Atomkraft: Warum in Frankreich auch Linke den AKW-Ausbau unterstützen
Seite 2: Relativer Atomkonsens
Aus genau diesem Grund kann sich die Atom-Ausbaupolitik in Frankreich auf einen unvollständigen, doch realen Konsens stützen, insbesondere, weil eine historisch bedeutende Kraft auf der Linken wie die Französische kommunistische Partei (des PCF) – und Teile des früher mit ihr verbündeten Gewerkschaftsdachverbands CGT – in ihn eingebunden sind.
Dies hat geschichtliche Gründe: Das öffentliche Energieunternehmen EDF wurde 1946 durch einen PCF-Minister, Marcel Paul, durch Verstaatlichung kollaborationsbelasteter Unternehmen eingerichtet. Die französische KP war damals die stimmenstärkste Partei Frankreichs (28,3 Prozent der Wählerschaft) und bis zum Ausbruch des Kalten Krieges 1947 an der Regierung beteiligt. Aber auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten, einschließlich derer des massiven Einstiegs in die Atomenergie unter Charles de Gaulle, kamen viele Angehörige des technischen Personals sowie der Verwaltung von EDF aus den Reihen der KP und der CGT.
Vor allem aber hat diese Positionierung auch aktuelle Gründe. Denn wenn die Partei auch die derzeit in Angriff genommene Rückverstaatlichung von EDF unter Verweis auf die Ausgliederung relevanter Unternehmensteile als falsche Nationalisierung kritisiert, stimmte sie doch dem vorige Woche in letzter Lesung im Parlament beschlossenen Atomenergie-Beschleunigungsgesetz mit Vehemenz zu.
Steht diese doch in ihren Augen für eine ungenügende, doch in Ansätzen richtige Politik des Wiedereinstiegs der öffentlichen Hand in industrielle Vorgänge.
Linke gespalten
Unvollständig wird der innenpolitische Atomkonsens allerdings dadurch, dass die in den letzten Jahren zu Lasten der französischen KP aufstrebende, linkspopulistische Wahlplattform LFI ("Das unbeugsame Frankreich") ihrerseits auf einen graduellen Ausstieg aus der Atomenergie setzt.
Dadurch haben sich die Gewichte innerhalb der politischen Linken, auf der früher nur die französischen Grünen und ein Teil der trotzkistischen oder libertär-kommunistischen radikalen Linken gegen Atomenergie opponierten, verschoben. Dennoch gilt, dass ohne die bereits in den Wahlkämpfen 2021/22 vorgetragene, dezidiert die Atomenergie unterstützende Positionierung der KP nicht die Rede von einem lagerübergreifenden relativen Konsens die Rede sein könnte.
So aber trifft es eben gerade nicht zu, dass Atomenergie-Unterstützung vor allem eine Frage von Parteien der politischen Rechten wäre. Auch wenn natürlich gilt, dass viele Rechte und Rechtsextreme aufgrund ihres Strebens nach "nationaler Stärke" für einen ausgeprägten französischen Nuklearsektor und für die Führungsrolle Frankreichs auf diesem Gebiet sind; und dass die seit vorigem Jahr gebildeten Regierungskoalitionen unter Beteiligung von Rechtsextremen in Italien und Schweden jeweils einen Wiedereinstieg in eine Atomenergiepolitik betreiben.