Pannenserie in Vattenfall-AKWs
In kurzer Folge mussten am Donnerstag zwei schlewsig-holsteinische Atomkraftwerke per Schnellabschaltung von Netz genommen werden
War es nun eine Kettenreaktion der anderen Art oder nur ein unglaublicher Zufall? Am Donnerstag mussten in Schleswig-Holstein im Abstand von nicht einmal zwei Stunden die AKWS Brunsbüttel und Krümmel nach Kurzschlüssen und Bränden vom Netz genommen werden. Beide werden vom schwedischen Stromkonzern Vattenfall betrieben, in dessen Atomkraftwerken es bereits im letzten Jahr zu spektakulären Pannen gekommen war (Verfall der Sicherheitskultur), Schon wieder ein Unfall in einem Vattenfall-AKW).
Auch am Samstag war der Zusammenhang zwischen den Unfällen noch unklar, denn im AKW-Krümmel hatte die Feuerwehr das Feuer im dortigen Transformatorenhaus, das den im Kraftwerk erzeugten Strom ins 360-kV-Hochspannungsnetz einspeist, noch immer nicht vollständig gelöscht. An eine Spurensuche war vorerst nicht zu denken. Die in der Kieler Landesregierung für Reaktorsicherheit zuständige Sozialministerin Gitta Trauernicht (SPD) hält es aber eher für unwahrscheinlich, dass die beiden Vorfälle in Verbindung miteinander stehen.
Auffällig ist allerdings der zeitliche Zusammenhang: Nach einem Bericht des Betreibers Vattenfalls ist es am Donnerstag in Brunsbüttel an der Unterelbe um 13.20 Uhr in einer E.on-Schaltanlage außerhalb des Kraftwerks zu einem Kurzschluss gekommen. E.on ist in Schleswig-Holstein der Netzbetreiber. Durch diesen Kurzschluss kam es im AKW zur Schnellabschaltung. Zu diesem Zweck müssen unter anderem Steuerstäbe zwischen die Brennelemente gefahren werden, um die nukleare Kettenreaktion zum Erliegen zu bringen. Dabei hat sich ein Stab zu langsam bewegt. Vermutlich als Folge davon ist an der zu heißen Turbine ein Schwelbrand durch Ölaustritt in der Isolierung entstanden. Zusätzlich haben die Schwingungen in der Dampfumleitungsstation zur unerwarteten Erweiterung von Rissen in den zugehörigen Abdeckungen geführt.
Durch das Abschalten des Reaktors kam es zu Schwankungen der Netzspannung. Im nahe gelegenen Hamburg fielen in der Folge zeitweise 800 Ampeln aus. Auch sämtliche U-Bahnen der Hansestadt standen vorübergehend still. Knapp zwei Stunden später, um 15 Uhr, trat im Transformatorenhaus des AKW Krümmel in Geesthacht, elbaufwärts von Hamburg gelegen, ein Kurzschluss auf. Nach Darstellung von Vattenfall entzündete der dadurch entstandene Lichtbogen das zur Kühlung eingesetzte Öl. Ob die Spannungsschwankungen für den Kurzschluss verantwortlich waren, ist noch unklar. Auf jeden Fall stellt sich aber die Frage, weshalb in einem Trafo-Gebäude in lediglich 50 Meter Entfernung vom Reaktor offenbar große Mengen brennbaren Öls vorhanden sind?
Radioaktivität ist Brunsbüttel nicht ausgetreten, wie auch auf der Internetseite von Greenpeace bestätigt wird. Die Umweltschützer hatten sofort einige Aktive mit Geigerzählern losgeschickt und ankern derzeit mit einem Schiff vor dem Havaristen in der Elbe. Aber auch so hat der Unfall die Anwohner nicht nur in Angst und Schrecken versetzt, sondern sie auch mit einer giftigen Rauchwolke überzogen, die den verbrennenden Ölen und Isolierungen geschuldet war.
Erinnerungen an frühere Unfälle
Für beide Meiler ist es keineswegs das erste Mal, dass sie in die Schlagzeilen geraten. Zuletzt war es im Dezember 2001 in Brunsbüttel zu einer Wasserstoffexplosion an einer Zuleitung zum Reaktordruckbehälter gekommen. Um ein Haar wäre dieser selbst beschädigt worden. Der Betreiber ließ den Meiler dennoch weiter fahren und hielt es nicht einmal für nötig, den Druckabfall, den man registriert hatte, zu untersuchen. Erst als die Kieler Aufsichtsbehörde nach mehreren Wochen Abschaltung und Untersuchung erzwang, wurde überhaupt klar, dass es eine Explosion gegeben hatte.
Der jetzige Vorfall in Brunsbüttel erinnert unterdessen stark an eine Havarie im schwedischen Vattenfall-AKW Forsmark im Juli letzten Jahres (Fast-GAU in Schweden). Dort war es ebenfalls in Folge eines Netzkurzschlusses zu einer automatischen Schnellabschaltung gekommen. Für diesen Fall haben AKW Notstromaggregate mit denen sie weiter versorgt werden. Fällt die Stromversorgung nämlich vollständig aus, ist das Kraftwerk nicht mehr zu steuern. Auch die Steuerstäbe können nicht mehr zwischen die Brennstäbe gefahren werden. und der Reaktorkern wird nicht mehr gekühlt. Dadurch verdampft das Wasser, und die Brennstäbe erhitzen sich immer mehr, bis es zur Kernschmelze kommt. In Forsmark wäre das um ein Haar passiert.
In Brunsbüttel hat die Schnellabschaltung nach den Informationen des Kieler Sozialministeriums jedoch problemlos funktioniert. Am Samstag erteilte Sozialministerin Trauernicht die Genehmigung in Brunsbüttel den Reaktor wieder hoch zu fahren. Laut Agenturmeldungen forderte sie ihren Parteifreund Bundesumweltminister Sigmar Gabriel auf, die beiden Unfälle beim so genannten Energiegipfel am Dienstag anzusprechen. „Gewichtige Fragen“ im Bezug auf den Zustand der Stromnetze hätten sich ergeben.
Ähnlich sieht man es auch bei der Linksfraktion im Bundestag. Deren energiepolitischer Sprecher Hans-Kurt Hill weist darauf hin, dass die Investitionen in die Stromnetze in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen sind. Seit der Liberalisierung des Strommarktes 1998 hätten sie sich halbiert. „Es liegt der Verdacht nahe, dass die verantwortlichen Konzerne die Netzsicherheit in Deutschland zunehmend zugunsten hoher Renditen aufs Spiel setzen“, so Hill. Von Netzsicherheit könne jedenfalls nicht mehr die Rede sein. Seine Schlussfolgerung: Die „altersschwachen Atomkraftwerke“ sollten gar nicht wieder ans Netz und der Atomausstieg müsse beschleunigt werden. Außerdem gehörten die Stromnetze in öffentliche Hand.
Darin ist er sich mit Detlef Matthiessen einig, der im schleswig-holsteinischen Landtag energiepolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen ist. Matthiessen wirbt seit einiger Zeit in seiner Partei für den Gedanken, das deutsche Hochspannungsnetz nach dänischem Vorbild zu verstaatlichen. Die Entschädigung, die den Eignern gezahlt werden müsste, so der Grüne im Gespräch mit dem Autor, könne leicht aus den Erträgen des hochprofitablen Netzes bezahlt werden. Der Gesetzgeber hätte mit dem Netz das beste Instrument in der Hand, um die Stromversorgung nach seinen Vorstellungen zu gestalten.
Auch beim Bundesverband WindEnergie beklagte man sich erst am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Berlin, dass die großen Stromkonzerne als Netzbetreiber nie ganz vergessen können, dass sie mit ihren Kraftwerken Konkurrenten der Windmüller sind, für deren reibungslose Einbindung in das Netz sie eigentlich zu sorgen hätten.
AKWs überflüssig?
Die Umweltorganisation Robin Wood macht unterdessen darauf aufmerksam, dass die Stromversorgung offensichtlich schon jetzt auch ganz gut ohne die Atommeiler klappt: Mit Brunsbüttel und Krümmel waren am Freitag nach ihren Angaben fünf der 17 deutschen AKW vom Netz, da Biblis A und B und ein Block in Gundremmingen wegen Reparaturen ebenfalls abgeschaltet sind. „Ohne Atomkraft gehen die Lichter nicht aus. Es gibt genug Überkapazitäten“, stellte Dirk Seifert, Energiereferent bei Robin Wood fest.
Mit Blick auf den bevorstehenden Energiegipfel in Berlin betonte Seifert: „Die Forderungen der AKW-Betreiber nach Laufzeitverlängerungen für die Altreaktoren sind überflüssig und ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.“ Vattenfall hat für den Pannenreaktor Brunsbüttel Laufzeitverlängerung bis 2011 beantragt und droht, diese ggf. auch gerichtlich einklagen zu wollen, sollte die Bundesregierung die Zustimmung verweigern. Nach dem Ausstiegsgesetz aus dem Jahre 2000 müsste der Meiler in der ersten Jahreshälfte 2009 abgeschaltet werden.
Robin Wood nimmt gemeinsam mit anderen Initiativen den jüngsten Unfall zum Anlass, für den heutigen Sonntag zu einer Kundgebung vor dem AKW Krümmel aufzurufen. Um 14 Uhr trifft man sich vor dem Tor, um die Stilllegung des Altreaktors zu fordern. „Das Feuer war nur 50 Meter vom Reaktorkern entfernt. Hätte es an anderer Stelle gebrannt, so wäre die Situation möglicherweise nicht mehr zu kontrollieren gewesen“, meint Jochen Stay aus dem Wendland, Sprecher der Anti-Atom-Initiative X-tausendmal quer. „Wir sind nicht bereit, darauf zu warten, bis uns das Restrisiko den Rest gibt.“ Auch vor der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau, unweit der holländischen Grenze, sind für heute Proteste geplant.
Skeptisch macht die Atomkraftgegner auch die Informationspolitik des Betreibers Vattenfall. Der Energiekonzern hatte am zunächst Donnerstag behauptet, die Vorgänge in Krümmel hätten nichts mit der Schnellabschaltung in Brunsbüttel zu tun. Einen halben Tag später musste Vattenfall-Sprecher Ivo Banek kleinlaut einräumen, dass ein Zusammenhang nicht auszuschließen ist. „Vattenfall lügt und trickst wie immer. Auf die Aussagen derer, die sich mit der gefährlichen Atomkraft eine goldene Nase verdienen, ist einfach kein Verlass“, so Jan Becker von der Umweltgruppe contratom. Banek hatte auch Anfang August 2006 nach dem Unfall in Forsmark zunächst behauptet, in deutschen AKWs werde die Technik, die in Schweden zum Beinahe-GAU geführt hatte, nicht eingesetzt. Wenige Tage später musste er einräumen, dass das nicht richtig war ("Wir lernen aus Erfahrung").
Detlef Matthiessen zieht aus dieser Informationspolitik die Konsequenz, dass Vattenfall ein ungeeigneter Betreiber sei. „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ Immerhin fordert das Atomgesetz die Zuverlässigkeit der Betreiber. In der Vergangenheit konnte über diesen Weg jedoch wenig erreicht werden: „Das Problem ist, dass die vom Gesetz geforderte Zuverlässigkeit letztlich ein juristisch stumpfes Schwert ist. Die Zuverlässigkeit kann leicht wieder hergestellt werden, in dem Personal ausgewechselt oder der Meiler notfalls verkauft wird. Stilllegen kann man ein AKW auf diesem Wege nicht“, so der Landtagsabgeordnete.
Nach einem Bericht der Berliner Zeitung scheinen Zwischenfälle in deutschen AKWs fast der Normalfall zu sein. Das Blatt zitiert die Statistik des Bundesamtes für Strahlenschutz, nach der es seit Beschluss über den Atomausstieg im Jahre 2000 910 meldepflichtige Pannen und 33 ernstere Störfälle gegeben hat. Allein in Krümmel gab es nach Angaben von Greenpeace 2006 15 meldepflichtige Ereignisse.
Das sind nicht die Art Nachrichten, wie sie E.on und Vattenfall lieben. In letzter Zeit hatten sie besonders lauthals längere Laufzeiten für ihre Atommeiler gefordert. Immerhin können sie für jedes zusätzliche Jahr je nach Anlage 200 bis 400 Millionen Euro verdienen. Deshalb wollten sie am Dienstag auf dem so genannten Energiegipfel eigentlich ordentlich auf den Tisch hauen.