins konnte der Konzern es sich aber nicht verkneifen, zugleich etwas Werbung für den Dieselantrieb zu machen.

Dabei ist der deutsche Traditionskonzern - so traditionell deutsch, dass man auch am Krieg der Nazis und an Sklavenarbeit ganz gut verdiente [16] und es auch sonst nicht so mit den Menschenrechten [17] hat - reichlich spät dran, wie auch das Magazin anmerkt.

Der chinesische Hersteller BYD hat zum Beispiel von seinem Elektrobus-Modellen [18] (maximale Geschwindigkeit 70 Kilometer pro Stunde, Reichweite über 250 Kilometer, fünf Stunden Ladezeit, alles nach Unternehmensangaben) laut Wikipedia [19] zwischen 2010 und Ende 2016 schon 10.000 Exemplare abgesetzt.

In Shenzhen [20], der Nachbarstadt Hongkongs, haben bereits alle dort eingesetzten 14.000 Busse [21] einen Elektroantrieb, rund 80 Prozent davon stammen aus den Werkhallen von BYD. Das Unternehmen hat in der 13-Millionen-Einwohner-Stadt seinen Geschäftssitz.

China handelt

Die Abnehmer seiner Elektrobusse findet BYD allerdings inzwischen nicht nur im Heimatland, sondern unter anderem in den USA [22], in London [23], in Santiago de Chile [24] und in Kapstadt [25].

Auf hiesigen Straßen will demnächst der Fernbus-Anbieter Flixbus Busse der Chinesen einsetzen. Beim Nachbarn in Frankreich ist Flixbus schon einen Schritt weiter. Zwischen Paris und Amiens kommen, wie der Spiegel berichtet [26], Fahrzeuge des ebenfalls chinesischen Hersteller Yutong zum Einsatz .

Flixbus-Sprecher André Schwämmlein meint [27], dass die E-Busse zwar in der Anschaffung deutlich teurer als die Dieselbusse seien, sich aber für das Unternehmen dennoch lohnten. Schwämmlein scheint dabei vor allem auch das Image seines Brötchengebers im Blick zu haben, aber der Spiegel hat auch bei der Unternehmensberatung McKinsey nachgefragt.

Dort spricht man einerseits davon, dass die Anschaffungskosten doppelt so hoch seien, dem aber ein Kostenvorteil durch den erheblich günstigeren Treibstoff und durch "deutlich reduzierte Wartungskosten beim Antriebsstrang" gegenüberstünden. Außerdem würden die Preise der E-Busse künftig kräftig sinken, da die Hersteller zur Massenfertigung übergehen können.

Auch in Island sammelt man schon seit zwei Jahren [28] Erfahrungen mit Yutong-E-Bussen. BYD ist also keineswegs der einzige Hersteller in der Volksrepublik. Insgesamt wurden in China 2016 schon 116.700 Elektrobusse verkauft [29].

2017 gingen die Verkaufszahlen jedoch auf knapp 90.000 zurück [30]. Der Grund sind dem verlinkten Bericht zu Folge Änderungen in den Subventionsregularien und vermutlich auch -höhen. BYD wird übrigens noch in diesem Jahr in Frankreich seinen für Westeuropa ersten Herstellungsbetrieb einweihen [31].

Die Kapazität soll zunächst 200 Busse pro Jahr betragen. Ganz offensichtlich sind die deutschen Automobilkonzene gerade dabei, einen neuen Megatrend zu verpennen, und der Eindruck drängt sich auf, dass das ganze Geschrei gegen Fahrverbote davon ablenken und den Unternehmen Artenschutz verschaffen soll. Ganz ähnlich, wie es die Energiekonzerne einst mit dem Lobbying für ihre Atommeiler und aktuell noch immer für ihre Kohlekraftwerke versuchen.

Chinesische Lichtblicke

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche. Chinas Treibhausgasemissionen sind 2017 entgegen der Erwartungen nur sehr moderat gewachsen. Das berichtet [32] Jan Ivar Kosbakken mit seinen Kollegen vom CICERO Center for International Climate Research [33] in Norwegen.

Demnach seien die chinesischen Treibhausgasemissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Zementproduktion im vergangenen Jahr vermutlich nur um 1,4 Prozent gestiegen, nachdem sie schon in den Vorjahren annähernd konstant waren.

Einiges deutet inzwischen darauf hin, dass China den Höhepunkt seiner Emissionen bereits erreicht haben könnte oder dem sehr nahe ist. Die Autoren sind diesbezüglich allerdings sehr zurückhaltend und verweisen unter anderem auf die Unsicherheiten in den chinesischen Statistiken.

Auf jeden Fall wachsen die Emissionen aber schon seit einigen Jahren auch in China erheblich langsamer als die Wirtschaft. Erreicht wurde das unter anderem mit dem 2017 eingeleiteten forcierten Umstieg von der Kohle auf Erdgas in einigen der nördlichen Provinzen. The Guardian berichtet [34] außerdem davon, dass die chinesischen Kohlekraftwerk ab demnächst für ihren CO2-Ausstoß werden zahlen müssen.

Ein Emissionshandelssystem soll ökonomische Anreize schaffen, die Treibhausgase zu reduzieren. Der chinesische Kraftwerkssektor sei für jährlich 3,3 Milliarden Tonnen CO2 verantwortlich - etwas mehr als das Dreifache der gesamten deutschen Emissionen. Damit könnte das Zertifikatssystem - wenn es denn besser als das europäische arbeitet und nicht wie dieses von der Kohlelobby verwässert wird - zu einem der weltweit wichtigsten Hebel im Kampf gegen den Klimawandel werden.

Andererseits sind diese 3,3 Milliarden Tonnen auch "nur" ein knappes Zehntel des Problems, das daher auch viele kleinere Lösungsansätze erfordert. Ein weitere wichtiger Schritt wird sein, den Emissonshandel zum einen auf andere Industriezweige auszudehnen und zum anderen dann auch zum Beispiel für die energie- und CO2-intensive Herstellung von Stahl und Zement Alternativen zu finden. Hier eröffnen sich zum Beispiel wie berichtet [35] mit dem Werkstoff Holz ganz neue, faszinierende Perspektiven.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3994910

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/energieriese-rwe-milliardenverlust-durch-ausserplanmaessige-abschreibungen/19426626.html
[2] https://www.wiwo.de/unternehmen/energie/rwe-und-e-on-in-der-krise-schlechte-chancen-fuer-deutsche-energiekonzerne-in-gb/12667748-3.html
[3] http://www.manager-magazin.de/unternehmen/energie/innogy-rwe-tochter-mit-hohen-abschreibungen-auf-npower-a-1177676.html
[4] http://www.manager-magazin.de/unternehmen/energie/rwe-und-eon-zerteilen-innogy-die-notschlachtung-a-1197949.html
[5] https://iam.innogy.com/ueber-innogy/investor-relations/events/ergebnisse-des-geschaeftsjahres-2017
[6] https://windeurope.org/about-wind/statistics/european/wind-in-power-2017/
[7] http://www.handelsblatt.com/unternehmen/energie/nach-fuehrungsstreit-innogy-feiert-winddeal-in-den-usa/20781888.html
[8] https://www.focus.de/finanzen/news/unternehmen/volkswagen-vw-steigert-milliarden-gewinn-deutlich_id_8604270.html
[9] http://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/volkswagen-gewinn-steigt-trotz-dieselskandal-vw-vorstaende-50-millionen-euro-a-1197818.html
[10] https://www.linksfraktion.de/presse/pressemitteilungen/detail/jahresbilanz-von-vw-zeigt-geld-fuer-dieselnachruestungen-ist-da/
[11] https://www.theguardian.com/business/2018/mar/10/false-emissions-ratings-cost-uk-more-than-2bn-a-year-report
[12] http://www.xe.com/currencyconverter/
[13] http://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-03/abgasskandal-kfz-steuer-steuerausfaelle-studie-gruene
[14] http://extranet.greens-efa-service.eu/public/media/file/1/5503
[15] http://www.manager-magazin.de/unternehmen/autoindustrie/mercedes-daimler-stellt-ersten-elektrobus-citaro-e-cell-vor-a-1196560.html
[16] http://www.gesichter-der-zwangsarbeit.de/kapitel-4
[17] https://www.heise.de/tp/features/Daimler-eingebrochen-3390105.html
[18] http://www.byd.com/la/auto/ebus.html
[19] https://de.wikipedia.org/wiki/BYD_ebus
[20] https://de.wikipedia.org/wiki/Shenzhen
[21] https://futurism.com/shenzhens-bus-fleet-100-percent-electric-end-2017/
[22] https://insideevs.com/byd-projects-sales-of-200-electric-buses-in-us-globally-crosses-5000-sold/
[23] http://www.byd.com/news/news-436.html
[24] http://www.byd.com/news/news-422.html
[25] http://www.engineeringnews.co.za/article/cape-towns-e-buses-to-arrive-at-end-2017-e-bus-plant-on-track-2017-02-28/rep_id:4136
[26] http://www.spiegel.de/auto/aktuell/flixbus-startet-erste-elektrische-fernbuslinie-a-1197696.html
[27] https://www.flixbus.de/unternehmen/presse/pressemitteilungen/flixbus-e-mobilitaet
[28] http://icelandreview.com/news/2016/10/17/icelands-first-electrical-bus
[29] https://cleantechnica.com/2017/02/03/china-100-electric-bus-sales-grew-115700-2016/
[30] https://cleantechnica.com/2018/02/04/china-100-electric-bus-sales-just-89546-2017/
[31] https://www.electrive.net/2017/03/24/byd-baut-e-busse-ab-2018-in-frankreich/
[32] http://www.climatechange.ie/guest-post-chinas-co2-emissions-grew-less-than-expected-in-2017/
[33] https://www.cicero.uio.no/en
[34] https://www.theguardian.com/environment/2017/dec/19/china-aims-to-drastically-cut-greenhouse-gas-emissions-through-trading-scheme
[35] https://www.heise.de/tp/features/Holz-als-natuerlicher-Nanowerkstoff-3986950.html