"Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Blackout kommt"
Mit der Kältewelle im Norden, die auch nach Frankreich geschwappt ist, steigen Blackout-Risiken wieder, da die Atomkraftwerke dort nun noch weniger Strom als im Januar liefern
An vielen Orten macht man sich inzwischen verstärkt Gedanken über das Stromnetz in Europa. In Österreich hat zum Beispiel die Landesregierung der Steiermark mit dem Zivilschutzverband in Kooperation mit "Energie Steiermark" nun einen umfassenden Leitfaden zum Thema Blackout vorgelegt.
So soll die Bevölkerung über mögliche flächendeckende Stromausfälle informiert und zugleich die Gemeinden und Bürgermeister unterstützt werden, da diese die ersten Ansprechpartner und im Katastrophenfall die behördlichen Einsatzleiter vor Ort sind. Es gebe falsche Erwartungen, was die Leistungsfähigkeit in der Gemeinde und die Hilfe von Dritten, etwa von Feuerwehren oder des Bundesheers, anbelangt. Tatsächlich seien die Gemeinden in einem Blackout-Fall auf sich allein gestellt. Eine Hilfe von außen sei kaum zu erwarten.
Auch in Österreich verweist man auf den Fast-Blackout am 8. Januar, an dem Europa knapp vorbeigeschrammt ist. Gemeinden wie Pöchlarn bereiten sich nun konkret auf einen möglichen Blackout vor und investieren in Infrastruktur - unter anderem in Notstromaggregate. "Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zu einem Blackout kommt", erklärt dazu Julian Kreuzer, der mit dem Vorgang betraut wurde. Die Nachfrage nach Reservesystemen für die Energieversorgung sei seit dem 8. Januar explodiert.
Das stimmt, denn auch andere Regionen wie Kärnten bereiten sich auf einen Blackout vor, der nicht mit einem lokalen Stromausfall verwechselt werden darf. Denn bei einem Blackout handelt es sich um einen Stromausfall, der länger andauern kann, mehrere Bundesländer oder europäische Länder betrifft und dort zum Zusammenbruch fast aller Versorgungsinfrastruktur führen könnte. Dass in Österreich die Vorgänge vom 8. Januar besondere Reaktionen hervorrufen, hat auch damit zu tun, dass dort schnell und umfassend darüber berichtet worden war.
Inzwischen wurde das Thema auch ausführlicher in Deutschland debattiert. Es gab die reflexhaften Schuldzuweisungen, sofort wurde auf die Energiewende und die erneuerbaren Energien geschielt, die angeblich für Netzinstabilität sorgen würden. Dabei, so ist inzwischen klar, hatten die mit Vorfall am 8. Januar gar nichts zu tun. Der führte zur zeitweisen "Abtrennung der Region Süd-Ost-Europa" (Die Komplexität der Stromversorgung nimmt zu).
Es ist aber auch ein deutliches Zeichen, dass etwas mit der Netzstabilität nicht stimmt, wenn es mit dem Auslösen eines 400-kV-Sammelschienenkopplers im Umspannwerk Ernestinovo (Kroatien) durch den Überstromschutz fast zu einem Blackout in Europa kommt.
So meint zum Beispiel auch der Leiter der Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung, der sich seit Jahrzehnten mit der Energiepolitik befasst, dass die "Stromversorgung massiv gefährdet" sei. Henrik Paulitz hält einen Zusammenbruch des Stromnetzes auch in Deutschland für alles andere als realitätsfern, weil Kraftwerkskapazitäten abgeschmolzen werden, aber es die versprochenen Langzeitstromspeicher weiterhin nicht gibt.
Die Kältewelle und strukturelle Probleme
In der Debatte kommt aber eigentlich immer zu kurz, dass es bei der Stromversorgung beim französischen Nachbarn seit Jahren immer dann zu massiven Problemen kommt, wenn die Temperaturen fallen und viele Franzosen die ineffizienten Stromheizungen in schlecht gedämmten Häusern anwerfen und damit den Stromverbrauch auf Spitzenwerte treiben.
Es war sicher kein Zufall, dass der Vorgang am 8. Januar in Osteuropa genau mit einer Kältewelle in Frankreich zusammenfiel. Der Netzbetreiber RTE und der staatliche Stromversorger EDF hatten die Franzosen an diesem Tag zum Stromsparen aufgefordert, da das Netz zu kollabieren drohte.
Neu ist das nicht. Alle Jahre wieder schrammt das Atomstromland, wie auch im vergangenen Jahr, immer mal wieder am Blackout vorbei. Frankreich produziert noch immer etwa 75 Prozent seines Stroms in altersschwachen Atomkraftwerken. Das ist ein strukturelles Problem. Während einer heftigen Kältewelle vor fast genau drei Jahren konnte ein Blackout nur durch starke Unterstützung aus dem Ausland abgewendet werden.
Im vergangenen Jahr wurden zwei Uraltmeiler am Oberrhein in Fessenheim definitiv abgeschaltet. Der geplante Ersatz in Flamanville, der eigentlich schon seit acht Jahren Strom produzieren soll, wird frühestens 2024 liefern, wenn der Problem-Meiler überhaupt jemals ans Netz geht.
Da derzeitige Kältewelle auch den Norden Frankreichs treffen und dort für zweistellige Minusgrade von bis zu minus 16 Grad sorgen soll, könnte es beim Atom-Nachbarn wieder einmal eng werden, zumal weitere Atomkraftwerke für Wartungsarbeiten abgeschaltet werden mussten. Eigentlich haben die Atomkraftwerke im Land eine Leistung von 61 Gigawatt (GW). Derzeit stehen aber nur noch 47 zur Verfügung, das sind knapp 5 Gigawatt weniger als noch im Januar.
Der Fachinformationsdienst IWR hatte schon am Montag berichtet, dass Frankreich wieder einmal am europäischen Tropf hängt und auch auf Stromimporte aus Deutschland angewiesen ist:
"In der Spitze (08.00 Uhr) wurde bisher Strom mit einer Leistung von rund 8.000 MW importiert, davon 4.900 MW aus Belgien / Deutschland, aus Spanien 2.000 MW sowie aus der Schweiz 1.100 MW."
Frankreich habe zeitgleich Strom mit einer Gesamtleistung von 3.500 MW nach Großbritannien und Italien exportiert, doch "per Saldo musste Frankreich Strom mit einer bisherigen Maximalleistung von über 4.000 MW aus dem Ausland importieren". Mit dem Vordringen der Kältewelle in Richtung Süden dürfte das Defizit wachsen. Die Lage könnte wie am 8. Januar also erneut kritisch werden, wenn an einer anderen Ecke in Europa eine Störung auftaucht. Zudem wird davon ausgegangen, dass die Kältewelle noch einige Tage anhalten wird.
Anders als im Januar versucht man in Frankreich derzeit aber den Ball flach zu halten. Der französische Netzbetreiber RTE behauptet in einem prominent platzierten Artikel nun sogar, dass am 8. Januar "Europa (und Frankreich) von dem Blackout weit entfernt" geblieben seien. RTE spricht nur noch von einer Störung (der Frequenz), die aber mit den automatischen Schutzvorrichtungen, die zur Bewältigung solcher Situationen vorgesehen sind, abgefangen worden sei.
Dabei ist auch dem RTE klar, dass der Verbrauch in Frankreich zunimmt. Wurden am Montag noch gut 80 Gigawatt benötigt, waren es am Dienstag in der Spitze schon 82. Der Netzbetreiber geht davon aus, dass der Verbrauch am Donnerstag mit gut 86 GW den Spitzenwert erreichen wird. Er bleibe damit aber unter dem Spitzenwert von gut 88 GW vom 11. Januar, schreibt RTE.
Damit würde der Wert auch weit entfernt vom Allzeitrekord bleiben, der 2012 mit einem Verbrauch von 102 GW registriert wurde. RTE hält angesichts der eigenen Kapazitäten und angesichts des möglichen Imports die Versorgung deshalb trotz der niedrigen Temperaturen für gesichert.
Zu hoffen ist das. Aber das nicht einmal kurzfristig besonders viel. Denn Experten haben auch schon darauf verwiesen, dass die Leistung aus den Atomkraftwerken ab dem 20. Februar wegen weiterer Abschaltungen sogar unter die Marke von 40 GW fallen wird, wie Montel berechnet hatte.
Sollte die Kältewelle also länger anhalten oder es eine neue Kältewelle ab dem 20. Februar geben, wird es noch ungemütlicher im Atomstromland wie derzeit oder im Januar. Denn dann fehlen weitere 7 GW und es dürfte schwierig werden, das Defizit über Importe zu decken, wenn der Verbrauch stark ansteigt.
"Selbsthilfe" von Klimaschützern
Dass der Stromverbrauch trotz der Kältewellen derzeit nicht an Spitzenwerte wie 2012 herankommt, dazu trägt der Coronavirus-Lockdown bei. Denn es gilt eine nächtliche Ausgangssperre, ab 18 Uhr dürfen die Franzosen nicht mehr aus dem Haus, womit der Stromverbrauch gesenkt wird. Junge Klimaschützer haben angesichts dieser Lage nun zudem zur Selbsthilfe gegriffen. "Lights off" heißt die Parole, die von der Gruppe "On the spot" propagiert wird.
Die Parkour-Freunde Kevin, Arnaud, Hugo und Lionel streifen durch die Pariser Straßen und schalten mit ihren sportlichen und akrobatischen Künsten unnütze Beleuchtungen ab. Sie springen oder klettern an Geschäften hoch, um an die Schalter zu kommen, die aus Sicherheitsgründen außen an den Läden angebracht sind. Sie können darüber bisweilen auch die gesamte Beleuchtung der Schaufenster abschalten.
"Wir sind es leid, die nutzlosen Lichter zu sehen", erklären die Aktivisten in einem Video. Das Beispiel macht längst im ganzen Land Schule. In immer mehr Städten schließen sich Aktivisten der Bewegung an, schalten die Beleuchtungen der Geschäfte ab und helfen dabei, das Land vor dem Blackout zu bewahren.