Atomkraft-Ausbau in Frankreich: "Ohne zivile Kernenergie, keine militärische Nuklearmacht"

Stacheldraht schützt nicht vor Strahlung: Das Framatom-Werk in Le Creusot. Foto: Ralf Streck

Je weiter politisch rechts, desto mehr für neue Atomkraftwerke - Im Nachbarland gibt es einen eigenartigen Überbietungswettbewerb "pro Atom". Macron will neue AKW zum Klimaschutz

Im kommenden April finden in Frankreich Präsidentschaftswahlen statt. Der zukünftige Umgang mit Atomkraft ist ein zentrales Thema im Vorwahlkampf. Eine Debatte über den Ausstieg aus der gefährlichen, schmutzigen und wenig flexiblen Art der Stromerzeugung wird praktisch aber nicht geführt.

Auch die französischen Grünen wollen die Abschaltung der inzwischen altersschwachen Atommeiler, deren Laufzeit auf 50 Jahre verlängert wurde, auf den Sankt-Nimmerleinstag verschieben. "Niemand sagt, dass wir morgen die Atomkraftwerke runterfahren", erklärte der grüne Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot. Er rechne mit 20 Jahren bis zum Ausstieg. "Und wenn es fünf Jahre mehr sind, dann ist das eben so."

Vor allem Parteien des rechten Spektrums positionieren sich eindeutig als Verfechter der Atomenergie. Je weiter der Kandidat am rechten Rand zu verorten ist, umso mehr neue Atomkraftwerke will er oder sie bauen. Spricht der konservative Kandidat Xavier Bertrand davon, mindestens drei neue Atomkraftwerke bauen zu wollen, will die rechtsextreme Marine Le Pen vom "Rassemblement National" schon sechs bauen. Eric Zemmour, der sich wie Präsident Emmanuel Macron offiziell noch nicht als Kandidat hat aufstellen lassen, spricht sogar von zehn neuen Atommeilern.

Zur Frage, ob und wie viele Reaktoren der sogenannten dritten Generation gebaut werden sollen, hält sich Macron derzeit zurück. Allerdings hält sich seine Regierung eine Entscheidung über weitere "European Pressurized Reactors" (EPR) offen. Darüber könnte, so unlängst die französische Staatssekretärin für Industriepolitik, Agnès Pannier-Runacher, nun doch noch vor der Fertigstellung des EPR in Flamanville entschieden werden. Das war das Projekt, mit dem Frankreich schon unter Nicolas Sarkozy die Renaissance der Atomenergie einläuten wollte.

Milliardengräber

Dass daraus nichts wurde, ist regelmäßigen Telepolis-Lesern bekannt. Statt eines Verkaufsschlagers wurde der EPR eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen. Bis heute ist es den französischen Kraftwerksbauern nicht gelungen, auch nur einen EPR in Europa ans Netz zu bekommen. Aus den Projekten wurden Milliardengräber. Die sollen nun das Stromproblem in Frankreich lösen, das wegen der verfehlten Energiepolitik und der altersschwachen Atomanlagen jeden Winter vor dem Blackout steht.

Vor fast 20 Jahren begann Frankreich mit dem Bau des ersten EPR vor der finnischen Westküste für einen Festpreis von drei Milliarden Euro. Olkiluoto-3 sollte schon vor zwölf Jahren Strom liefern, liefert ihn bis heute aber nicht, die Kosten haben sich mehr als vervierfacht. 2007 begann Frankreich damit in Flamanville. Dieser EPR sollte fünf Jahre später Strom liefern. Auch daraus wurde nichts. Da immer neue Sicherheitsmängel auftauchen, wird das wohl vor 2024 nichts.

Und auch dann bekommt das Land nur einen Schrott-Reaktor, der wegen Problemen am Deckel und am Boden des Reaktorbehälters nach wenigen Jahren im Betrieb teuer überprüft werden soll. Die Kosten waren, wie der französische Rechnungshof vorgerechnet hat, schon 2015 auf 12,4 Milliarden Euro angewachsen. Dazu kämen bis zur nun angepeilten Inbetriebnahme aber weitere 6,7 Milliarden Euro. Damit hätten sich Kosten des mit zunächst veranschlagten 3,3 Milliarden "billigen" Projekts praktisch versechsfacht.

Macron setzt sich deshalb schon zaghaft vom EPR und den Vorstellungen seiner Gegner ab und zaubert nun mit der vierten Generation der Atomreaktoren einen scheinbar innovativen Vorschlag aus dem Hut. "Small Modular Reactors" (SMR) sollen es richten. Diese "kleinen modularen Reaktoren", die eine Leistung bis zu 300 Megawatt (MW) haben sollen, hält Macron, der aus guten Gründen, wie wir noch sehen werden, tief in den Interessen der Atomlobby verstrickt ist, für "vielversprechend". Das zeigt sich deutlich in seinen Plänen, die er am Dienstag mit seinem Plan von einem Frankreich 2030 vorgestellt hat.

Atomkraft spielt im "Plan Frankreich 2030", der mit 30 Milliarden Euro unterfüttert werden soll, neben der Autoindustrie und dem Flugzeugbau, eine ganz wesentliche Rolle. Man müsse nun erneut in die Atomenergie investieren, "um an der Spitze der bahnbrechenden Innovationen in diesem Sektor zu stehen." Er spricht von der "Neuerfindung" der Atomkraft. "Wir müssen uns dringend auf bahnbrechende Technologien und tiefgreifende Veränderungen in der Kernenergie vorbereiten", erklärte er vor Regierungsmitgliedern, 200 Unternehmern und Studierenden im Elysée-Palast.

Diese 30 Milliarden kommen zu den 100 Milliarden Euro hinzu, die Frankreich schon im sogenannten "Wiederaufbauplan" vorgesehen hat, um die Corona-Krise zu überwinden. Mit all diesen Milliarden will in Paris das Land in eine Führungsposition bei Forschung und Innovation bringen. "France Relance" (Neustart Frankreich) heißt der Wiederaufbauplan großspurig, mit dem "das Frankreich von morgen" aufgebaut werden soll.

Frankreich müsse sich an die neuen Situationen anpassen, erklärte Macron, doch er kennt den Reformunwillen im Land. Deshalb räumte er auch ein, dass Frankreich dabei nicht besonders gut sei. Doch er appellierte an den Nationalstolz, aus dem Land solle "wieder eine große Nation der Innovation" werden, denn es gehe sogar um einen "Kampf um die Unabhängigkeit". Das Land soll in neun Jahren "besser verstehen, besser leben und besser produzieren", sagte der Staatschef.

Er nutzt die Debatte um die Klimaveränderungen für seine Strategie. Zur Energieerzeugung sieht er für Frankreich eine Chance mit seinem "historischen Modell": der Atomenergie. "Frankreich hat Glück, denn Frankreich hat Kernenergie", erklärte Macron. Die biete "200.000 Französinnen und Franzosen" einen Job. Sie könnten sich "glücklich schätzen, denn sie ermöglichen es uns, unter den Ländern in Europa zu sein, die die wenigsten Tonnen CO2 für den erzeugten Strom ausstoßen".

Schmutziger Strom für E- und Hybrid-Autos

Mit dem Strom aus seinen neuen Atomkraftwerken sollen dann nicht nur Elektro- und Hybrid-Autos angetrieben werden, von denen in Frankreich bis 2030 zwei Millionen produziert werden sollen. Mit dem Atomstrom soll auch "grüner" Wasserstoff hergestellt werden.

"Wir dürfen beim Wasserstoff nicht denselben Fehler machen wie bei den erneuerbaren Energien", sagte Macron. Erstaunlicherweise gab er zu: "Wir haben zu wenig in das Angebot und die Kapazität zur Entwicklung unseres Sektors investiert."

Statt jedoch endlich vorrangig erneuerbare Energien voranzutreiben, um schnell Treibhausgasemissionen reduzieren zu können, sind von den 30 Milliarden im neuen Plan nur 500 Millionen Euro dafür vorgesehen. Die grüne Europaparlamentarierin Marie Toussaint kritisiert zum Beispiel, dass allein für das SMR-Abenteuer schon die doppelte Summe vorgesehen ist.

Die SMR-Reaktoren nennt Macron als erstes seiner zehn Planziele. Er behauptet, sie seien nicht nur "viel kleiner", sondern auch "viel sicherer". Natürlich würde bei einem kleineren Kraftwerk im Fall eines Gau, wie in Fukushima oder Tschernobyl, auch nur eine kleinere Menge radioaktives Material freigesetzt werden. Doch für jeden "normalen" Atommeiler müssten vier, fünf oder sechs SMR gebaut werden.

Schon um die heutige Atom-Kapazität zu ersetzen, mit der 70 Prozent des Stroms erzeugt werden, müssten statt gut 50 Meilern an knapp 20 Standorten, dann deutlich mehr als 200 kleinere Atomkraftwerke im gesamte Land verteilt stehen. Soll ein Fuhrpark von E-Autos darüber geladen und auch noch Wasserstoff darüber erzeugt werden, müsste diese Zahl noch deutlich steigen.

Damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem ernsthaften Unfall kommt. Belege dafür, dass die SMR sicherer sind, gibt es bisher jedenfalls nicht. Ohnehin ist noch kein einziger landgestützter SMR in Betrieb.

Klar ist, dass Macron auch in Konkurrenz zur russischen Atomindustrie treten will. In Russland wurden im August die Bauarbeiten für das erste landgestützte SMR-Projekt genehmigt. Das Pilotprojekt soll in Jakutien im Osten des Landes verwirklicht werden und könnte, so die Planungen, bis 2028 den Betrieb aufnehmen. Russland, aber auch China erwähnte Macron mehrfach seiner Rede: Beide Länder hätten in einigen Bereichen Frankreich schon überholt.

Dass Macron die Atomkraft und vor allem die SMR als Klimaschutzmaßnahme ausgibt, ist schlicht hanebüchen. Allen ist klar, dass die ersten SMR-Reaktoren bestenfalls in zehn bis 15 Jahren ans Netz gehen könnten. Es ist damit auch klar, dass sie keine Lösung für die drängende Klimakrise sein können, da die Emissionen jetzt und schnell gesenkt werden müssen. Und das kann sinnvoll und schnell nur über längst verfügbare erneuerbare Energien funktionieren, die Macron genau nicht auf dem Plan hat.

Da es um den Klimaschutz also nicht geht, ist offensichtlich, dass Frankreich die Atomlobby weiter subventionieren will. Und dabei geht es ihm vor allem auch um die Bombe und seine Atomstreitmacht "Force de Frappe". Die Zeitung Le Monde titelte deshalb schon im vergangenen Dezember: "Für Emmanuel Macron hat der militärische Bereich Vorrang."

Treffen an denkwürdigem Ort

Bei einem Treffen in der ehemaligen Areva-Schmiede in Le Creusot, in der fehlerhafte Teile entstanden und weltweit in Atomkraftwerken mit zum Teil gefälschten Sicherheitszertifikaten verbaut worden waren, hatte Macron Klartext gesprochen: Die Atomenergie müsse in den kommenden Jahren "eine Säule" sein.

"Sans nucléaire civil, pas de nucléaire militaire" - "Ohne zivile Kernkraft gibt es keine militärische Kernkraft", erklärte er in dem heutigen Werk von Framatome. Es sei unsinnig, diese beiden Bereiche zu trennen, beschreibt er eine "strategische Zukunft", die er sowohl im Bereich der Energieunabhängigkeit und der Verteidigung sieht.

Die Zeitung ordnet ihn als "starken Befürworter der nuklearen Abschreckung und der Atomkraft" ein. Das Werk in Le Creusot, dass nach der Areva-Pleite über Framatome dem Energieversorger EDF aufgedrückt wurde, der sich zu 85 Prozent in Staatshand befindet, sei der "lebende Beweis" für diese komplementäre Beziehung. 2038 werde ein neuer atomgetriebener Flugzeugträger einsatzbereit sein, sagte Macron.

Das Werk in Le Creusot, wo neben Kraftwerksteilen auch große Teile für atomgetriebene Schiffe und U-Boote geschmiedet werden, werde davon profitieren. Real ist das Framatome-Werk ein Zombie, der ohne die vielen Staatsgelder längst nicht mehr am Leben wäre. So merkt auch Le Monde an, dass es sich um ein sehr teures Unterfangen handelt. Letztlich wird deshalb auch an der Dualität zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie festgehalten, um Milliarden zu verstecken, die letztlich in die Militärprojekte fließen.

"Grüne Investition" für militärische Abschreckung?

Anders lässt sich zum Beispiel auch das unsinnige und extrem teure Vorhaben im britischen Hinkley Point nicht erklären, das vor allem aus militärischen Gründen gebaut werden soll. Und da Atomprojekte Milliardengräber sind, will Macron über den Trick, Atomkraft als Klimaschutzprojekt zu verkaufen, auch an Geldtöpfe in Brüssel heran, um die militärische und zivile Atomindustrie weiter subventionieren zu können.

Deshalb will der Atomstaat seine Kernkraft nun als "grüne Investition" anerkannt wissen. "Wenn wir den Kampf gegen den Klimawandel gewinnen wollen, brauchen wir Kernenergie", heißt es in einem offenen Brief. Den hat auch der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire unterschrieben, sonst aber fast ausschließlich Politiker aus Osteuropa. Der Klimawandel finde "nicht irgendwann in der Zukunft" statt, "sondern stellt hier und heute unsere größte Herausforderung dar", heißt es darin.

Die Kernenergie sei dafür "unverzichtbar", erklären neben ihm Mitglieder von neun weiteren Regierungen in Europa, unter anderem der rumänische, der tschechische und der bulgarische Energieminister, der finnische und der kroatische Wirtschaftsminister, der slowakische, der slowenische und der ungarische Finanzminister sowie der polnische Umweltminister. "Kernenergie muss ein Teil dieser Lösung sein", meinen sie, obwohl sie einräumen, dass "erneuerbare Energiequellen eine Schlüsselrolle bei unserer Energiewende spielen".

Von wegen "CO2-frei"

Dass damit bestenfalls in einem Jahrzehnt die Treibhausgase etwas gesenkt werden können, sagen sie nicht. Schon damit wird klar, dass es nicht um schnelle Klimaschutz-Maßnahmen geht, sondern sie nur vorgeschoben werden. Derweil würden aber beim Kraftwerksbau, beim Uranabbau, bei der Brennstoff-Herstellung und schließlich bei der Entsorgung, für die niemand nach fünf Jahrzehnten eine Lösung hat, klimaschädliche Gase frei. Es ist ein Märchen, dass Atomenergie "CO2-frei" ist.

Die Unterzeichner des offenen Briefs versteigen sich trotz der Erfahrungen in Finnland oder Frankreich zu der Aussage: "Kernenergie ist eine bedeutende, kostengünstige, stabile und unabhängige Energiequelle." Und trotz der Erfahrungen von Tschernobyl und Fukushima sowie des ungelösten Problems, einen giftigen und gefährlichen Atommüllberg zu entsorgen, der über Jahrtausende strahlt, wird Atomkraft als "sicher und sauber" bezeichnet.

Gefordert wird deshalb, dass eine Einstufung als grüne Investition, die "bis Ende 2021" erfolgen müsse, damit neue Atomkraftwerke mit EU-Geldern gefördert werden können. Denn tatsächlich, sind Atomkraftwerke wirtschaftlich längst nicht mehr tragbar, wie auch Atomkraftwerksbetreiber längst zugeben.

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