Atomkraft: Weltweit auf dem absteigenden Ast
Markus Söder möchte AKW in Eigenregie weiterbetreiben. Früher, als bayrischer Umweltminister, hörte er sich noch anders an. Warum Atomkraft nicht nur hierzulande, sondern weltweit ein Auslaufmodell ist.
Die Energie-Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin nennt, die zuletzt von Liberalen, Konservativen und Rechtsextremen erhobene Forderung nach einem Abrissstopp für Atomkraftwerke absurd. Gegenüber dem Sender MDR sagte sie am Mittwoch, dass AKW nicht für den Betrieb in der Reserve ausgelegt seien. Das Wiederanfahren sei schwierig und langwierig.
Außerdem seien die Betriebsgenehmigungen erloschen und müssten aufwendig erneuert werden. Schließlich müssten Personal und Brennstäbe vorgehalten wären. Letztere müssten zunächst einmal bestellt und produziert werden, was ein bis zwei Jahre dauern kann.
Am vergangenen Samstag waren die letzten drei deutschen Atomkraftwerke (Isar 2, Emsland und Neckarwestheim) vom Netz gegangen. Wie berichtet, hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder eine Änderung des Atomgesetzes gefordert, damit sein Bundesland Isar 2 in Eigenregie übernehmen könne. Telepolis hatte den dortigen Steuerzahlen am Dienstag vorgerechnet, was diese populistische Sonderregelung kosten könnte.
Vor zwölf Jahren, nach der mehrfachen schweren Reaktorhavarie im japanischen Fukushima, hatte das noch ganz anders geklungen. Da war Söder im München Umweltminister und drohte mit Rücktritt, sollte Bayern sich in der seinerzeit laufenden Debatte um den Wiedereinstieg in den Atomausstieg noch auf spätestens 2022 als Abschaltdatum für die letzten AKW festlegen.
Das berichtete im Mai 2011 die Süddeutsche Zeitung. Söder gebe sich „seit dem Reaktorunfall von Fukushima, grün bis zum Hals“. Wie sich die Zeiten ändern können.
Derweil hat auch anderswo das Atomzeitalter längst seinen Zenit überschritten. In Japan versucht die konservative Regierung zwar, den AKW-Bau wiederzubeleben. Im Bau sind allerdings nur zwei Anlagen, während nach 2011 rund zwei Dutzend Anlagen dauerhaft stillgelegt wurden.
In der Japan Times erinnerte im vergangenen November Tatsujiro Suzuki, der an der Universität von Nagasaki lehrt, an die 30.000 Flüchtlinge, die nicht mehr in ihre Häuser zurück könnten. Die Bevölkerung habe das Vertrauen in die Atomenergie verloren und es sei nicht zu erwarten, dass sich das in nächster Zeit ändere.
Auch sonst sieht es nicht allzu rosig um die Zukunft der Atomkraft aus. Seit 2018 nimmt sowohl die Zahl der Reaktoren als auch der Umfang der von ihnen bereit gestellten elektrischen Leistung ab. Weltweit werden seit Jahren mehr AKW stillgelegt als neu gebaut, sodass sich das Schrumpfen der globalen AKW-Flotte in den nächsten beiden Jahrzehnten erheblich beschleunigen dürfte.
Die 284 der 420 weltweit im Betrieb befindlichen Reaktoren laufen bereits seit über 30 Jahren, 123 von ihnen sogar schon länger als die 40 Jahre, für die die Anlagen ursprünglich ausgelegt waren. In den Kraftwerken führt der ständige Beschuss durch Neutronen zur Versprödung des Stahls der Kühlrohre und des Betons des Reaktorbehälters. Die unvermeidliche Materialermüdung macht den Betrieb dieser Methusalem-Reaktoren zu einer Art Russisch Roulette.
Aber selbst wenn kein größerer Unfall in einer dieser Anlagen, die längst ihr Verfallsdatum erreicht haben, den Atomausstieg in den nächsten Jahren beschleunigen sollte, wird die Anzahl der weltweit in Betrieb befindlichen Reaktoren in den kommenden Jahren zunehmend schrumpfen. Allein um ihre Anzahl konstant zu halten, müssten jährlich 14 bis 15 neu in Betrieb genommen werden, was zuletzt in der goldenen Zeit des AKW-Baus 1987 der Fall war.
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