Blackout im europäischen Stromnetz?
Am 8. Januar wäre es beinahe zu einem großflächigen Blackout gekommen. Schuld hatte nicht die Energiewende, sondern die im Interesse des freien Stromhandels zentralisierte Netzstruktur
Anfang Januar kam es im europäischen Stromnetz zu einer sehr brenzligen Situation. Schwankungen der Netzfrequenz trieben den Übertragungsnetzbetreibern Schweiß auf die Stirn und der österreichische Standard sprach von der größten Netzstörung seit November 2006.
Seinerzeit war wegen einer Schiffsdurchfahrt auf der Ems eine über den nordwestdeutschen Fluss führende Hochspannungsleitung abgeschaltet worden. Eigentlich kein Problem, wenn für ausreichenden Ersatz gesorgt wird, doch die Techniker des E.on-Übertragungsnetzes (heute Tennet) hatten sich verrechnet.
In der Folge brach am 4. November 2006 in weiten Teilen Deutschlands und bei den westlichen und südlichen Nachbarn das Netz zusammen. Besonders in Frankreich fiel die Stromversorgung bis zu zwei Stunden aus.
So schlimm war es diesmal nicht, aber es mussten, um das Netz zu stabilisieren, kurzfristig eine ganze Reihe Großverbraucher abgeschaltet werden.
Reflexhafte Schuldzuweisungen
Was genau passiert war, blieb bis vorgestern unklar, aber wie schon öfter in den vergangenen Jahren - und auch 2006 -, war für interessierte Kreise sofort klar, wer der Schuldige ist: die Energiewende.
Sonnen- und Windenergie destabilisieren das Netz, tönte es zum Beispiel von der rechtsextremen Seite im Bundestag in der Debatte über die Kohleverträge mit Verweis auf die Vorgänge in Österreich.
Nur: Am 8. Januar um 14:05, als binnen Sekunden in weiten Teilen des internationalen Netzes die Frequenz abfiel, weil nicht mehr genügend elektrische Energie eingespeist wurde, war es über Deutschland und den Nachbarländern weder besonders windig, noch schien die Sonne am wolkenlosen Himmel.
Vielmehr speisten Solaranlagen zu jener Zeit nur 1,52 Gigawatt (GW), Windkraftanlagen 4,19 GW und die übrigen Kraftwerke knapp 60 GW ins Netz ein, wie die Daten des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme zeigen.
In den Stunden davor sah es nicht viel anders aus. Sonne und Wind waren keineswegs kurzfristig abgefallen. Derlei unerwartete und kurzfristige Abfälle in ganzen Regionen kommen ohnehin in der Solar- oder Windenergie nicht vor.
Zwar wird immer wieder gerne der Eindruck erweckt, Sonne und Wind seien unzuverlässig, aber erstens lassen sich Sonnenauf- und -untergang und zweitens auch das Wetter ziemlich gut vorhersagen. Netzbetreiber können auf entsprechende Modelle zugreifen, die ihnen die zu erwartenden Wind- und Solarleistung viele Stunden in Voraus mit ziemlicher Genauigkeit vorhersagen.
Netz in Kroatien getrennt
Was ist also am 8. Januar geschehen, wenn es nicht die erneuerbaren Energieträger waren? Inzwischen liegt eine Erklärung der Vorgänge durch die European Network of Transmission System Operators for Electricity (ENSTSO-E), dem Dachverband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber, vor. Demnach ist folgendes passiert:
Am 8. Januar um 14.04 Uhr und 29 Sekunden wurde in einem Umspannwerk im Osten Kroatiens aufgrund von Überlastung eine Verbindung zwischen den Verbindungen nach Westen und Ungarn einerseits und in das südöstliche Serbien andererseits unterbrochen. Dadurch musste der Energiefluss seinen Weg über andere Verbindungen zwischen dem Balkan und West- sowie Mitteleuropa suchen.
Nur Sekunden später brachen auch diese wegen Überlastung zusammen, so dass um 14.05 Uhr und acht Sekunden das von Dänemark bis in die Türkei und von Portugal bis Polen reichende Netz in zwei Teilnetze zerbrach: Ein kleineres im Südosten und ein größeres im Norden und Westen.
Die unmittelbare Folge: Im Südosten waren schlagartig rund 6,3 Gigawatt (die Leistung von etwas mehr als vier der größten Atomkraftwerke) zu viel Leistung am Netz, während im Nordwesten genauso plötzlich diese Leistung fehlte. Nicht, dass hierzulande zu wenig Kraftwerke zur Verfügung gestanden hätten. Zum Beispiel waren zum Zeitpunkt des Vorfalls in Deutschland rund acht GW Pumpspeicherleistung und über 12 GW in den Gaskraftwerken ungenutzt.
Doch bis die bereit sind, dauert es einige Minuten und in der Zwischenzeit kann das Auseinanderdriften von Bedarf und Angebot die Frequenz im Netz so weit absenken, dass es zusammenbricht. Um das zu verhindern, wurden zum Beispiel in Frankreich und Italien innerhalb weniger Sekunden Großverbraucher vom Netz genommen, die zusammen einen Bedarf von 1,7 GW hatten.
Für solche Fälle haben die Betreiber mit einigen Stromgroßkunden entsprechende Verträge. Die ENTSO-E-Stellungnahme enthält keinen Hinweis darauf, um welcher Art Betriebe es sich handelte, aber denkbar sind unter anderem große Kühlhäuser, die auch mal eine halbe Stunde ohne Kühlung auskommen können.
Zentralisierung als Problem
Fazit: Wenn der Vorfall irgendwas gezeigt hat, dann: Dass die zugespitzte Zentralisierung der Stromversorgung und das Verschieben großer Strommengen über den halben Kontinent das System anfällig macht. Man könnte dem natürlich mit Stromleitungen begegnen, sodass auch im Falle von Engpässen immer genug Übertragungskapazitäten zur Verfügung stehen.
Sinnvoller wäre es jedoch sowohl im Sinne der Versorgungssicherheit wie auch der Vermeidung der nicht unerheblichen Übertragungsverluste, die bei den großen Entfernungen auftreten, auf kleinteilige Lösungen und regionale Produktion zu setzen.
Diese drängen sich mit dem Umstieg auf Wind- und Solarenergie eigentlich auf und müssten, wie von den Branchenverbänden seit langem gefordert, mehr mit lokalen Speichern und der Verschränkung mir dem Wärmemarkt wie in Dänemark verbunden werden. Die Politik der Bundesregierung setzt jedoch im Sinne der großen Energiekonzerne auf das Gegenteil.