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Atomkraft: "Keine Option für Deutschland"

Kernkraftwerk Isar in Niederbayern. Der Block 2 sollte eigentlich Ende des Jahres abgeschaltet werden. Bild: Uwe Kohlmaier / CC BY-SA 3.0

Energie und Klima – kompakt: Die Nachteile sind unübersehbar. AKW kämpfen mit Rissen, fehlenden Brennstäben, nicht vorhandenem Personal und astronomischen Kosten. Warum Politiker die tote Industrie trotzdem künstlich beatmen wollen.

Die Atomdebatte ist die Untote im Streit um die Zukunft der Energieversorgung. Um sie soll es im heutigen zweiten Teil unseres kleinen, notgedrungener Weise höchst lückenhaften Rückblicks auf die Energie- und Klimapolitik gehen.

Die Atomkraft hat 2022 nur noch knapp sieben Prozent zur Nettostromproduktion für das öffentliche Netz beigetragen (Wind 24, Sonne 12 Prozent). Ganz im Gegensatz dazu steht der Raum, den sie im öffentlichen Diskurs einnimmt.

Zu Anfang des Jahres war noch alles klar. Der Ausstieg aus der zivilen Nutzung war nahezu abgeschlossen und weitgehend unumstritten. Bei der militärischen Option, um die es hier nicht weiter gehen soll, sieht es ein wenig anders aus, da hält man sich gerne eine Hintertür offen, die sich aktuell immer weiter öffnet [1].

Aber die Atomkraftwerke sollten wenigstens abgeschaltet werden, und zu Silvester sollte es auch mit den letzten dreien endlich so weit sein. 2011 hatte die seinerzeit regierende Union mit ihrem Koalitionspartner FDP eine Kehrtwende nach der Kehrtwende vollzogen. Nachdem sie noch im Spätsommer 2010 den seit Anfang des Jahrtausends geltenden Ausstiegsbeschluss zurückgeholt hatten, revidierten sie nun angesichts des öffentlichen Drucks ihren Ausstieg aus dem Ausstieg. Nach der mehrfachen Reaktorhavarie im japanischen Fukushima gingen hierzulande Hunderttausende [2] auf die Straße, um das Aus der seinerzeit noch 17 deutschen AKW zu verlangen.

Das Atomgesetz wurde also erneut überarbeitet, acht Reaktoren legte man sofort formal still – einige von ihnen liefen da aufgrund einer Vielzahl von Pannen [3] schon seit Jahren nicht mehr – und für die neun restlichen wurde ein Ausstiegsplan festgeschrieben.

Der war allerdings nicht schön gestaffelt, wie man es von einer planvollen Energiepolitik erwarten sollte. Vielmehr sollten rund acht von zwölf Gigawatt Leistung innerhalb eines Jahres – Ende 2021 und Ende 2022 – vom Netz gehen. Und um den dadurch notwendigerweise entstehenden Druck noch zu erhöhen, unterließ man es, die Ausbauziele für die erneuerbaren Energieträger anzupassen.

Vielmehr wurde erst ein starker Einbruch bei Kauf und Installation von Solaranlagen herbeigeführt [4] – mit dem Ergebnis, dass der deutschen Herstellung der Hals gebrochen und über 100.000 Arbeitsplätze vernichtet [5] wurden. Dann – unter Mitwirkung der SPD – deckelte man massiv den Ausbau der Windenergie und erstickte ihn schließlich nahezu durch ein neues, höchst bürokratisches Ausschreibungsverfahren.

Hinzu kamen noch in einigen Bundesländern allerlei regionale Hürden wie überzogene Abstandsregeln und ähnliches – hauptsächlich durchgesetzt durch die Unionsparteien und die FDP unter dem Applaus der Rechtsradikalen.

Angesichts dieser Stolpersteine, die einem geordneten Atomausstieg in den Weg gelegt wurden, ist es eigentlich erstaunlich, dass er bisher so reibungslos ablief. Zwar wird in letzter Zeit gerne Panik verbreitet, dass Stromausfälle drohen. Doch mit seinem inzwischen fast 50-prozentigen Anteil der Erneuerbaren an der Stromproduktion gehört Deutschland weiter zu den europäischen Ländern mit der zuverlässigsten Versorgung, übrigens knapp hinter Dänemark, einem Land mit besonders hohem Windenergieanteil. Mit gezielten Abschaltungen muss hingegen in diesem Winter im Atomstromland Frankreich gerechnet werden.

Wie AKW im Koma-Stadium die Energiewende blockieren

So weit, so gut. Die Ampelkoalition hatte Ende 2021 in ihrem Koalitionsvertrag [6] noch einmal ausdrücklich festgehalten, dass Atomkraft zukünftig nicht mehr infrage kommt, und auch FDP-Chef Christian Lindner konnte zu Jahresanfang noch schlüssig und richtigerweise erklären, dass sie ökonomisch keinerlei Sinn mehr macht.

Es gibt kaum noch AKW-Bauer, und die wenigen wie etwa Areva können keinerlei zuverlässige Anlagen mit kalkulierbaren Kosten und Bauzeiten anbieten. In der EU gibt es zurzeit nur drei AKW-Baustellen und an diesen wird seit 15 bis 35 Jahren [7] gearbeitet. Atomstrom ist einfach zu teuer, selbst wenn die gesellschaftlichen Kosten weiter wie bisher der Allgemeinheit aufgebürdet werden.

Doch irgendwie ist dieses Wissen im postfaktischem Zeitalter den Liberalen wieder abhandengekommen, und bei der Union hatte man dem Atomausstieg 2011 ohnehin nur zähneknirschend zugestimmt. Und so haben wir nun zum Jahresende, wo eigentlich die letzten drei Anlagen vom Netz gehen sollten, erneut einen Atomstreit.

Liberale und Konservative haben offensichtlich große Schwierigkeiten, sich von einer seit mindestens 20 Jahren absterbenden Branche zu verabschieden. Statt die Energie in das Neue zu stecken, neue Speichermöglichkeiten auf den Weg zu bringen, Wind- und Sonnenenergie auszubauen, besser verträgliche Lösungen für Biogas zu finden, diese effektiver in die Strom- und Wärmeproduktion zu integrieren, Nah- und Fernwärme [8]stärker zu fördern und auszubauen sowie Strom- und Wärmeproduktion mehr zu verzahnen, werden vollkommen faktenfreie Phantomdebatten über drei alte Atomkraftwerke geführt.

Dabei hatte Robert Habecks grünes Wirtschafts- und Klimaministerium schon ein wenig nachgegeben. Mit einer erneuten Änderung des Atomgesetzes [9] wurde im November die Laufzeit der Reaktoren Neckarwestheim 2, Isar 2 und Emsland bis in den April verlängert, und zwar obwohl in allen drei Anlagen die routinemäßig alle zehn Jahre anstehende große Sicherheitsüberprüfung nunmehr bereits drei Jahre überfällig ist.

Auch die Pannenmeldungen [10] über Isar 2 und die vielen Haarrisse [11] am Übergang zwischen dem Primär- und dem Sekundärkreislauf des Reaktors Neckarwestheim 2 waren für den grünen Minister und natürlich auch seine liberalen Kabinettskollegen kein Grund, auf die Verlängerung bis Mitte April zu verzichten. Das Verwaltungsgericht Mannheim befand [12] Mitte Dezember übrigens, dass die Mängel am AKW Neckarwestheim 2 zwar durchaus bedenklich sind, wies jedoch eine Klage zweier Bürger auf Entzug der Betriebsgenehmigung trotzdem ab.

Durch den Weiterbetrieb bis in den März hinein wird übrigens kaum zusätzlicher Strom erzeugt. Die Betreiber hatten seit Jahren mit dem Betriebsende am 31. Dezember 2022 geplant. Entsprechend wird seit vielen Jahren kein neues Personal mehr ausgebildet, und auch die Beschaffung von Brennstäben wurde entsprechend organisiert.

Insbesondere im AKW Emsland sind sie bereits ziemlich ausgebrannt. Auch in den anderen beiden wird die Kettenreaktion nicht mehr lange aufrechtzuerhalten sein. Neue Brennstäbe müssten her, wenn man es mit der nochmaligen Verlängerung der Laufzeiten ernst meinte, und deren Beschaffung würde mindestens zwölf Monate kosten. Daher kommt vom EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos, dem Betreiber von Neckarwestheim 2, eine klare Absage [13] an die liberalen, konservativen und rechtsradikalen Träumer, die nicht von der Atomkraft lassen wollen. Sein Kraftwerk sei keine Märklin-Eisenbahn, die man nach Belieben an- und abschalten könne. Es fehle nicht nur an Brennstäben, sondern auch am Fachpersonal.

Die 14-wöchige Betriebsverlängerung kostet nach Angaben von Stamatelopoulos EnBW einen zweistelligen Millionenbetrag. Durch die nun notwendige Verschiebung des Abrisses fiele möglicherweise gar ein bis zu dreistelliger Millionenbetrag an. Das Fazit von Stamatelopoulos:

Die Kernenergie ist für Deutschland einfach keine Option mehr.


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https://www.heise.de/-7443725

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/features/Milliardengrab-Kampfjet-F-35-auch-fuer-Deutschland-7339496.html?seite=all
[2] https://www.heise.de/tp/news/Proteste-weiten-sich-aus-1989172.html
[3] https://www.heise.de/tp/features/Pannenserie-in-Vattenfall-AKWs-3414202.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Gigantismus-und-Horror-vacui-3393722.html
[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/13589/umfrage/anzahl-der-arbeitsplaetze-in-der-solarenergiebranche-in-deutschland/
[6] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
[7] https://www.iwr.de/news/stromausfall-atomkraftwerke-helfen-der-eu-nicht-aus-der-energiekrise-news38178
[8] https://www.heise.de/tp/features/Fragen-und-Antworten-zur-Fernwaerme-und-wie-sie-gruener-werden-soll-9186781.html
[9] https://www.gesetze-im-internet.de/atg/index.html#BJNR008140959BJNE006900326
[10] https://www.zdf.de/nachrichten/heute-sendungen/atomkraftwerk-isar-2-reservebetrieb-video-100.html
[11] https://www.stimme.de/regional/region/wieder-risse-im-kernkraftwerk-neckarwestheim-gkn-entdeckt-art-4643302
[12] https://verwaltungsgerichtshof-baden-wuerttemberg.justiz-bw.de/pb/,Lde/10846635/?LISTPAGE=1213200
[13] https://www.ludwigsburg24.com/stromproduzent-enbw-schliesst-erneute-laufzeitverlaengerung-von-akw-betrieb-aus/